Von Felix Wadewitz
19.06.2021, 07.09 Uhr
Kitack Lim neigt nicht zu Wutanfällen, auch berufsbedingt. Diese Woche war das anders. Der Diplomat ist Generalsekretär der Uno-Organisation für die weltweite Schifffahrt (IMO) mit Sitz in London, wo Vertreter von 174 Staaten mitreden. In den vergangenen Tagen stand der Klimaschutz auf der Agenda, und es wurde gestritten wie lange nicht.
"Lassen Sie mich ganz offen sagen: Scheitern ist keine Option", rief Lim in die virtuelle Runde, als sich genau das abzeichnete. Die Staatengemeinschaft hat den Klimaschutz für die Schifffahrt erneut aufgeschoben. Über einen globalen CO²-Preis von 100 Dollar für die Schifffahrt, den auch Reedereien wie Hapag-Lloyd und Maersk unterstützen, soll erst in zwei Jahren überhaupt entschieden werden - vielleicht.
Die wenigen beschlossenen Maßnahmen für die nächsten Jahre wie höhere Effizienzstandards für bereits fahrende Schiffe und Neubauten halten Kritiker für wenig ambitioniert. Andere Tagesordnungspunkte wurden nach Auseinandersetzungen auf die nächsten Sitzungen des IMO-Umweltausschusses im Herbst oder noch später verschoben.
Es gibt zwar eine selbst gesteckte Vorgabe, den CO²-Ausstoß der Schifffahrt bis 2050 zu halbieren im Vergleich zu 2008. Doch um mit den Pariser Zielen kompatibel zu sein und die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, müssten Schiffe bis dahin klimaneutral unterwegs sein. John Kerry, Klimaschutzbeauftragter von US-Präsident Joe Biden, hatte deshalb kürzlich eine Reduktion der maritimen Emissionen auf null gefordert.
Aber selbst bei der Umsetzung des weniger ambitionierten Ziels hakt es. Und umso weniger in den nächsten Jahren passiert, desto größer müssten die Emissionsreduktionen danach ausfallen.
"Die Ergebnisse der Klimaverhandlungen sind extrem enttäuschend. Bei den kurzfristigen Maßnahmen hat man sich auf ein Weiter-so geeinigt, statt schnell wirksame Maßnahmen für die globale Schifffahrt zu beschließen", sagte Beate Klünder, Schifffahrtsexpertin bei der Umweltorganisation Nabu. "Im Ergebnis dürfen die Emissionen der Branche bis 2030 weiter um 16 Prozent ansteigen, fast so stark, wie sie es laut Prognose sowieso tun würden."
Auch auf eine kleine Abgabe auf Treibstoff von zwei Dollar pro Tonne, mit der die Entwicklung neuer Kraftstoffe finanziert werden sollte, einigten sich die IMO-Mitgliedstaaten nicht. Dabei war diese von den Reedereien und ihren internationalen Dachverbänden selbst ins Spiel gebracht worden.
"Der Vorschlag unserer Industrie liegt nun seit bald zwei Jahren auf dem Tisch, er setzt an dem entscheidenden Aspekt für die Dekarbonisierung der Branche an: Wir brauchen eine Revolution bei den Treibstoffen", sagte Alfred Hartmann, Präsident des Verbands Deutscher Reeder (VDR). Fünf Milliarden Dollar sollten so eigentlich zusammenkommen, um Ammoniak, Methanol oder Wasserstoff zu erforschen.
Die Zeit ist längst knapp. Aktuell halten sich die Unternehmen mit der Bestellung neuer Schiffe zurück - auch weil sie nicht wissen, welche Regeln von 2026 an gelten. "Angesichts der langen Lebenszeiten von Schiffen ist das quasi übermorgen", sagte Hartmann. "Ambitionen und das Tempo aber, mit denen die Mehrheit der Mitgliedstaaten bisher vorgeht, lassen zu wünschen übrig."
Beim Schiffsmotorenbauer MAN Energy Solutions, einer Volkswagen-Tochter, sieht man das ähnlich. "Das einzig Positive an den Ergebnissen ist, dass Schiffsbetreiber zukünftig den Energieverbrauch und die Emissionen anhand spezifischer Anforderungen bewerten sollen", erklärt Verkaufschef Bjarne Foldager. "Schiffseigner müssen dann möglicherweise technische oder betriebliche Maßnahmen umsetzen, um die Emissionen ihrer Schiffe auf das geforderte Niveau zu bringen." Für die maritime Energiewende sei vor allem aber ein globaler CO²-Preis notwendig.
In den Verhandlungen bei der IMO standen sich laut Teilnehmern vor allem EU-Mitglieder, darunter Deutschland, und die wieder auf Klimakurs eingeschwenkten USA auf der einen Seite sowie Länder wie Brasilien, Indien, China, Russland und Saudi-Arabien auf der anderen gegenüber. Diese fürchten um ihren wachsenden Wohlstand, wenn sich der Welthandel verteuert, und damit ihre Exporte. Nun könnten die EU und die USA verstärkt auf eigene Klimaregeln für die Schifffahrt setzen - was im grenzüberschreitenden Handelsverkehr neue Konflikte mit sich brächte.
Brüssel arbeitet schon am Emissionshandel für die Schifffahrt, die ähnlich wie der innereuropäische Luftverkehr in den Handel mit Verschmutzungsrechten integriert werden könnte. Für jede in der EU ausgestoßene Tonne CO² müssten Schiffsunternehmen dann Zertifikate bezahlen. Das EU-Parlament hat sich bereits dafür ausgesprochen.
"Die Europäische Union muss jetzt vorangehen", sagt Jutta Paulus (Grüne), Berichterstatterin für den maritimen Emissionshandel im Europaparlament, dem SPIEGEL. "Das Frustrierende für den Klimaschutz ist ja, dass die enttäuschenden Ergebnisse auf globaler Ebene letztlich nicht überraschen, sondern zu erwarten waren. Es läuft seit Jahren so ab."
Die EU müsste ihre Lektion nun endlich gelernt haben, so Paulus. Bis Mitte Juli sollen konkrete Pläne für den Emissionshandel vorliegen.