Klartext. Stefan Aust zur Lage "Haben diese Abgeordneten ausreichenden Bezug zum realen Leben?"

Stand: 25.10.2021 | Lesedauer: 3 Minuten

Von Jörn Lauterbach

Redaktionsleiter Hamburg

Die Republik hat gewählt: Was sind jetzt die Themen, die Deutschland bewegen, wie ist die Lage? WELT-Herausgeber Stefan Aust spricht Klartext. Heute: Warum es problematisch sein kann, wenn Abgeordnete ohne praktische Arbeitserfahrung direkt von der Uni ins Parlament gehen. WELT-Herausgeber Stefan Aust
Quelle: Oliver Schulze; Getty Images; Montage: Infografik WELT/Anna Wagner

WELT: Im neuen Bundestag, der sich am Dienstag konstituiert, sitzen 735 Abgeordnete - so viele wie nie zuvor. Bedeutet Rekordgröße auch besondere Leistungsfähigkeit?

Stefan Aust: Auch wenn historische Vergleiche immer hinken: Im Reichstag der Weimarer Republik nahm die Zahl der Abgeordneten auch stetig zu, Anfang der 1930er-Jahre waren es über 600. Der neue Bundestag hat nun noch einmal mehr Mandatsträger, aber Quantität und Qualität verhalten sich in der Politik gewiss nicht proportional.

Deswegen, aber auch aus Kostengründen, ist es absolut angebracht, erneut die Forderung nach einer Änderung des Wahlgesetzes zu stellen. Natürlich blickt jede Partei sehr genau darauf, ob es ihr nutzt oder nicht - aber ein aufgeblähter Bundestag und unangemessen große Fraktionen, das schadet dann doch am Ende allen.

WELT: Viele gerade junge Abgeordnete hatten nicht mit ihrem Mandat gerechnet, sind über Überhangs- und Ausgleichsmandate von den Landeslisten aus reingerutscht. Ist so etwas der Demokratie förderlich?

Aust: Nein, das ist ein weiterer Fingerzeig darauf, dass sich hier dringend etwas ändern muss. Wer ein Bundestagsmandat bekommt, muss es auch wirklich angestrebt haben, muss sich dafür eingesetzt haben.

Zwar können sich immer auch eindrucksvolle Karrieren durch Zufälle ergeben, aber hier ist es ja quasi ein durch einen Systemfehler ausgelöster Zufall. Es sollte doch möglich sein, so etwas künftig zu verhindern, um ein effizientes und schlankeres Parlament auf die Beine zu stellen.

WELT: Mehr als 80 Prozent der Mandatsträger sind Akademiker oder Studenten. Was sagt das über die Repräsentativität des Parlaments aus?

Aust: Dabei darf man nun auch nicht ausblenden, dass die Akademisierungsquote in Deutschland auch Jahr für Jahr steigt, ein Vergleich mit Werten von vor 30 Jahren ist deswegen unzulässig.

Viel mehr interessiert mich auch, ob eine große Anzahl der Abgeordneten das Leben in Unternehmen und vielleicht auch die Sorge, dass dieses bankrottgehen könnte, mal selbst erlebt haben. Die Zahl derer, die nur die Schule und die Universität und vielleicht noch eine Mitarbeit in Institutionen, Verbänden, Nicht-Regierungsorganisationen, Stiftungen oder als Beamte kennen, ist sehr hoch. Haben diese Abgeordneten wirklich einen ausreichenden Bezug zum realen Leben?

WELT: Die FDP möchte im Parlament nicht mehr neben der AfD sitzen. Nachvollziehbar?

Aust: Es wird berichtet über fortlaufend schlechtes Benehmen seitens der AfD, ich kann nicht überprüfen, ob das so ist - dass sich die FDP aber stärker in der Mitte der Gesellschaft sieht und das auch zeigen möchte, ist doch durchaus nachvollziehbar. In der politischen Farbenlehre wäre die Sitzordnung Linke/Grüne/SPD/FDP/CDU/CSU/AfD ja durchaus richtig. Also, warum nicht auch mal etwas Neues angehen - es muss ja nicht bei der Sitzordnung bleiben.

"Dass Herr Lauterbach warnt, wissen wir ja, darauf würde ich nicht viel geben"

"Es wird Zeit, dass wir uns neu orientieren", sagt WELT-Herausgeber Stefan Aust zum Ende der epidemischen Lage. Das wichtigste sei, sich mit der Realität auseinander zusetzten. Das sei nun auch die Aufgabe der neuen Regierung: Etwas von den Träumen wegkommen.


Quelle: WELT / Stefan Aust