Stand: 10.06.2021 | Lesedauer: 6 Minuten
Von Kristian Frigelj
Korrespondent
Dieses Mal gab es eine Ausschreibung, und 27 Anbieter beteiligten sich. Am Ende setzte sich das Textilunternehmen van Laack durch: Die Polizei von Nordrhein-Westfalen erhält bald 1,25 Millionen neue Stoffmasken.
Im Kampf gegen die Corona-Pandemie wurde die Bevölkerung per Verordnung längst zum Tragen von FFP2-, KN95- oder OP-Masken verpflichtet. Polizisten in NRW ist es hingegen erlaubt, situationsabhängig zu wählen - "im Regelfall haben wir die Alltagsmasken und die FFP2-Maske für bestimmte Situationen", erklärte NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) einmal im Landtag.
Es war ein Auftrag mit Problemen und Peinlichkeiten. Beim ersten Versuch im November 2020 hatte das Landesamt für Zentrale Polizeiliche Dienste mit Sitz in Duisburg auf eine Ausschreibung verzichtet und direkt mit van Laack verhandelt. Die Lieferung erfolgte im Dezember.
Man berief sich auf die Ausnahmesituation in der Pandemie, sah eine "äußerste Dringlichkeit"; doch es gab eine Beschwerde bei der Vergabekammer Rheinland und ein Nachprüfungsverfahren. Der Auftrag wurde rückabgewickelt, weil das übergeordnete NRW-Innenministerium die Risiken einer juristischen Niederlage als zu groß einschätzte.
Also wurde beim zweiten Mal eine Ausschreibung gemacht. Dass ausgerechnet van Laack den Zuschlag bekam und seine Ware letztlich doch noch loswird, hinterlässt bei Wettbewerbern und Opposition einen schalen Beigeschmack. Doch rechtlich gibt es bisher nichts daran zu deuteln.
Immerhin ist der Preis nun wesentlich niedriger; van Laack verlangt nicht mehr 1,30 Euro pro Maske, sondern 0,49 Cent, wie die Presseagentur des Unternehmens auf WELT-Anfrage bestätigte. Statt 1,625 Millionen Euro netto kostete die Ware demnach 0,613 Millionen Euro. Das Land NRW hat also viel Geld gespart.
Dieses Beispiel ist ein Lehrstück darüber, warum Wettbewerb und Vergaberegeln so wichtig sind. In der ersten Zeit der Pandemie herrschte regelrechte "Goldgräberstimmung", so wie es Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) - der zurzeit selbst mit einer Maskenaffäre zu kämpfen hat - einmal ausgedrückt hat. Er beklagte jüngst "Wildwest"-Praktiken und dass Unternehmen die Notsituation für unanständige Gewinnmargen ausgenutzt hätten.
Umgekehrt lässt sich auch sagen, die Regierenden haben den Firmen das Ausnutzen erleichtert, weil übliche Vergaberegeln quasi außer Kraft gesetzt wurden. In NRW ließen sich die zuständigen Ministerien nicht einmal von Bedenken des hiesigen Landesrechnungshofes beeindrucken.
Es gibt weitere Fälle in NRW, die exemplarisch zeigen, wie unsensibel Beamte bei der freihändigen Auftragsvergabe agierten. Im spektakulärsten Fall ist ausgerechnet NRW-Ministerpräsident und Unionskanzlerkandidat Armin Laschet verwickelt.
Über seinen Sohn Johannes, der als Modeblogger auch Ware von van Laack präsentiert, bekam der Unternehmenschef direkten Zugang zum Regierungschef. Zahlreiche andere Anbieter, die auf vorgeschriebenem Wege den Kontakt gesucht hatten, gingen leer aus. Noch bitterer für sie ist, dass van Laack noch nicht mal fertige Schutzkittel vorweisen konnte, sondern lediglich den Stoff.
Mithilfe des Landes wurde ein produktionsreifes Exemplar entwickelt. Die Bestellung erfolgte erst am 20. April. Damit relativiert sich das Argument von Laschet: Es habe ja ganz schnell gehen müssen. 38,5 Millionen Euro für zehn Millionen Schutzkittel kostete dieser Auftrag mit quasi staatlicher Entwicklungshilfe.
"Es gab im Frühjahr 2020 übrigens genügend Anbieter für Schutzmasken und -kittel. Wir hätten im März 2020 eine Million davon liefern können, obwohl wir neu in diesem Geschäft waren", erzählt auf WELT-Anfrage ein Unternehmer aus dem Ruhrgebiet, der ungenannt bleiben will, weil er geschäftliche Nachteile befürchtet.
Man habe damals "sehr wohl Preise und Lieferzeit in einem schnellen Verfahren vergleichen können. Wer etwas anderes behauptet, erzählt Legenden." Ein juristisches Gutachten im Auftrag der SPD-Landtagsfraktion kommt sogar zu dem Schluss, dass die alleinige Verhandlung mit van Laack "rechtswidrig" gewesen seien.
Der Unternehmer aus dem Ruhrgebiet beklagt, dass er auf die üblichen Kontaktadressen verwiesen worden sei und "keinen exklusiven Zugang zur Landesregierung" wie van Laack hatte: "Das empfinde ich als extrem unfair und unredlich. So sollte ein Ministerpräsident nicht mit der heimischen Wirtschaft umgehen - auch nicht in einer Krise."
Einen besonderen Zugang zur Landesregierung bekam die Schweizer Firma Emix, die auch für 670 Millionen Euro Schutzausrüstung an die Bundesregierung verkaufte. Als Vermittlerin im Bund wie in NRW fungierte die PR-Agentin Andrea Tandler. Sie ist die Tochter des Ex-CSU-Politikers Gerold Tandler und soll beim Run auf die Maskendeals Provisionen in Millionenhöhe kassiert haben.
Den Kontakt nach NRW vermittelte die damalige bayerische Landesgesundheitsministerin Melanie Huml (CSU) - die inzwischen Europaministerin des Freistaats ist - angeblich sogar direkt an ihren Amtskollegen Karl-Josef Laumann (CDU). Das sei geschehen "im Rahmen gemeinsamer Versuche von Bayern und Nordrhein-Westfalen, Schutzmaterial auf dem Weltmarkt zu organisieren", teilt die NRW-Landesregierung in einer Antwort auf eine SPD-Anfrage mit.
Das Angebot für die Schutzmasken sei dem Ministerium "nicht unmittelbar" durch das Unternehmen Emix vorgelegt worden, sondern durch Tandler. Der Kontakt mit Tandler sei "ausschließlich auf der Arbeitsebene" gelaufen. Eine Rechercheanfrage von WELT an Tandler blieb unbeantwortet. Am Ende gab das NRW-Gesundheitsministerium im März 2020 eine Million FFP2- und KN95-Masken in Auftrag, für 9,90 Euro pro Stück. Geliefert wurden insgesamt 527.200 KN 95-Masken zu einem Kaufpreis von 5.219.280 Euro.
"Der mit der Firma Emix vereinbarte Preis war hoch, bewegte sich jedoch in einem für die damaligen Verhältnisse üblichen Rahmen", heißt es in der Antwort der Landesregierung. Es mussten "wegen des weltweiten Ansturms auf Schutzausrüstung Erfolg versprechende kurzfristige Angebot genutzt werden, um dadurch eine Gefahr für Leib und Leben abzuwenden".
Die SPD-Landtagsfraktion hat noch zahlreiche Fragen zu diesen Vorgängen. Unter anderem interessiert die Opposition, warum bei Emix ein viel höherer Preis als bei anderen Geschäften akzeptiert wurde.
Eine neue Information dürfte ebenfalls für Irritationen sorgen: Dass von Huml ein direkter Hinweis an Laumann gekommen sei, wird in Bayern dementiert. WELT fragte bei Huml nach, bei welcher Gelegenheit sie ihren Ministerkollegen Laumann informiert habe. Ein Sprecher des bayerischen Gesundheitsministeriums antwortete: "Diese Aussage lässt sich von hier aus nicht nachvollziehen."
Auf erneute Nachfrage gab es am Anfang dieser Woche noch eine Präzisierung vom Ministerium in München: "Frau Staatsministerin Huml hatte keinen Kontakt mit Frau Tandler. Ein Hinweis auf besagte Person an Minister Laumann (NRW) ist ihr nicht in Erinnerung."
Quelle: welt.de vom 10.06.2021