Von Majid Sattar, Washington
Politischer Korrespondent für Nordamerika mit Sitz in Washington.
-Aktualisiert am 27.04.2022-20:05
Zwei Monate nach Beginn des Ukrainekrieges hat sich in Washington die Tonlage verändert. Als Antony Blinken am Dienstag vor den Auswärtigen Ausschuss des Senats trat, klang er fast schwärmerisch: Er sei gerade mit Verteidigungsminister Lloyd Austin aus Kiew zurückgekehrt. Die Reise habe unvergessliche Eindrücke hinterlassen, sagte der Außenminister. Als beide mit dem Zug durch die Ukraine gefahren seien, hätten sie Landschaften gesehen, welche Russland noch vor einigen Monaten glaubte binnen Wochen einnehmen zu können. In Kiew habe man dann gespürt, dass das Leben in die dynamische Hauptstadt zurückkehre. "Die Ukrainer haben die Schlacht um Kiew gewonnen", sagte Blinken. Und: Die Ukraine werde weiterhin ein freies und unabhängiges Land sein. Er sei stolz darauf, wie Amerika Kiew unterstützt habe - und überzeugt, dass man jetzt nicht nachlassen dürfe.
Austin hatte zuvor schon deutlich gemacht, dass Washington nicht nur seine Militärhilfe ausweite, sondern auch sein strategisches Ziel verändere. In Polen sagte der Verteidigungsminister am Montag:
In Washington ist man sich bewusst, dass die Ausweitung der strategischen Ziele die amerikanische Rolle in dem Konflikt mit Russland verändert. Als der Krieg Ende Februar begann, war Präsident Joe Biden vorbereitet. Abgestimmt mit den Verbündeten, folgten scharfe Sanktionen gegen Moskau, militärische Hilfen für Kiew und die Stärkung der Ostflanke des NATO-Bündnisgebiets. Stets machte Biden aber deutlich, dass er eine direkte Konfrontation mit Russland nicht anstrebe. Deshalb stellte er klar, dass er keine amerikanischen Soldaten in die Ukraine entsende. Und deshalb lehnte er auch Selenskyjs Forderung nach einer Flugverbotszone ab.
Eine direkte Konfrontation, welche die Gefahr eines dritten Weltkrieges in sich birgt, lehnt Biden weiterhin ab. Austins Worte spiegeln aber wider, dass Washington angesichts der russischen Kriegsverbrechen und der militärischen Erfolge der Ukrainer Ziele verfolgt, die über die Stärkung der Verhandlungsposition Kiews hinausgehen. Schon mit den Sanktionen bezweckte man, die Entwicklung und Produktion neuer Waffen in Russland zu verhindern. Schließlich ist die russische Rüstungsindustrie auf den Import von Hightech-Komponenten angewiesen.
Angesichts der militärischen Schwierigkeiten Moskaus, die mit der Konzentration der Kämpfe auf den Donbass nicht überstanden sind, verschwimmen die Grenzen: Biden begründete die Waffenlieferungen für Kiew anfangs damit, dass er einer kleinen Demokratie helfen wolle, sich gegen einen großen Nachbarn zu verteidigen.
Man geht von einer Jahre dauernden Auseinandersetzung aus.
Ungeachtet dieser neuen Form der Konfrontation zwischen Washington und Moskau vollzogen beide Seiten am Mittwoch einen Gefangenenaustausch. Der frühere amerikanische Soldat Trevor Reed und der russische Pilot Konstantin Jaroschenko wurden aus ihrer Haft entlassen. Reed war 2019 in Russland verurteilt worden, weil er betrunken zwei Polizisten in Lebensgefahr gebracht haben soll. Jaroschenko wiederum war verurteilt worden, weil er Kokain nach Amerika geschmuggelt haben soll. In Washington hob man hervor, der Austausch sei völlig losgelöst vom Ukrainekrieg behandelt worden - und nicht der Beginn eines neuen Dialogs zwischen beiden Seiten.
Quelle: fat.net