Sparpläne Es geht um Tausende Jobs - Firmen sparen und stutzen Verwaltungen

18.12.2023 - 03:59 Uhr aktualisiert

Bert Fröndhoff

Teamleiter Industrie im Unternehmensressort des Handelsblatts. Der Absolvent der Georg von Holtzbrinck-Schule für Wirtschaftsjournalisten covert Chemie- und Pharmaunternehmen, Beratungsgesellschaften und Wirtschaftsprüfer und widmet sich Management- und Strategiethemen. Eine Sparwelle in der Wirtschaft trifft vor allem die Bürojobs. Es ist nicht allein eine Reaktion auf die Krise: Firmenverwaltungen gelten als behäbig und werden digitalisiert. Düsseldorf. Zahlreiche Konzerne haben in den vergangenen Wochen neue oder erweiterte Pläne für mehr Effizienz und Kostensenkungen angekündigt. Vor allem Firmenverwaltungen sind davon betroffen und werden teils kräftig gestutzt - etwa bei VW, Continental, Bosch, Lanxess und Merck KGaA.

Vor allem in den Zentralen sparen viele Konzerne derzeit.
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Drei Treiber gibt es für die Entwicklung:

Der Druck auf die Renditen sei gerade in den produzierenden Industrien hoch und verschärfe sich seit Monaten, sagt Andreas Rüter, Deutschlandchef der Beratungsgesellschaft Alix Partners.

Der erfahrene Restrukturierungsexperte beobachtet: "Unternehmen zünden jetzt die nächste Stufe bei Kostensenkungen. Die Einschnitte werden tiefer - was lange Zeit als ,heilige Kuh' galt, wird jetzt hinterfragt."

Zwar haben Firmen schon Anfang des Jahres mit Einsparungen begonnen. Damals beschränkte sich es aber überwiegend auf Reisebudgets, Beraterkosten, Einstellungsstopps und Liquiditätssicherung. Mit fortschreitender Krise geht es jetzt vor allem an die Personalkosten.

Weitere Sparprogramme in der Schublade

In Industriekreisen heißt es, viele weitere große Unternehmen hätten ausgearbeitete Pläne für deutliche Kostensenkungen inklusive Stellenabbau in der Schublade. Falls sich die Konjunktur im ersten Halbjahr 2024 nicht erkennbar verbessere, dürfte es auch dort zu Einschnitten kommen, sagte der CEO eines großen Dax-Konzerns dem Handelsblatt.

Und danach sieht es aktuell aus. Zwar sehen Unternehmen eine Stabilisierung der Nachfrage. Auf das Jahr 2024 blicken sie aber mit großer Sorge, ergab eine aktuelle Umfrage des internationalen Kreditversicherers Atradius.

Danach bewerten 88 Prozent der Unternehmen die Aussichten für die wirtschaftliche Entwicklung im kommenden Jahr als eher trübe. Sie erwarten mehrheitlich eine Stagnation oder gar Rezession.

Für dieses Szenario rüsten sich viele Unternehmen. Volkswagen verhandelt aktuell mit den Arbeitnehmervertretern über ein massives Sparpaket im Volumen von zehn Milliarden Euro. Noch vor Weihnachten sollen die Details festgezurrt werden. Klar ist: "Wir müssen künftig an vielen Ecken mit weniger Leuten auskommen", sagt VW-Markenchef Thomas Schäfer.

Das gilt vor allem im indirekten Bereich, also in der Verwaltung. Dort sollen Personalkosten um ein Fünftel sinken. Laut Unternehmenskreisen soll eine mittlere bis hohe vierstellige Zahl an Stellen abgebaut werden - bevorzugt über Altersteilzeit und Vorruhestand.

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Vor einem umfassenden Umbau steht auch die Verwaltung des Autozulieferers Continental. Der Dax-Konzern kündigte einen größeren Stellenabbau in den Zentralfunktionen und in der Forschung & Entwicklung seiner Automotive-Sparte an. Unternehmenskreisen zufolge sind 5000 Arbeitsplätze in Gefahr.

Keine betriebsbedingten Kündigungen

Bei Konkurrent Bosch stehen in den kommenden Jahren rund 1500 Arbeitsplätze in den Bereichen Entwicklung, Verwaltung und Vertrieb zur Disposition, wie der Konzern bestätigt. Gründe seien die anhaltend schwache Weltwirtschaft und der veränderte Beschäftigungsbedarf durch den Wandel zur E-Mobilität.

Betriebsbedingte Kündigungen soll es wie bei VW keine geben - auch die Stuttgarter dürften auf Altersteilzeit und Abfindungen setzen. Und bei Bosch sind ebenfalls vorrangig Bürojobs betroffen, gleiches gilt für die Kostensenkungsprogramme in der Chemie.

Die Lanxess AG will weltweit 870 Stellen in der Verwaltung streichen, überwiegend in der Zentrale in Köln und an den NRW-Standorten. Der Pharmakonzern Merck aus Darmstadt reagiert auf den deutlichen Umsatzrückgang mit dem Abbau von 550 Positionen in Zentralfunktionen wie IT, Einkauf, Personal und Recht.

"Bei Sparprogrammen geraten regelmäßig zuerst die Verwaltungsfunktionen und Zentralen in den Fokus", sagt Fabian Huhle, Partner bei der Unternehmensberatung Roland Berger. "Kostensenkungen werden dort als weniger risikoreich empfunden als im klassischen operativen Kerngeschäft."

Chemie-Anlage von Lanxess: Die Produktion bleibt vom Sparkurs verschont.
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Tatsächlich taucht auf kaum einer Streichliste die Produktion auf. Ein Grund dafür: Noch mehr als die Konjunkturkrise fürchten die Unternehmen den Facharbeitermangel. Sie setzen alles daran, die Mannschaft in den Werken zu erhalten, um schnell auf steigende Nachfrage reagieren zu können - wann auch immer die kommt.

Zwar stehen den Firmen prinzipiell weiterhin die staatliche Unterstützung durch Kurzarbeiter-Geld offen. Doch der erleichterte Zugang dazu, wie er in der Coronapandemie eingeführt wurde, ist seit Juli dieses Jahres aufgehoben.

Entscheidender für den Fokus auf die Verwaltungen aber ist: Die Unternehmen planen dort keine übergangsweisen Einsparungen, sondern eine grundlegende Neuorganisation.

Bei VW, Conti, Lanxess und Merck sollen dauerhaft Stellen wegfallen. Zum einen sehen die Unternehmen noch immer den sogenannten "Speck" in den Bürofunktionen. Zum anderen macht die zunehmende Digitalisierung auch viele manuelle Tätigkeiten überflüssig.

Verwaltungen neigen zum Aufblähen

Restrukturierungsexperte Rüter beobachtet, dass die Kosten in den Verwaltungs- und Vertriebsfunktionen in den letzten Jahrzehnten deutlich stärker zugelegt haben als in anderen Unternehmensbereichen.

Das lag an wachsenden regulatorischen Anforderungen, an der zunehmend komplexeren Steuerung von Unternehmen - oder einfach daran, dass Verwaltungsabteilungen zum Aufblähen neigen und dies in wirtschaftlich guten Zeiten nicht weiter auffällt und stört.

"In Zeiten von stagnierenden oder sogar zurückgehenden Umsätzen stoßen die Unternehmen nun an die Grenzen", sagt Rüter. Sie würden alle Aufgaben grundsätzlich hinterfragen und sich wesentlich höhere Einsparziele bei den Verwaltungs- und Vertriebskosten setzen.

Statt wie bisher hier und da zehn Prozent der Kosten zu streichen, würden Kunden von Alix Partners eine Größenordnung von 15 bis 40 Prozent anstreben.

Telekom-Zentrale in Bonn: Viele Prozesse werden digitalisiert.
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Das geht nicht ohne tiefere Einschnitte oder eine weitgehende Neugestaltung der Arbeit in den Unternehmenszentralen - etwa über den Einsatz von Digitaltechnik. Vor allem in Funktionen wie Finanzen, Personal und Recht setzt sich die so genannte Robotic Process Automation immer mehr durch.

Dabei handelt es sich um lernende Software, die einfache wiederkehrende Aufgaben im Umgang mit großen Datenmengen erledigt. Es geht etwa um die Verarbeitung von Rechnungen, die in Firmen bisher millionenfach per Hand von Mitarbeitern erfolgt.

"Es lohnt sich, immer wieder die in den Zentralen angesiedelten Aufgaben zu hinterfragen - und auch das Wie. Denn gerade dort werden Prozesse zunehmend digitalisiert", beobachtet Roland-Berger-Partner Huhle.

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20 bis 30 Prozent der manuellen Tätigkeiten etwa im klassischen Formularwesen oder in der Buchhaltung könnten automatisiert werden. "Lösungen mit Künstlicher Intelligenz werden die Prozesse noch einmal revolutionieren", erwartet der Experte.

Beim geplanten Kostensenkungsprogramm der Deutschen Telekom mit dem Namen "Booster" spielt genau dies offenbar eine Rolle. In der Konzernzentrale sollen "Doppelstrukturen" abgebaut und die Prozesse mithilfe von Automatisierung beschleunigt werden, heißt es in Unternehmenskreisen.

Dabei werde auch ein Stellenabbau erörtert. Die Telekom bestätigt das "Booster-Projekt", ob es dadurch zur Personaleinschnitten komme, sei aber offen.

Neuer Bayer-Chef Bill Anderson: Weniger Bürokratie und Hierarchien.
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Revolutionieren wollen viele ihre Zentralfunktionen auch auf anderem Wege: CEOs zeigen sich mittlerweile äußerst unzufrieden mit der schwerfälligen internen Arbeitsweise. "Die meisten großen Industrieunternehmen stecken in einem überkommenen Betriebsmodell fest, das im Kern auf Hierarchien und Bürokratie aufbaut", sagt der neue Bayer-Chef Bill Anderson.

Zwölf Hierarchie-Ebenen zwischen dem CEO und dem Kunden gibt es bei Bayer, verbunden mit entsprechend vielen Abstimmungsschleifen. Anderson plant nun einen drastischen Umbau der Bayer-Verwaltung, um die Entscheidungen schneller zu machen. Teilweise sollen mehr als die Hälfte der Ebenen wegfallen.

Künftig sollen sich neue "Mission-Teams" bei Bayer selbst organisieren und Entscheidungen selber treffen. Verbunden ist dies mit einer "erheblichen" Zahl von Stellenstreichungen im Management, wie der Amerikaner sagt. Eine genaue Zahl steht noch nicht fest.

Evonik-Chef: "Wir sind zu komplex"

Ein ähnliches Projekt treibt der Essener Chemiehersteller Evonik gerade voran. Ein internes Team soll bis zum kommenden Frühjahr ein maßgeschneidertes Modell für eine vollständig neue Verwaltung des Konzerns mit modernen Strukturen ausarbeiten.

Nahezu 8600 Organisationseinheiten hat der Konzern aktuell, acht Hierarchie-Ebenen liegen zwischen Produktion und Vorstand, auf vier Mitarbeiter kommt eine Führungskraft. "Das ist zu komplex und zu teuer", sagt CEO Christian Kullmann.

Wie viele Stellen betroffen sind, kann Evonik noch nicht absehen. Klar aber ist: "Wir werden in Zukunft weniger Funktionen und Führungskräfte haben", sagt Kullmann.

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