Die Regierung ist sehenden Auges in diesen Notstand gerasselt. Kanzlerin Angela Merkel ignorierte Warnungen.
Regeln des Asylrechts werden nicht mehr befolgt. Denn unsere Grenzen sind nicht mehr viel wert. Manche Gesetze auch nicht. Das Asylrecht sagt klipp und klar: Wer als Flüchtling aus einem sicheren Land kommt, hat kein Recht auf Einlass. Doch daran hält sich niemand mehr, allen voran die Kanzlerin.
Sommer 2014: So ein attraktives Land. Anders gesagt, als die ersten Flüchtlinge kommen, hat die deutsche Politik allerbeste Karten. Ein gut gelauntes, weltoffenes Volk. Wie sehr es bereit ist, Menschen in Not die Hand zu reichen, wird es beweisen.
Herbst 2014: So ein loyaler Minister. Thomas de Maizière ahnt, was auf ihn zukommt: "Die aktuelle Lage ist extrem angespannt", sagt der Bundesinnenminister mit Blick auf die Flüchtlingszahlen im September. Dann wird ein Gerücht zitiert, das im Kosovo nicht totzukriegen sei: Angela Merkel habe versprochen, "dass jedem Kosovaren in DEU geholfen wird". Es folgt die Warnung vor Kontrollverlust: "Immer wieder neue, nur zum Teil falsche Informationen über Aufenthaltsmöglichkeiten/Sozialleistungen in der EU, vor allem aber in DEU, haben eine Dynamik erzeugt, die kaum noch kontrolliert werden kann."
Frühjahr 2015: Alle Zahlen sind Makulatur. Langsam macht sich eine Ahnung breit, was auf Deutschland zukommt. Selbst das BAMF reagiert. Im Februar schraubt die Behörde ihre Prognose für das noch junge Jahr hoch. 2015 werden nun offiziell 250.000 neue Asylbewerber erwartet. Darauf sollen sich Länder und Kommunen jetzt vorbereiten.
Juni 2015: Die Krise ist da. Am 10. Juni wird der Innenausschuss des Bundestags über die signifikant gewachsene Zahl der Flüchtlinge informiert, in nicht öffentlicher Sitzung. Als Referent ist Fabrice Leggeri geladen, Direktor der europäischen Grenzschutzagentur Frontex. Er warnt - laut Wortprotokoll mit dem Stempel "Nur zur dienstlichen Verwendung" -, "dass die irregulären Grenzübertritte von der Türkei nach Griechenland im Vergleich zum Vorjahr um 550 Prozent gestiegen sind".
Juli 2015: Ein tragischer Held. Thomas de Maizière, zuständig für die innere Sicherheit Deutschlands, muckt auf. Anfang Juli, kurz vor der Sommerpause des Bundestags, äußert er sich intern im kleinen Kreis ausgesprochen kritisch zur Flüchtlingspolitik seiner Regierung. Doch offiziell trägt er den Kurs der Kanzlerin mit. Im Kanzleramt ist man ihm nicht grün. Die Bundeskanzlerin will von Einwänden gegen ihre Flüchtlingspolitik nichts wissen.
Spätsommer 2015: Die Sphinx von Berlin. Jetzt sagt die Kanzlerin: Nein, nicht blöd gelaufen - genau so, wie es läuft, läuft es richtig. In ihren heute historischen Worten: "Unser Asylrecht kennt keine Obergrenze." Und: "Wir schaffen das!" Und: "Wir können die Grenzen nicht schließen." Mit anderen Worten: Es ist, wie es ist, und wie es ist, ist es gut. Merkel entscheidet am 4. September gegen alle Bedenken, Tausende aus Ungarn via Österreich einreisen zu lassen - und nicht, um mal kurz Dampf abzulassen, sondern auf Dauer.
August 2015: "Pack" gegen "Volksverräter". Im Land gerät die Lage immer häufiger außer Kontrolle. In täglichen Telefonkonferenzen mit de Maizières Staatssekretärin Emily Haber fordern sie vom Bund endlich eine realistische Einschätzung der Lage. Inzwischen kommen täglich fast 7000 Flüchtlinge. Der Innenminister erhöht die Prognose für 2015 auf 800.000. Syrer, die es nach Deutschland geschafft haben, senden per Handy Fluchttipps in die Heimat. Wer es klug anstellt, braucht kaum mehr zwei Wochen von Syrien nach Deutschland. Ein neuer Schub setzt ein, als Berlin Ende August das "Dublin-Verfahren für syrische Staatsangehörige" aussetzt.
September 2015: Angela Merkels Nacht. In München stranden an einem Wochenende über 20.000 Menschen. Aber eine niederländische Zeitung fragt: "Wie lange halten die Deutschen das durch?" Ein Mitarbeiter des Kanzleramts erscheint: Merkel habe 50 Flüchtlinge im Schlepptau. Alle wollten Selfies mit ihr. Das geht so weiter, als die Kanzlerin schon vor den Kameras steht. Es dauert, bis Merkel sie stoppt: "Nein, jetzt nicht. Ich muss jetzt etwas sagen." Da sind die Selfies längst auf dem Weg durchs Internet, durch die Flüchtlingslager dieser Welt. Es funktioniert wie eine Facebook-Party, die völlig aus den Fugen gerät, weil statt 50 Gästen plötzlich 5000 kommen. Die Länder sind völlig überrascht worden von der Einreiseerlaubnis der Kanzlerin.
Oktober 2015: Hauen und Stechen. Merkel spürt den Druck. Die Umfragewerte der Union fallen auf den niedrigsten Stand seit der Bundestagswahl. Die Hälfte der Deutschen hält den Umgang der Regierung mit der Flüchtlingskrise für falsch.
November 2015: Wir tun was. Dieser deutsche Herbst ist noch lange nicht vorüber. Eben kommt aus Brüssel die neueste Prognose für 2016: Drei Millionen erwartet Europa im nächsten Jahr.