Skandal um gefälschte Deutsch-Tests für Ausländer:

Bande kassierte bis zu 5000 Euro

FOCUS-Online-Reporter Göran Schattauer

Freitag, 03.07.2020,

Eine kriminelle Gruppe um den 36-jährigen Kosovaren Isuf G. soll über Jahre hinweg Sprachprüfungen für Ausländer absolviert haben, die kein Wort Deutsch konnten. Damit verhalfen sie ihnen zu unbefristeten Aufenthaltstiteln und sogar Einbürgerungen. Um die Sprachtester zu täuschen, reichte ein überklebtes Foto im Ausweis. dpa/AdobeStock/iStock/Composing: Sascha Weingartz Deutschkurs in einer Sprachschule (Symbolbild).

Sollten die Vorwürfe der Münchner Staatsanwaltschaft stimmen, müssten bei deutschen Behörden alle Warnsignale auf Rot springen. Hauptsächlich bei solchen Institutionen, die sich mit Fragen rund um das Bleiberecht für Ausländer befassen. Denn offenbar ist das bestehende System zur Vergabe von Aufenthaltstiteln äußerst betrugsanfällig.

Es steht der Verdacht im Raum, dass Menschen insbesondere aus dem Kosovo und dem Irak Aufenthaltserlaubnisse für Deutschland bekamen oder sogar eingebürgert wurden, obwohl sie nicht die nötigen Voraussetzungen erfüllten. Dabei profitierten sie offenbar davon, dass die entscheidenden Stellen plumpe Ausweis-Fälschungen nicht erkannten.

Sprach-Zeugnisse für Ausländer ohne Deutschkenntnisse

Konkret geht es um staatlich lizensierte Sprachschulen, die Deutsch-Tests für Ausländer anbieten. Das Bestehen des Tests - eine schriftliche wie mündliche Prüfung, die mehrere Stunden dauert - ist Voraussetzung dafür, dass jemand für längere Zeit oder dauerhaft in Deutschland bleiben darf.

Laut Münchner Staatsanwaltschaft haben die begehrten Bescheinigungen offenbar auch Ausländer erhalten, die die deutsche Sprache nur sehr schlecht oder gar nicht beherrschen.

Der Trick: Nicht die Antragsteller selbst haben die Tests gemacht, sondern Mitglieder einer kriminellen Bande, die die Identität der jeweiligen Prüflinge angenommen haben. Dafür ließen sich die mutmaßlichen Täter (vorwiegend Kosovo-Albaner und Iraker mit guten Deutschkenntnissen) Ausweise der Ausländer geben und überklebten deren Passbilder mit ihren eigenen.

Passfotos in Ausweisen mit anderen Bildern überklebt

Mit den gefälschten Papieren meldeten sich die Banden-Mitglieder bei "verschiedenen Sprachenschulen im gesamten Bundesgebiet" für die Prüfungen an, so die Staatsanwaltschaft. Nachdem sie die Deutsch-Tests bestanden hatten, reichten sie die Urkunden offenbar an ihre ausländischen Auftraggeber weiter - und kassierten für die "Dienstleistung" jeweils bis zu 5000 Euro. Die schmutzigen Geschäfte mit den gefälschten Tests liefen angeblich über mehrere Jahre.

Kopf der Bande soll der in Bayern lebende Kosovare Isuf G. gewesen sein. Der 36 Jahre alte Familienvater kannte sich mit staatlichen Prüfverfahren gut aus: Er gab Autofahrern, die ihre Fahrerlaubnis abgeben mussten, Vorbereitungskurse auf die medizinisch-psychologische Untersuchung (MPU).

Vorwurf: Gewerbsmäßiges Einschleusen von Ausländern

Ab diesem Freitag müssen sich Isuf G. und seine mutmaßlichen Komplizen Bahri D. (32), Kattu F. (25) und Falah Hassan B. (32) sowie die angebliche Mittäterin Nazife B. (23) vor dem Landgericht München verantworten. Vorwurf: gewerbs- und bandenmäßiges Einschleusen von Ausländern sowie Urkundenfälschung in mehreren Fällen. Bei einer Verurteilung drohen ihnen bis zu zehn Jahre Haft.

Wie "erfolgreich" die Angeklagten mehrere Sprachschulen etwa in München, Ingolstadt, Starnberg, Weilheim, Holzkirchen, Regensburg oder Dillingen an der Donau täuschten, zeigen einige von den Fahndern rekonstruierte Fälle:

Sprachlehrer wurden stutzig - da ergriffen Männer die Flucht

Doch nicht immer lief alles nach den Plänen der mutmaßlichen Täter. Am 3. Dezember 2018 etwa versuchten drei von ihnen, in München einen Einbürgerungstest für Auftraggeber aus dem Irak abzulegen, den sogenannten "Leben in Deutschland"-Test mit mehr als 300 Fragen. Wie immer, zeigten sie den Mitarbeitern der Sprachenschule manipulierte Pässe vor. Doch diesmal wurden die Verantwortlichen stutzig.

Noch während die nunmehr Angeklagten in der Prüfung saßen, fielen den Lehrern die aufgeklebten Passbilder auf. Als die Männer bemerkten, dass man ihnen wohl auf die Schliche gekommen war, brachen sie den Test ab, schnappten sich ihre Pässe und flüchteten. Damit, so die Ermittler, wollten sie "eine Entdeckung oder Festnahme verhindern".

Anwalt eines Angeklagten: "Länger in U-Haft als ein Mörder"

Das überstürzte Abtauchen machte die mutmaßlichen Täter erst recht verdächtig. Außerdem mehrten sich bei den Behörden Fälle, in denen Ausländer Sprachzeugnisse vorlegten, obwohl sie kein Deutsch konnten. Ende 2018 stoppte die Polizei das Treiben der mutmaßlichen Testfälscher-Bande. Für den Prozess sind zunächst acht Verhandlungstage angesetzt.

Ob sich die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft vor Gericht bestätigen, bleibt abzuwarten. Der Münchner Rechtsanwalt Peter Pospisil jedenfalls, der den Iraker Falah Hassan B. verteidigt, hat da so seine Zweifel: "Mein Mandant war zu keinem Zeitpunkt Mitglied einer Bande, insofern sind die Anschuldigungen gegen ihn unzutreffend." Im Gespräch mit FOCUS Online übt Pospisil außerdem harsche Kritik an der seiner Meinung nach "überlangen" Haftdauer. "Mein Mandant sitzt seit dem 11. Dezember 2018 in U-Haft, also schon mehr als anderthalb Jahre - länger als viele Mörder."


focus.de vom 03.07.2020