14.10.2024 - 16:59 Uhr
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Berlin. Der finanzielle Druck auf die Beitragszahler wächst. Das zeigen neue, bisher unveröffentlichte Zahlen, die dem Handelsblatt vorliegen. Gesetzlich Versicherte zahlen jedes Jahr Milliarden für Aufgaben, die eigentlich nicht zur Krankenversicherung gehören. Das gilt auch für die Rentenversicherung.
Im Jahr 2023 betrugen die Gesamtausgaben des Gesundheitsfonds 305,3 Milliarden Euro. Davon wurden 59,8 Milliarden Euro für Leistungen ausgegeben, die laut den Studienautoren eigentlich nicht von den Krankenkassen bezahlt werden sollten. Eine einheitliche Definition für versicherungsfremde Leistungen gibt es zwar nicht, die Wissenschaftler haben sich diese aber mittels Fachliteratur hergeleitet. Die Studie wurde von der IKK Plus in Auftrag gegeben.
Beim Beitragssatz von im Schnitt 16,3 Prozent entspricht das 3,51 Beitragssatzpunkten. Der Bundeszuschuss von in diesem Jahr rund 14 Milliarden Euro reiche nicht aus, um diese Kosten zu decken, so die Autoren. Oder auf den Einzelnen heruntergerechnet: Gesetzlich Versicherte zahlen derzeit etwa 740 Euro pro Jahr für Leistungen, die die Krankenkasse nicht übernehmen müsste.
Ausschlaggebend dabei seien die Kosten für Krankenhausinvestitionen. Diese sind von 2,6 Milliarden Euro im Jahr 2016 auf 3,8 Milliarden Euro im Jahr 2023 gestiegen, was einem Plus von etwa 45 Prozent entspricht. Im Jahr 2022 gab die gesetzliche Krankenversicherung 9,2 Milliarden Euro für Menschen aus, die Bürgergeld erhalten. Außerdem sind seit 2016 neue Aufgaben hinzugekommen, etwa die Digitalisierung des Gesundheitswesens und die Ausbildung von Pflegekräften.
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Die gesetzlich Versicherten sind die Dummen
Die Krankenkassen übernehmen der Studie zufolge auch immer mehr Kosten für den Umbau von wichtigen Gesundheitseinrichtungen. Laut der WIG2-Studie sind in einem Jahr 1,3 Milliarden Euro in die elektronische Patientenakte und den Betrieb der elektronischen Gesundheitskarte geflossen. Die Telematikinfrastruktur, das Datennetz für das Gesundheitswesen, wird zu 93 Prozent von der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) finanziert, während die privaten Krankenversicherungen nur sieben Prozent beisteuern.
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Kunden der privaten Krankenversicherungen die Telematikinfrastruktur bisher nur teilweise nutzen. So bekommen gesetzlich Versicherte ab dem nächsten Jahr automatisch eine elektronische Patientenakte, während private Versicherer ihren Kunden die E-Akte freiwillig anbieten.
Das Bundesfinanzministerium muss hier eine klare rote Linie ziehen.
David Matusiewicz
Gesundheitsökonom an der FOM Hochschule
Neben der digitalen Infrastruktur zahlen die Krankenkassen auch für weitere versicherungsfremde Aufgaben. Dazu gehören 200 Millionen Euro für die Förderung der Versorgungsforschung im Rahmen des Innovationsfonds, 37 Millionen Euro für den Ausbau der Notfallversorgung und 68 Millionen Euro für wichtige Krankenhäuser im ländlichen Raum.
David Matusiewicz, Gesundheitsökonom an der FOM Hochschule in Essen, weist darauf hin, dass bisher eine klare Definition von versicherungsfremden Leistungen fehlt. "Hier gibt es viel Spielraum", sagt er. Es müsse dringend klar formuliert werden, was erlaubt ist und was nicht. "Das Bundesfinanzministerium muss hier eine klare rote Linie ziehen", fordert er.
Die Verfasser der WIG2-Studie machen zudem deutlich, dass der Bundeszuschuss bisher nicht ausreicht. Der Bund gibt den Krankenkassen seit 2003 jedes Jahr einen festen Zuschuss von 16,6 Milliarden Euro. Doch die Ausgaben für Leistungen, die eigentlich nicht von den Krankenkassen bezahlt werden sollten, betragen 59,8 Milliarden Euro. Das bedeutet, dass es ein Defizit von 43,2 Milliarden Euro gibt, was 2,54 Beitragssatzpunkten entspricht.
Diese Woche treffen sich Vertreter der Krankenkassen, des Gesundheitsministeriums und des Finanzministeriums, um eine Prognose für die Beitragshöhe im nächsten Jahr zu erstellen. Diese Schätzung ist wichtig, da sie auch bestimmt, wie viel Zuschuss die Krankenkassen bekommen.
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Der nächste Offenbarungseid von Karl Lauterbach
Die Herausforderung, immer mehr versicherungsfremde Leistungen zu finanzieren, betrifft nicht nur die Beitragszahler der gesetzlichen Krankenkassen. Auch in der Rentenversicherung hat der Bund mehrfach seine Zuschüsse gekürzt und plant, dies bis 2027 fortzusetzen.
Die Zahlungen aus dem Bundeshaushalt sichern nur teilweise die Rentenzahlungen und stabilisieren den Beitragssatz. Der Bund kommt auch für gesamtgesellschaftliche Aufgaben auf, für die die Rentenversicherung keine Beiträge erhält, wie etwa Kindererziehungszeiten oder Zeiten der Schulausbildung. Auch die abschlagsfreie Rente für langjährige Versicherte fällt unter nicht beitragsgedeckte Leistungen.
In der letzten Auswertung für das Jahr 2020 schätzte die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV) die nicht beitragsgedeckten Leistungen auf 112,4 Milliarden Euro. Rund 37 Milliarden Euro dieser Summe waren nicht durch Bundeszuschüsse gedeckt und mussten von den Beitragszahlern finanziert werden.
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Der Bund hat, um den eigenen Haushalt zu entlasten, die Zuschüsse kräftig gekürzt und plant, dies im aktuellen Haushaltsentwurf weiterzuführen. Dies könnte dazu führen, dass der Rentenbeitragssatz im Jahr 2028 um 0,1 Prozent stärker steigt als ohne die Kürzungen. Diese Erhöhung würde für Arbeitnehmer und Arbeitgeber eine Mehrbelastung von insgesamt rund 1,6 Milliarden Euro bedeuten.
Zusätzlich könnte die geplante Wachstumsinitiative der Bundesregierung, die darauf abzielt, die Konjunktur zu stimulieren, weiteren Beitragsdruck erzeugen. Einzelne Maßnahmen, wie steuer- und abgabenfreie Überstundenzuschläge, könnten der Rentenkasse Einnahmen entziehen und somit die Beitragszahler zusätzlich belasten.
In der Arbeitslosenversicherung plant der Bund ebenfalls eine Kostenverschiebung von den Steuermitteln auf die Beitragszahler. Ab dem kommenden Jahr tragen die beitragsfinanzierten Arbeitsagenturen die Kosten für die berufliche Weiterbildung und Rehabilitation von erwerbsfähigen Bürgergeld-Empfängern - und nicht mehr die steuerfinanzierten Jobcenter.
Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) spart so 900 Millionen Euro im Bundeshaushalt, die nun durch die Beitragszahler zur Arbeitslosenversicherung aufgebracht werden müssen. Auch hier könnte die geplante Wachstumsinitiative eine zusätzliche Belastung darstellen. Andrea Nahles, die Chefin der Bundesagentur für Arbeit, kritisierte den "Verschiebebahnhof zulasten der Beitragszahler" scharf. Hier sei "das Ende der Fahnenstange erreicht".
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