Susanne Gaschke, Susann Kreutzmann,
Berlin 10.09.2023, 05.30 Uhr
Vielleicht zunächst ein kurzer Rückblick: Sie waren Mitglied der SED. Nach der friedlichen Revolution in der DDR blieben Sie in der SED-Nachfolgepartei PDS, die später zur Linkspartei wurde. Sie sind also seit mehr als 30 Jahren politisch aktiv, wenn auch unter sehr unterschiedlichen Vorzeichen. Erinnern Sie sich noch, was für Sie als junge Frau die Gründe waren, nach der Wiedervereinigung weiter Politik zu machen?
Ich bin 1989 in die SED eingetreten, als viele bereits die Flucht ergriffen. Das war ein Statement gegen Wendehälse. Politisch engagiert habe ich mich erst in den Neunzigern. In der DDR hatte ich eher den Traum, eine akademische Laufbahn einzuschlagen, ich wollte Bücher schreiben, vielleicht auch lehren. Nur durfte ich damals noch nicht einmal studieren. Nach der Wende hatte ich dann irgendwann das Gefühl: Ich werde mir selbst nicht gerecht, wenn ich mich nicht auch aktiv für eine gerechtere Gesellschaft engagiere. Diese Motivation gibt es bis heute, auch wenn sich meine Vorstellung, wie diese gerechtere Gesellschaft aussehen sollte, erheblich verändert hat.
Die Popularität der Ampelkoalition ist auf einem Tiefstand. Alle Umfragen zeigen ein extrem geringes Vertrauen in die Bundesregierung, den Kanzler, auch in die demokratischen Institutionen im Allgemeinen. Wie hat die heutige Regierung das in so kurzer Zeit geschafft?
Durch eine extrem planlose, kurzsichtige, in Teilen schlicht inkompetente Politik. Damit will ich nicht sagen, dass die Zeiten einfach wären: Wir haben eine lahmende Weltkonjunktur, wir spüren die weltpolitischen Unwägbarkeiten des Ukraine-Kriegs.
Sie meinen von russischem Gas, das wir wegen des russischen Angriffs auf die Ukraine nicht mehr beziehen?
Für unsere Industrie, für die Stromversorgung und für das Heizen ist preiswertes Gas unabdingbar - und wenn man es nicht mehr in Russland kaufen will, muss man einen Plan haben, wo wir es sonst herbekommen. Haben die Ampelpolitiker aber nicht. Und jetzt killen die hohen Energiepreise wichtige Teile unserer Industrie, das ist doch eine Tragödie. Dann präsentiert Wirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen sein Heizungsgesetz, das die Menschen in Angst und Schrecken versetzt, weil man ältere Gebäude eben nicht ohne wahnsinnig teure Umbauten mit einer Wärmepumpe beheizen kann. Kleine Gewerbetreibende und Hausbesitzer fragen sich, wie sie überhaupt noch zurechtkommen sollen.
Robert Habeck gilt weder als dumm, noch ist ihm sein politischer Erfolg egal. Warum macht Habeck dann Ihrer Meinung nach so schlechte Politik?
Was nervt die Menschen aus Ihrer Sicht am meisten? Gehören identitätspolitische Debatten, wie Sie sie in Ihrem Buch "Die Selbstgerechten" beschreiben, dazu?
Die Ampelkoalition befasst sich ständig mit Nebenkriegsschauplätzen.
Aber für die Abgehobenheit, die Sie beschreiben, muss es doch noch andere Gründe geben als nur Ideologie.
Ich glaube, dass gerade jüngere Politiker heute immer seltener dem normalen Leben begegnen. Das gilt für Politiker der Grünen besonders, aber nicht nur für sie.
Sie selbst haben aber auch zeit Ihres Erwachsenenlebens Politik gemacht.
Bis ich 35 Jahre alt war, habe ich mich ehrenamtlich engagiert, ich habe nicht von der Politik gelebt. Ich war selbständige Publizistin, musste jeden Monat sehen, wo mein Einkommen herkommt.
Ist das für Sie ein Kulturkampf? Oder sind es eher die politisch Rechten, die einen Kulturkampf gegen die liberale Demokratie führen?
Ich halte den Begriff Kulturkampf nicht für angemessen, weil es ja nicht nur um kulturelle, sondern auch um soziale Probleme geht. Klar, jeder soll reden, wie er will -
Sie kennen Ostdeutschland gut. In Thüringen, Brandenburg und Sachsen wird im kommenden Jahr gewählt. Die AfD liegt in neusten Umfragen zum Teil bei über 30 Prozent. Wie erklären Sie sich das? Warum sind gerade die Ostdeutschen so AfD-affin?
Die AfD spricht diejenigen an, die unzufrieden sind - und zur Unzufriedenheit haben Ostdeutsche noch mehr Grund, weil die Löhne dort tendenziell schlechter sind und der Wohlstand geringer ist. Trotzdem ist der AfD-Aufschwung ein gesamtdeutsches Phänomen:
Dafür wollen sie aber offenbar eine Partei wählen, in der es Rechtsextremisten gibt.
Viele Leute gehen auch gar nicht mehr zur Wahl. In Ihrem Buch schreiben Sie:
Da hat er doch recht. Natürlich muss man sich in der Demokratie am Ende Mehrheitsentscheidungen beugen -
Sie haben den Grünen vorgeworfen, die gefährlichste Partei in Deutschland zu sein. Sind sie wirklich gefährlicher als die AfD?
Ich habe gesagt, "gemessen an dem realen Schaden, den sie anrichten". Rechtsextremisten sind gefährlich, aber die AfD ist nicht einmal in der Nähe der Macht und kann schon deshalb wenig Schaden anrichten.
In Bezug auf die AfD reden ja viele von einer Brandmauer, die aufrechterhalten werden müsse. Wie sehen Sie das?
Ich glaube, man tut der AfD einen Gefallen, wenn man ständig über sie redet und sich an ihr abarbeitet. Die Leute wollen ein vernünftiges Politikangebot.
Mit dieser Position unterscheiden Sie sich aber nicht sehr von der AfD.
Bei der AfD werden immer wieder rassistische Ressentiments gegen Menschen nichtdeutscher Herkunft geschürt. Mit solchen Ansichten habe ich nichts zu tun.
Sie selbst waren, anders als die Linkspartei, die als erste eine Impfpflicht forderte, sehr kritisch in Bezug auf die Corona-Massnahmen - übrigens auch mit dieser Haltung der AfD nicht ganz unähnlich. Jetzt scheinen für den Herbst wieder höhere Infektionszahlen zu drohen. Befürchten Sie neue Einschränkungen - und würden die Deutschen sich das gefallen lassen?
Neue Lockdowns würden unserer Wirtschaft den Rest geben - so verrückt kann nicht mal die "Ampel" sein. Ich glaube auch nicht, dass die Menschen das noch einmal mitmachen würden. Es ist doch heute bekannt, dass es für die meisten Einschränkungen überhaupt keine wissenschaftliche Rechtfertigung gab. Was die AfD angeht: Die hat ihre Freiheitsliebe auch erst später entdeckt. Am Anfang waren sie für härtere Massnahmen als die grosse Koalition.
Wir sprachen vorhin schon ganz kurz über die Ukraine, das ist ja ein weiteres Thema, bei dem Sie und die AfD zu ähnlichen Schlüssen kommen: Was müsste denn der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski Ihrer Meinung nach tun, um den russischen Angriffskrieg gegen sein Land zu beenden?
Er müsste kompromissbereit sein. Wir sehen doch: Trotz allen Waffenlieferungen bewegt sich die Front kaum noch, die Ukraine kann diesen Krieg militärisch nicht gewinnen. Also braucht es Realismus und die Bereitschaft zu Verhandlungen. Ich gehe davon aus, dass die Russen die Krim nicht räumen werden, die russische Schwarzmeerflotte ist da seit 200 Jahren, und
Wie stellen Sie sich das deutsch-russische Verhältnis für die Zukunft vor?
Sosehr dieser Krieg zu verurteilen ist, wir brauchen mit Russland wieder bessere Beziehungen. Die Wirtschaftssanktionen schaden vor allem Deutschland, nicht den Russen.
Das wäre jetzt eine weitere, abendfüllende Diskussion. Lassen Sie uns zum Abschluss nach etwas anderem fragen. Dass Ihrer Meinung nach in Deutschland eine neue politische Kraft gebraucht würde, ist in diesem Gespräch deutlich geworden. Dass Sie sowohl aufgrund Ihrer Popularität als auch aufgrund Ihrer politischen Erfahrung gut als Gründerin und Gesicht einer solchen Partei geeignet wären, ist kein Geheimnis. Von welchen Kriterien hängt es ab, ob Sie sich zu einem solchen Schritt entschliessen?
Eine Partei kann nicht von einer einzelnen Person aufgebaut werden. Die Organisation einer Partei ist eine ungeheuer komplexe Angelegenheit - und Organisation ist nicht unbedingt meine Stärke.
Aber irgendwann müssen Sie ja wissen, ob die Voraussetzungen erfüllt sind oder nicht.
Ich habe immer gesagt: Bis spätestens Ende 2023 wird die Entscheidung fallen.