Im Vorgarten niedergestochen, vom System verraten Sie half allen, die sie kannte - nun braucht sie selbst Hilfe Autor Katja Füchsel

27.11.2021

Regina Gerken setzte sich stets für andere ein. Auch für Flüchtlinge. Dann wurde sie von einem niedergestochen. Die Söhne kämpfen um ihr Leben. Und verzweifeln. Erinnerungen. Regina Gerken und ihre Söhne Amer und Malek.
Fotos: privat. Montage: Tsp

Es sind nicht die Sirenen, die Malek Hamzeh aufhorchen lassen, die erste, zweite, selbst die dritte nicht. Er tritt ans Fenster, weil das Geheul plötzlich abbricht, direkt vor seinem Haus. Im Beet vor seinem Balkon, wo eben noch die Mutter auf Knien gebuddelt hat, stehen Menschen dicht im Kreis gedrängt. Nur sie sieht er eben nicht. Als Malek Hamzeh, von einer dunklen Vorahnung getrieben, durch den Vorgarten rennt, hört er sich selber "Mama! Mama! Mama!" rufen. "Sie lag ganz still da", sagt der 30-Jährige. Die Augen offen, schaut seine Mutter nach oben ins Ungefähre.

Blut tritt aus dem Hals von Regina Gerken, so viel Blut. Der Fremde, der sie mit dem Messer attackiert hat, sitzt ein paar Meter weiter auf dem Bordstein, beobachtet die Rettungsversuche regungslos. Die Waffe hat er neben einem Baum fallen lassen. Es ist der 4. September 2021, ein sonniger Samstag, 13.30 Uhr, Berlin-Wilmersdorf. Der Festgenommene heißt Abdul Malik H., ist 29 Jahre alt, ein Flüchtling aus Afghanistan.

Als die Polizei später Abdul Malik H. abführt, erklärt der Festgenommene einem Beamten, dass er Regina Gerken "ins Paradies geschickt" habe. "Frauen sollen nicht arbeiten." Danach beruft er sich auf sein Recht zu schweigen.

Tatort. In diesem Wilmersdorfer Vorgarten attackierte der Angreifer Regina Gerken.
Foto: privat

Bis heute wissen die Söhne nicht, was Abdul Malik H. zu ihrer Mutter sagte an jenem Tag, der das Leben in ein Davor und ein Danach teilte. Es muss alles sehr schnell gegangen sein. Zeugen berichten, wie der Mann Regina Gerken ansprach, die an der Güntzel-/Ecke Prinzregentenstraße auf den Knien im Beet arbeitete. Sie habe dann so etwas wie "Ich habe keine Angst vor dir" entgegnet. Da packte der Mann sie von hinten im Würgegriff, stach ihr das Messer mehrmals in den Hals.

Nicht nur das Gefasel vom Paradies, in einer Protokollnotiz des Beamten festgehalten, weist nach Ansicht der Generalstaatsanwaltschaft auf eine "islamistische und frauenfeindliche Gesinnung" hin, wie Sprecher Martin Steltner sagt. Auch in seiner Nachbarschaft soll der 29-Jährige aufgefallen sein, weil er Frauen zu den Gesetzen des Islams bekehren wollte.

Abdul Malik H. lebt seit 2016 in Deutschland und war als Flüchtling anerkannt. In Berlin ging er Gelegenheitsjobs nach, arbeitete als Küchenhelfer, Kellner und Mitarbeiter in einem Hotel.

Früher habe ihr Mann sie von den Härten des Lebens abgeschirmt. In Berlin reißt sie überrascht die Augen auf, wenn die Söhne sie am Bahnhof auf Drogendealer, Schläger und Zuhälter aufmerksam machen. Keine Ausstellung, kein Konzert habe sie besucht, ohne jemanden kennenzulernen, dem sie helfen wollte. Bei der Handyrechnung, dem Ausfüllen von Formularen... "Sie hat das Böse in den Menschen und in der Stadt nicht gesehen."

Im Vorgarten ist für Regina eine kleine Tafel aufgestellt worden.
Foto: Mario Heller

Alles wirkt an diesem 4. September sonnig und leicht, der Tag, das Leben, die Zukunft. Am Montag darauf will Regina mit Amer nach Portugal fliegen. Sie telefoniert mit ihm, als sie im Beet steht. Ein paar Minuten später biegt Abdul Malik H. um die Ecke.

"Was machst du da? Bist du verrückt?"

Klaus F., 66, sieht, wie der junge Mann Regina Gerken in den Würgegriff nimmt. Am nächsten Tag besucht er, gerade aus dem Krankenhaus entlassen, Malek und erzählt den Brüdern, wie er auf den Angreifer zugerannt sei und gerufen habe: "Was machst du da? Bist du verrückt?" Der Attentäter erwischt ihn an der Stirn, als ein Stich den Hals des Rentners durchdringt, fällt er zu Boden, kann sich dann aber in einen Friseursalon retten.

Stark gekürzt


Quelle: Tagesspiegel


einige Kommentare

Pietro1990
27.11.2021, 12:56 Uhr
"Es gibt Hinweise das der Täte an einer psychischen Erkrankung leidet"

Ja, nennt man Islamismus. Seltsam das gerade bei derartigen Taten so häufig psychische Krankheiten vermutet oder als Ursache der Gewalttat diagnostiziert werden.
Bei rechts oder linksextremen Gewalttaten kommt das äußerst selten vor. Da spricht man zu Recht von "Gesinnung". Imho sind solche Täter voll zurechnungsfähig, die Motivation stellt das zutiefst frauenfeindliche Weltbild, gepaart mit der totalen Ablehnung freiheitlicher demokratischer Grundwerte dar. Der Täter handelte aus niedrigsten Beweggründen.

klausundklaus
28.11.2021, 12:45 Uhr

Es gibt Hinweise, dass der 29-Jährige an einer psychischen Erkrankung leidet.

Diese Krankheit heißt: fanatischer Islamismus

daily_mirror
27.11.2021, 18:32 Uhr

Es gibt Hinweise, dass der 29-Jährige an einer psychischen Erkrankung leidet.

Genau auf diesen Satz im Artikel hatte ich gewartet. Anders kann es ja auch mittlerweile nicht mehr sein; ein inzwischen leider in diesen Fällen juristischer Automatismus.
Bravo, das ist katastrophal für das ohnehin schwindende Vertrauen in den Rechtsstaat.