Sprachlehrer von Geflüchteten: deutsche Grundwerte "bei den meisten nicht angekommen"

Von:
Carina Ottillinger

Stand: 02.09.2025, 13:30 Uhr

Im Jahr 2015 kamen Tausende Flüchtlinge nach Deutschland, viele von ihnen auch in die Sprachkurse von Vanamali Gunturu. Heute ist er maximal ernüchtert.

Germering - Der Germeringer Lehrer erinnert sich an Analphabeten aus syrischen Bergdörfern, traumatisiert von Krieg und Flucht - und an die Mühe, ihnen Grundlagen der Schrift beizubringen. Zehn Jahre später zieht er eine ernüchternde Bilanz: Sprache allein reicht für Integration nicht.

Integration bedeutet, Werte zu akzeptieren und sie sich zu eigen zu machen: Vanamali Gunturu arbeitet als Sprachlehrer.
© Walter Weiss

Sprachschüler nehmen andere Flüchtlinge begeistert in Empfang

Es war ein warmer Septembertag 2015, als einige von Vanamali Gunturus Sprachschülern in München den Unterricht schwänzten. Statt Deutsch zu lernen, fuhren sie an den Hauptbahnhof - um ihre Landsleute zu begrüßen, die nach der Flucht vor dem Islamischen Staat aus Syrien oder Afghanistan ankamen. Mit Wasserflaschen und Spielzeugen für die Kinder wollten sie ein Zeichen der Willkommenskultur setzen. "Die Schüler waren so begeistert von diesem Strom von Flüchtlingen, dass sie hingefahren sind und sie in Empfang genommen haben", erinnert sich Gunturu.

Sprachlehrer kommst selbst aus Indien

Vanamali Gunturu stammt aus einer Gelehrtenfamilie in Indien. Dort studierte er Literatur, Geschichte und Philosophie, bevor er in München in westlicher Philosophie promovierte. Der Germeringer veröffentlichte Bücher über Krishnamurti, Gandhi und den Hinduismus. Seit über 20 Jahren unterrichtet er in München, seit 2019 an der Volkshochschule Germering. Im kommenden Semester bietet er dort wieder drei Deutschkurse an.

"Nahezu unmöglich": Viele Analphabeten in der Sprachklasse

2015 begann für ihn eine besondere Phase: Viele Kurse wurden kurzfristig eingerichtet, vor allem für Analphabeten. "Die waren in ihrem Leben nie mit einem Bleistift in Berührung gekommen. Ich hatte einmal eine Klasse mit 25 Teilnehmern, alle Analphabeten", erzählt er. Viele stammten aus abgeschiedenen Bergdörfern, ohne je eine Schule besucht zu haben - und sie brachten die schweren Traumata von Krieg und Flucht mit. Gerade bei dieser Gruppe stieß die Sprachvermittlung schnell an Grenzen: "Sie so weit zu bringen, dass ein Buchstabe Wörter bildet, die wieder Sätze ergeben - das ist nahezu unmöglich".

Hinzu kam die kulturelle Distanz. "In Deutschland ist Lernen immer auf die Zukunft gerichtet. In anderen Kulturen ist dieses Denken gar nicht so selbstverständlich. Ohne Planung sieht man auch keine Notwendigkeit, eine Sprache zu lernen". Für ihn als Vater von zwei Kindern Anfang Zwanzig sei diese pessimistische Haltung schlimm mitanzusehen gewesen.

"Ein Sozialhilfeempfänger wird zum Steuerzahler, das ist die Definition des Staates von Integration", sagt Gunturu nüchtern. "In diesem Sinn hat es funktioniert." Doch für ihn ist Integration mehr: "Es reicht nicht, wenn jemand die Sprache spricht und arbeitet. Integration bedeutet, Werte zu akzeptieren und sie sich zu eigen zu machen".

Werte der deutschen Gesellschaft: Pünktlichkeit, Respekt

Seine Erfahrung fällt ernüchternd aus. Pünktlichkeit, Sauberkeit, gegenseitiger Respekt - Grundwerte der deutschen Gesellschaft seien "bei den meisten nicht angekommen". Oft habe er erlebt, dass Teilnehmer zu spät kamen oder den Unterricht störten, ohne dass Schulen oder Behörden eingriffen. "Der Staat hätte viel mehr fordern müssen. Die Erwartungshaltung fehlt".

So klingt Gunturu oft streng, manchmal bitter. "Vielleicht sind nur 30 bis 40 Prozent aus dem Analphabetentum herausgekommen", schätzt er. Und doch taucht in seinen Erinnerungen auch Freude auf. Eine ehemalige Teilnehmerin traf er als Arzthelferin wieder, ein afghanischer Schüler schrieb ihm stolz, er habe die B1-Prüfung bestanden. "Das sind Glücksmomente. Ihr Erfolg ist auch mein Erfolg."

Religion ist für viele Migranten wichtig: Führt zu "unwürdigen Konflikten"

Einen weiteren fundamentalen Gegensatz sieht Gunturu im Verhältnis zur Religion: "Die deutsche Gesellschaft hat die Religion überwunden. Religion ist kein Bestandteil ihrer Identität. Religion ist der wichtigste Bestandteil der Identität der meisten Migranten, was zu unwürdigen Konflikten führt."

Ob Deutschland die Flüchtlinge von 2015 integriert hat? Für Gunturu lautet die Antwort: nur teilweise. "Spracherwerb allein bedeutet nicht Integration.". Entscheidend sei die Haltung - und die Bereitschaft, Werte anzunehmen. Ihr Gelingen sei zudem davon abhängig, wie groß die Schnittmenge der Werte zwischen Herkunftsland und Gastgeberland ist.

Seine eigene Liebe zur deutschen Sprache begann mit Franz Kafka. "Integration", sagt er, "beginnt schon, bevor man das eigene Land verlässt - mit der Offenheit für eine andere Kultur". Wobei ihm bewusst ist, dass er sein Land freiwillig verlassen hat - im Gegensatz zu vielen seiner Schüler, die durch Krieg und Verfolgung zur Flucht gezwungen wurden.

Germering - Vanamali Gunturu unterrichtet seit 2015 Geflüchtete in Deutsch - seine Bilanz nach zehn Jahren ist ernüchternd. Wie die Merkur-Reporterin Carina Ottillinger berichtet, sieht der Germeringer Lehrer nur bei einem Bruchteil seiner Schüler echte Integration.


Quelle: Merkur | TZ