15.10.2024 aktualisiert am 15.10.2024 - 13:06 Uhr
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Fernwärme soll die Wärmewende zum Gelingen bringen. Dafür hat das Bundeswirtschaftsministerium im Sommer den Entwurf veröffentlicht. Er enthält neben dem allgemeinen Zivilrecht die wesentlichen Bestimmungen für das Verhältnis zwischen Fernwärmeversorgungsunternehmen und ihren Kunden, man will damit "attraktive Rahmenbedingungen schaffen", heißt es seitens des Wirtschaftsministeriums. Beispielsweise sollen Preisänderungsklauseln konkretisiert werden, um Preisanpassungen transparenter zu machen und an die Kostenentwicklung der tatsächlich eingesetzten Energieträger zu binden. Laut dem Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) ist die geplante Änderung der AVBFernwärmeV aber immer noch eines: unverhältnismäßig.
Zwar verbessere der Entwurf die Transparenz und gelte als Modernisierung des Fernwärmerechts - zumal die aktuelle Verordnung im Kern 44 Jahre alt ist. "Die Kostenpunkte sind allerdings nicht gut geregelt", sagt Thomas Engelke, der Leiter des Teams Energie und Bauen beim Verband, auf Anfrage. Er gibt drei Beispiele.
Als Erstes nennt er die Anschlussleistung. Bisher haben Fernwärmekunden einen jährlichen Anspruch auf Reduzierung der Leistung um bis zu 50 Prozent, ohne hierfür Gründe nachweisen zu müssen. Das mindert den Grundpreis. Zur Erklärung: Der Fernwärmepreis setzt sich aus Verbrauchskosten und einem fixen Grundpreis zusammen. Letzterer wird durch einen Anschlusswert in Kilowatt Wärmeleistung errechnet. Mit anderen Worten: Es ist die mögliche Wärmemenge, die der Versorger zur Verfügung stellt und abrechnet. Das heißt aber nicht, dass das Haus diese Menge überhaupt braucht.
Eine solche Überdimensionierung konnte bislang über den Anschlusswert nachträglich korrigiert werden. Habeck macht der bisherigen Sparmöglichkeit aber einen Strich durch die Rechnung, indem sein Ministerium in der geplanten Neufassung die Reduzierung des Anschlusses aufhebt. "Das ist zum Nachteil der Verbraucher und zugunsten der Anbieter", sagt der Energieexperte beim vzbv.
Es gibt aber Ausnahmen, wie der Energieeffizienzverband für Wärme, Kälte und KWK (AGFW) auf Anfrage mitteilt. "Der Kunde kann seine Leistung in begründeten Fällen nach wie vor anpassen, beispielsweise nach erfolgter Gebäudesanierung oder bei geänderten Nutzungsanforderungen", sagt Sprecher Christopher Martin. Zum Vergleich: In der aktuellen Form der Novelle sind die Änderungen erst nach Ende der Vertragslaufzeit möglich.
Der Gesetzgeber wolle die Anpassungsmöglichkeit lediglich an Bedingungen knüpfen, um der Wärmewende und dem damit einhergehenden, notwendigen Transformationsprozess der Wärmenetze Rechnung zu tragen, heißt es seitens der Lobby-Organisation weiter. "Darin sehen wir einen berechtigten Ausgleich zwischen den Interessen der Verbraucher und der notwendigen Planungssicherheit des Versorgers", sagt Martin weiter. Mit anderen Worten: Jeder Kunde könne die Leistung nach Ablauf der (Erst-)Vertragslaufzeit weiterhin anpassen. Engelke vom Verband bleibt aber dabei: "Was fehlt, ist das allgemeine Recht, die Leistungsanpassung zu reduzieren." Wenn die Leistung falsch berechnet wurde, müsse es einen Korrekturmechanismus geben.
Anders als Engelke, verteidigt Martin von AGFW den jeweiligen Fernwärme-Versorger. Dieser sei für Ausbau und Transformation der Fernwärme auf stabile Rahmenbindungen und Planbarkeit angewiesen. Genauer verweist er dabei auf die Kosten der Wärmedienstleister. Allein bis 2030 würden sich die benötigten Investitionen der Versorger auf 43,5 Milliarden Euro belaufen. Der Sprecher bezieht sich dabei auf die Prognos-Studie "Perspektiven der Fernwärme", die vom AGFW in Auftrag gegeben wurde.
Auch Habecks Ministerium verteidigt die Fernwärmeversorgungsunternehmen: Die aktuelle Regelung zur Anpassung der Leistung (Paragraf 3, Absatz 1) sei mit rechtlichen sowie faktischen Unsicherheiten verbunden. Sie räume Kunden ein relativ kurzfristiges und einseitiges Leistungsanpassungsrecht ein, sagt die Sprecherin des Wirtschaftsministeriums, Susanne Ungrad, auf Anfrage. Sie begründet es damit, dass die Anpassung der vertraglich vereinbarten Wärmeleistung von bis zu 50 Prozent bisher an keinerlei Voraussetzung gebunden war. Die vorgeschlagene Rechtsänderung habe zum Ziel, die Anpassung für Kunden sowie Fernwärmeversorgungsunternehmen möglichst einfach und effizient hinsichtlich der Durchsetzung zu gestalten.
"Die Novelle soll insbesondere Regelungen zur Stärkung der Verbraucherrechte, für mehr Transparenz und zur Stabilisierung des wirtschaftlichen Rahmens für einen effizienten Ausbau und die Dekarbonisierung der Wärmenetze sowie zur Anpassung an die fortschreitende Digitalisierung enthalten", erklärt Ungrad weiter.
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"Dass die Vertragslaufzeiten bei der Fernwärme länger sind als bei anderen Arten der Wärmeversorgung, liegt daran, dass im Gegensatz zu anderen Heizungsarten kein Brennstoff gekauft wird", entgegnet Martin vom AGFW. Die Wärme werde als fertiges Produkt geliefert. "Längere Vertragslaufzeiten garantieren den Unternehmen, dass sie das investierte Geld über diesen Zeitraum wieder einnehmen können", sagt er.
Engelke aber bleibt dabei: "Die Hürden sind extrem hoch. Deshalb wollen wir ein Preislimit und ein Sonderkündigungsrecht für die Hauseigentümer bei Preissteigerungen von mehr als 20 Prozent." Zum Vergleich: Bei einem Gasanschluss laufen die Verträge in der Regel nur ein bis zwei Jahre. Zudem gibt es eine Vielzahl an Anbietern. Auch existiert ein Sonderkündigungsrecht bei einer Preiserhöhung. Mit anderen Worten: Wird es zu teuer, kann der Kunde den Anbieter wechseln. Das funktioniert bei der Fernwärme nicht.
Im Gegenteil, die Kunden sind machtlos. Vor kurzem meldete sich eine Familie aus Wilmersdorf bei der Berliner Zeitung, weil sie trotz sinkenden Verbrauchs für das Abrechnungsjahr 2023 knapp 900 Euro nachzahlen muss. Ein Wechsel wäre nur in der Theorie möglich. In der Praxis würde er "eine hohe sechsstellige Investition bedeuten und die Umstellung würde mehrere Jahre dauern", sagte der Wohnungseigentümer.
Diese Situation nutzen viele Energielieferanten aus, verkaufen mehr Wärme als nötig und zu sehr hohen Preisen - immerhin sind Fernwärmenetze regionale Monopole. Es gibt demnach nur einen Versorger und keinen Wettbewerb. Deshalb fordert der Verbraucherzentrale Bundesverband als Drittes eine bundesweite Preisaufsicht.
"Wir haben eine Preisaufsicht in den Ländern, das sind die Landeskartellbehörden, die sind aber häufig personell nicht stark besetzt", erklärt Engelke weiter. Der Verband fordert eine schlagkräftige, unabhängige Bundesbehörde, damit "die schwarzen Schafe" bei der Fernwärme erkannt werden und nicht mehr zu hohe Preise bei den Verbrauchern durchsetzen können.
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Das von Habeck geführte Wirtschaftsministerium reagierte laut Engelke auf die dritte Forderung, sagte, man könne sie nicht in der Verordnung regeln. Dafür brauche es ein Gesetz. "Die Preisaufsicht hätte parallel in einem Gesetz geregelt werden können, das ist aber leider unterblieben", moniert der vzbv-Teamleiter schließlich.
Ungrad vom Wirtschaftsministerium betont aber, dass Kunden gegen übermäßige Preiserhöhungen weiter geschützt werden. "Im Streitfall steht ihnen der Weg zu den Zivilgerichten offen", sagt sie. Zudem bestehe die Möglichkeit einer Sammelklage in Form einer kollektiven Leistungsklage. Der vzbv hat entsprechende Sammelklagen gegen Preiserhöhungen von E.ON und Hansewerk Natur eingereicht.
Wann über die neue Verordnung entschieden wird, ist noch offen. "Die AVBFernwärmeV befindet sich in der Ressortabstimmung und wird zeitnah ins Kabinett kommen", teilt Ungrad mit. "Bisher gab es noch keinen festen Kabinettstermin." Auf Details könne das Wirtschaftsministerium noch nicht eingehen.
Quelle: Berliner Zeitung