Stand: 04.12.2023 10:04 Uhr | Lesedauer: 5 Minuten
Von Kristian Frigelj
Korrespondent
Quelle: Rainer Unkel/picture alliance/SZ Photo; Oliver Berg/picture alliance/dpa; Getty Images; Montage: Infografik WELT
Benjamin Limbach (Grüne) spricht von einem "ganz normalen Vorgang". Tatsächlich ist vieles merkwürdig und nach Auffassung von Gerichten sogar rechtswidrig gelaufen. Wieder einmal muss sich Nordrhein-Westfalens Justizminister zur gestoppten Besetzung des Präsidentenpostens am Oberverwaltungsgericht (OVG) des Bundeslandes äußern.
Eine Duz-Freundin von Limbach, die als Abteilungsleiterin im NRW-Innenministerium tätig ist, hatte sich sehr spät und erst nach einem privaten Abendessen mit dem Minister beworben - und erhielt später den Zuschlag. Unterlegene Bewerber haben vor den Verwaltungsgerichten in Münster und Düsseldorf geklagt und einstweilen recht bekommen. Nun muss in letzter Instanz ausgerechnet das betroffene OVG entscheiden. Daran hängt nun die Karriere des Justizministers.
Der Grünen-Politiker hat sich dazu entschieden, keinerlei Kritik gelten zu lassen. Es handele sich also um einen "ganz normalen Vorgang", wie er am Freitagmorgen im Landtag erklärt: "Es gab keine politische Einflussnahme auf das Besetzungsverfahren, und als Justizminister hätte ich mir das auch verbeten."
Lesen Sie auch
Skandal in NRW:
"Gebot der Fairness" oder Einflussnahme auf Bewerbungen? Neue Details belasten grünen Minister
Das beteuert Limbach schon seit Wochen. Doch die immer größer werdenden Zweifel kann der 54-jährige Sohn der verstorbenen Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, Jutta Limbach, damit nicht ausräumen. Dafür gibt es nach Ansicht der Opposition zu viele "Ungereimtheiten". Sie hatte nach drei Sondersitzungen und einer Fragestunde des Landtags eine Aktuelle Stunde im Plenum für Freitagmorgen beantragt, weil immer neue Fragen entstehen.
Auslöser dafür war eine Neuigkeit vom Mittwochabend: In der Fragestunde erfuhr man erstmals, dass der Chef der Staatskanzlei, Nathanael Liminski (CDU), mit zwei Bewerbern gesprochen hatte. Was hat der mächtige Regierungskoordinator in der schwarz-grünen Regierungszentrale von Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) mit dem Bewerbungsverfahren zu tun?
Quelle: picture alliance/Flashpic/Jens Krick
Liminski sagte, die Bewerber hätten den Kontakt zu ihm gesucht. Er habe den Eindruck gehabt, "dass beide Kandidaten für sich jeweils werben wollten, was aus meiner Sicht auch erst einmal ein legitimer Grund für eine Kontaktaufnahme ist". Die beiden Bewerber hätten "jeweils Argumente vorgebracht, warum sie meinen, dafür der oder die beste Kandidatin oder Kandidat zu sein".
Das ist die neueste Wendung in einer Personalie, die eigentlich streng nach dem "Grundsatz der Bestenauslese" und ohne politische Einflussnahme besetzt werden soll. Der OVG-Präsidentenposten ist eines der höchsten Ämter in der Justiz NRW, und gerade hier verstärkt sich der Eindruck, dass es nicht nur nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung geht, sondern dass auch politische Unterstützung wichtig ist. Für die Opposition ist es ein weiteres Indiz für diesen Eindruck, wenn selbst Bewerber sich offenbar bemüßigt fühlten, in der Staatskanzlei vorstellig zu werden.
Damit gerät nun auch die Staatskanzlei in den Sog einer fragwürdigen Kandidatenauswahl. Liminski erklärt am Freitagmorgen, dass er "mehrere Gespräche" mit den beiden Bewerbern geführt habe, jeweils telefonisch und persönlich. Sie hätten sich vorgestellt und ihm persönlich etwas mitgeteilt. Beiden sei klar gewesen, dass über die Bewerbung im Justizministerium entschieden werde. "Welches Signal würden wir als Landesregierung senden, wenn ich als Regierungskoordinator solche Gesprächswünsche von solchen Persönlichkeiten schlichtweg ablehnen würde?", fragt Liminski.
Anders als der grüne Justizminister spricht der Chef der Staatskanzlei nicht von einem "ganz normalen Vorgang", sondern sagt: "Die etwas ruckelig anmutende Besetzung eines hohen Justizpostens ist zwar nicht schön, aber auch kein absolutes Novum." Liminski verweist auf andere streitige Spitzenposten in der NRW-Justiz. Konkurrentenklagen seien nicht unüblich. Allerdings stand ein NRW-Justizminister bisher noch nicht derart im Zentrum der Vorwürfe.
Lesen Sie auch
Justiz und Parteien:
Die Auswahl höchster Richter und die Frage nach ihrer Nähe zur Politik
Die Opposition beeindruckt das nicht. "Warum haben Sie diese Gespräche dann nicht unterbunden?", fragt der SPD-Abgeordnete Sven Wolf Liminski. "Das erweckt nicht nur den Anschein einer politischen Einflussnahme aus der Staatskanzlei. Es beweist, was wir, was die Medien, was die Öffentlichkeit nach drei Sondersitzungen im Rechtsausschuss befürchtet haben und geahnt haben: Manipulation."
Der angeschlagene Limbach hat derweil mit neuen Tücken in der Causa zu kämpfen. Nicht einmal mehr auf seinen Terminkalender kann er sich angeblich richtig verlassen, wenn es um Gespräche mit einem Bewerber, einem Abteilungsleiter seines Hauses, geht. Es geht um die Frage, ob ein Treffen am 12. oder am 20. September 2022 stattgefunden hat. Zunächst ließ sich das dem Vernehmen nach nicht mehr rekonstruieren. Dann sagte Limbach am Mittwochabend im Landtag, es sei der 20. September gewesen.
Am Freitagmorgen schickt der Minister einen Brief an den Landtag und nimmt die Aussage wieder zurück: Sein Kalender erlaube "keine Rückschlüsse" auf das Datum des Personalgesprächs.
Der Minister hatte nach eigener Aussage den Abteilungsleiter gebeten, seine Bewerbung zu überdenken, weil er unverzichtbar sei. Auch das sehen SPD und FDP als versuchte politische Einflussnahme. "Wie soll das denn bitte wirken, wenn ein Minister mit einem Abteilungsleiter, dem er ja vorgesetzt ist, die freundliche Bitte formuliert, eine Bewerbung zu überdenken?", fragt FDP-Fraktionschef Henning Höne Limbach. "Entweder Sie wissen nicht, wie so etwas auf einen Untergebenen wirkt, dann sind Sie falsch im Amt. Oder Sie wussten genau, wie es wirkt. Dann müssen Sie aber auch gehen." Auch die SPD fordert seinen Rücktritt.
Lesen Sie auch
Affäre um Postenvergabe:
"Manipulativ", "rechtswidrig" - Vernichtende Bewertung für grünen NRW-Justizminister
Bei der später favorisierten Abteilungsleiterin aus dem NRW-Innenministerium kann er das konkrete Datum eines privaten Abendessens ebenfalls nicht mehr nennen. Dabei sprachen sie über die Bewerbung. Anlass sei für sie gewesen, dass Limbachs Amtsvorgänger ausgeschieden sei, hatte Limbach offenbart.
Das sieht die Opposition als weiteren Hinweis, dass es bei der Besetzung des OVG-Präsidentenpostens auch um politische Unterstützung ging. Dieses private Treffen bleibt für die Opposition einer der größten Angriffspunkte Limbachs, denn die anderen Bewerbergespräche wurden dienstlich über das Ministerbüro vereinbart. "Zu welchem der Bewerber haben Sie dann ein näheres Verhältnis?", fragt SPD-Parlamentarier Wolf.
Die Opposition hat noch viele weitere Fragen; selbst ein Untersuchungsausschuss scheint denkbar.