Von
Alexander Chernyshev,
Oliver Imhof (Foto),
Fedir Petrov
19.03.2025, 13.01 Uhr
Foto: Stanislav Krasilnikov / Sputnik / IMAGO
Es war eine der gewagtesten Aktionen des Krieges und zu Beginn auch erfolgreich: Mitte August 2024 marschierten ukrainische Truppen im Norden über die Grenze und nahmen russisches Gebiet ein. Zeitweise kontrollierte die Ukraine fast 1000 Quadratkilometer der Region Kursk. Doch mittlerweile ist die Fläche auf ein Zehntel geschrumpft, nur ein schmaler Streifen an der Grenze nahe der ukrainischen Region Sumy ist geblieben. Und bald könnte die ganze Region an die Kremltruppen zurückfallen: In den vergangenen Tagen haben sich die ukrainischen Soldaten rasch zurückgezogen und sind offenbar nur knapp der Einkesselung entgangen.
Russland hat sich mit der Rückeroberung mehr Zeit gelassen, als zunächst erwartet worden war. Das lag zum einen am schwierigen Terrain. Das Gebiet ist durchzogen von zahlreichen Flüssen, die den Ukrainern als natürliche Barrieren bei der Verteidigung halfen. Doch in den vergangenen Wochen erhöhten die Russen konstant von allen Seiten den Druck auf die Ukrainer. Zwar scheiterte zwischenzeitlich ein spektakulärer Angriff durch eine Gaspipeline, langsam, aber stetig eroberten die Russen jedoch verlorenes Gebiet zurück.
Gleichzeitig verschärfte sich für die Ukrainer die Versorgungslage: Nachschub konnte nur über eine Zufahrtsstraße in die Kleinstadt Sudscha gelangen. Und genau diese nahmen die russischen Truppen mithilfe von Drohnen ins Visier. Diese warteten häufig im Stand-by-Modus, um vorbeifahrende ukrainische Truppen anzugreifen. Die Straße befand sich außerdem in schlechtem Zustand und war teilweise nur mit 20 Kilometern pro Stunde zu befahren.
So wurde der Nachschub zum leichten Ziel und brach in den vergangenen Tagen fast komplett ein. In einem letzten Versuch, die Versorgung aufrechtzuerhalten, hüllten die Ukrainer die Zufahrtsstraße in einen Tunnel aus Stoffnetzen. Die Idee wurde in der Ukraine zunächst belächelt, hatte sich an anderer Stelle der Front beim Gegner aber bewährt, um Drohnen abzufangen. Den Rückzug aus Sudscha konnte diese eigenwillige Konstruktion aber nicht mehr verhindern. Dieser verlief wie so häufig spät und chaotisch. Letztlich schafften es die Ukrainer aber an die Grenze, ohne eingekesselt zu werden. Dort verbleiben weiter einige Truppen, um eine Pufferzone zu schaffen. Diese sollen russische Truppen an einem Vorstoß nach Sumy hindern.
Dass die russische Rückeroberung sich länger hinzog, lag zum anderen an der Hilfe aus Nordkorea. Diktator Kim Jong Un hatte Kremlchef Wladimir Putin etwa 10.000 Soldaten zur Unterstützung geschickt. Doch die nordkoreanischen Soldaten hatten zunächst massive Schwierigkeiten mit moderner Kriegsführung. Der Kampf in Kursk war von Beginn an wie im Rest der Ukraine von Drohnen geprägt - eine Herausforderung für die Nordkoreaner, die daraufhin Anfang des Jahres von der Front abgezogen wurden. Nach einem Bericht der "New York Times " kamen sie Ende Februar aber besser vorbereitet zurück und halfen nun beim Durchbruch.
Foto: AFP
Für Kyjiw kommt der Verlust derweil zur Unzeit. Kursk hätte in Verhandlungen über einen Waffenstillstand eine wichtige Rolle spielen können. Die Hoffnung der Ukrainer war es wohl, die russische Region gegen wertvolleres besetztes Gebiet im Osten der Ukraine tauschen zu können. Auch eine andere Hoffnung erfüllte sich nicht: Die Attacke sollte den Krieg nach Russland bringen und für Unruhe unter der Bevölkerung sorgen. In dem riesigen Land trug es aber nicht zum Stimmungswechsel bei. Im Gegenteil: Der Kreml nutzte den Einmarsch für seine Propaganda und stellte die Ukrainer als Gefahr dar.
An anderer Stelle scheint der Plan aber zumindest aufgegangen zu sein: Immerhin konnten die Ukrainer die vormals brüchigen Linien im Donbass stabilisieren. Diese Gegenoffensive in Kursk dürfte die Russen zumindest am Ende wertvolle Soldaten gekostet haben, die sonst im Osten gekämpft hätten. Eine Beobachtung aber dürfte für neue Unruhe sorgen: Offenbar wurden bereits nordkoreanische Truppen auf ukrainischem Gebiet nahe Basiwka gesichtet. Ob diese nun auch weiter hinter die Grenze vordringen sollen oder möglicherweise sogar an anderer Stelle in der Ukraine kämpfen würden, ist unklar.