Donnerstag, 24.08.2017, 13:26
Der Fall macht deutlich, wie einfach es in Deutschland offenbar ist, gleichzeitig mit verschiedenen Namen an mehreren Orten zu leben.
Im gesamten Bundesgebiet verzeichnet die Polizei steigende Zahlen an falschen Ausweisdokumenten, wie die Reportage "ZDFzoom" zeigt. Die polizeiliche Kriminalstatistik verzeichnet für das Jahr 2016 3111 Fälle von versuchter Beschaffung gefälschter Ausweise. Im Jahr 2015 waren es noch 1565. Das ist ein Anstieg von 99 Prozent. Die tatsächlichen Zahlen liegen Experten zufolge deutlich höher.
Die Reportage zeigt, dass es einen regelrechten Boom auf dem Markt für gefälschte Dokumente gibt. Die Fälschernetzwerke agieren demnach europaweit, kooperieren mit Mitgliedern in jedem erdenkbaren Ausland: Sie haben Spitzel in den griechischen Flughäfen, sie haben Schleuser an der griechisch-bulgarischen Grenze, sie haben Leute, die sie in Wien empfangen und auch in Deutschland, sagt Zacharias Kesses, ein griechischer Anwalt, der Passfälscher vor Gericht vertritt, in der Reportage.
Dann zeigen die Autoren, wie leicht es ist, an gefälschte Dokumente zu kommen. Über einen Kontaktmann kommen sie in Athen an einen Pass einen französischen, weil der als Fälschung in Deutschland nicht so leicht erkannt werde, heißt es. Es dauert nur einen Tag, bis dieser ausgestellt ist. Das falsche Dokument kostet 350 Euro.
Auch einen falschen syrischen Pass bekommen die Autoren problemlos. Sie seien besonders beliebt, weil sie die Möglichkeit bieten, dauerhaft als Asylsuchender anerkannt zu werden. Die Autoren melden sich in einer syrischen Facebook-Gruppe an, in der sich Syrer und solche, die es werden wollen, austauschen. Über eine Bestellhotline beantragen sie ihren gefälschten Pass. Sie bekommen das Falschdokument für 500 Euro ausgestellt.
Menschen sind zwar sehr gut darin, bekannte Gesichter wiederzuerkennen, also Freunde, Familie und Bekannte, aber ziemlich schlecht darin, unbekannte Gesichter abzugleichen, sagt der Hauptautor der Studie.
Weiter zeichnen die Macher den Fall eines Türken nach, der mit falscher Identität als Grieche in Berlin lebte und straffällig wurde und das über Jahre. Er mietete beispielsweise mit seinen gefälschten Papieren Fahrzeuge und verkaufte sie für viel Geld ins Ausland. Übers Internet verkaufte er Handys, verschicke sie jedoch nie. Damit verdiente er Zehntausende Euro.
"Ich wage zu behaupten, dass hier Hunderttausende Menschen, vielleicht sogar Millionen mit falscher Identität rumlaufen", sagt Thomas Simmroß, leitender Kriminaldirektor beim LKA in Berlin. Anis Amri mit seinen 14 Aliaspersonalien sei ein Fall von vielen. Es gebe Personen mit noch mehr falschen Identitäten. Simmroß fordert von der Politik in erster Linie mehr Personal zur Prüfung solcher Fälle. Sonst hätten Kleinkriminelle und Terroristen viel zu leichtes Spiel.
5500 Meldeämter gibt es in Deutschland, nur 250 von ihnen sind den ZDF-Recherchen zufolge mit Dokumentenprüfgeräten ausgestattet. In Nürnberg werden mit diesem Gerät zehn Passfälschungen in der Woche erkannt. Die ZDF-Redakteure haben dazu beim Bundesinnenministerium nachgefragt: Das Bundesinnenministerium begrüßt den Einsatz von Prüftechnik. Einen verbindlichen Einsatz von Prüftechnik kann und darf der Bund den Ländern allerdings nicht vorschreiben, zitieren sie aus der Antwort des Ministeriums. Diese einzurichten, sei Aufgabe der Städte und Kommunen. Die Reportage legt allerdings nahe, dass die Behörden vielerorts mit der Flut an gefälschten Pässen überfordert sind. Es gibt offenbar immense Sicherheitslücken und dringenden Handlungsbedarf, diese zu schließen.