FOCUS-Online-Reporterin Sara Sievert
FOCUS-Online-Redakteur Benjamin Hirsch
FOCUS-Online-Reporter Ulf Lüdeke
Dienstag, 29.06.2021, 12:29
Nach der Debatte um ihren Lebenslauf ereilen die Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock jetzt erneut schwerwiegende Vorwürfe: Der Plagiatsgutachter Stefan Weber fand gleich mehrere Stellen in Baerbocks Buch "Jetzt. Wie wir unser Land erneuern", die teilweise wortwörtlich übernommen wurden. Ohne Quellenverweis. Gegenüber FOCUS Online äußert sich Weber zu seinen Vorwürfen.
FOCUS Online hat die entsprechenden Originalquellen überprüft und kann die Übernahme ganzer Passagen im Buch "Jetzt. Wie wir unser Land erneuern" von Annalena Baerbock bestätigen. Ihr Buch veröffentlichte die Kanzlerkandidatin am vergangenen Montag (21. Juni). Baerbock wurde um eine Stellungnahme gebeten.
Baerbock schreibt auf Seite 79 ihres Buchs:
Die Original-Passage stammt aus dem Blog "Klima - Challenge Accepted" des Verbands der Wirtschaft für Emissionshandel und Klimaschutz in München. Hier heißt es:
Ein weiteres Beispiel folgt auf Seite 174. Hier schreibt Baerbock:
Bis auf kleine Änderungen stammt die Passage von einem Rückblick der Bundeszentrale für Politische Bildung (bpb) aus dem Jahr 2019:
Auf seiner Seite weist die Bpb klar aus, wie Artikel, Beiträge oder Texte, die dort erschienen sind, verwendet werden dürfen. Zwingend notwendig sei dabei eine Namensnennung des Autors/Rechteinhabers. Auch wird eine kommerzielle Nutzung untersagt. Ebenso die Bearbeitung des verwendeten Inhalts.
Auf Seite 89 stützt sich Baerbock auf Recherchen des Nachrichtenmagazins "Spiegel", ohne den entsprechenden Artikel jedoch als Quelle zu kennzeichnen. Im Buch heißt es:
Der "Spiegel" schrieb dazu in seinem Artikel von 2019:
Auf Seite 129 ihres Buches steht geschrieben:
Die Ausführungen stammen jedoch aus dem Beitrag "Kriegstreiber Klimawandel" im Magazin "Internationale Politik" des amerikanischen Politikwissenschaftlers Michael T. Klare. Dort steht:
Und weiter: "Das Konzept des Klimawandels als "Bedrohungsmultiplikator", der Rohstoff- und Gesellschaftskonflikte in Entwicklungsländern verschärfen kann, ist seither zu einem Eckpfeiler in der Strategie des Pentagons geworden. Je gespaltener und korrupter ein Staat ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass er besonders stark unter den Folgeerscheinungen der Erderwärmung leiden wird - also unter inneren Konflikten, humanitären Katastrophen und Massenmigration. Das daraus entstehende Chaos könnte wiederum zu neuen Herausforderungen für das US-Militär führen, sei es durch humanitäre Hilfseinsätze oder militärische Interventionen im Ausland."
Die bislang gefunden Textstellen beträfen zehn Seiten, so Weber, der hauptberuflich als selbstständiger Plagiatsprüfer in Salzburg arbeitet und sieben Mitarbeiter sowie zwei Privatdetektive beschäftigt. "Aus meiner Sicht liegen hier klar Urheberechtsverletzungen vor, die mit Absicht begangen worden sind. Aber hoch ist dieser Anteil am Gesamtwerk noch nicht."
Was die Einordnung der Schwere der Plagiate angehe, gebe es keine "klare Messlatte", darüber könne man streiten. "Dass das Buch vom Markt genommen werden muss, ist denke ich nicht nötig in diesem Fall." Aber die betreffenden Stellen sollten in Folgeauflagen auf jeden Fall nachträglich den Originalquellen zugeordnet werden.
Einen Auftraggeber für den Plagiatscheck des Baerbock-Buches, für den er eine Plagiatssoftware namens "Turnitin" verwendet habe, gebe es nicht, so Weber. "Ich mache das aus eigenem Antrieb, als Hobby sozusagen. Der Fall interessiert mich, seit die Fehlerkorrekturen in ihrer Biographie ans Tageslicht gekommen sind", so Weber. Eigenen Angaben zufolge sei er weder jetzt noch in der Vergangenheit politisch aktiv gewesen. "Und ich bekomme von niemandem irgendein Honorar für diese Arbeit."
Zuletzt waren sowohl die Umfragewerte der Grünen als auch die Beliebtheit von Baerbock stark zurückgegangen. In einigen Umfragen fiel die Partei jüngst unter die Marke von 20 Prozent. Insbesondere die mehrfachen Korrekturen in ihrem Lebenslauf kosteten Vertrauen beim Wähler. Im Politikbarometer des ZDF büßte Baerbock innerhalb weniger Wochen mehr als zehn Prozentpunkte ein und liegt dort nun hinter CDU-Chef Armin Laschet und SPD-Kandidat Olaf Scholz.
Die Vorwürfe, die nun gegen Baerbock im Raum stehen sind vielfältig und reichen von möglichen Urheberrechtsverletzungen bis hin zum bloßen Plagiat. In der Vergangenheit mussten gleich mehrere Spitzenpolitiker aufgrund von Plagiatsfällen - allerdings in wissenschaftlichen Arbeiten - zurücktreten. Darunter die ehemalige Bildungsministerin Annette Schavan (CDU) und Ex-SPD-Familienministerin Franziska Giffey.
Quelle: focus.de vom 29.06.2021