Rentnerin lag tot im Rollkoffer Frau (87) half Afghanistan-Flüchtling: Jetzt steht Mohammad A. unter Mordverdacht

FOCUS-Online-Reporter Göran Schattauer (Jena)

Freitag, 18.10.2019

Anfang 2019 fällt eine Rentnerin im thüringischen Jena einem Gewaltverbrechen zum Opfer. Schnell gerät ein Nachbar unter Verdacht, den die Frau finanziell unterstützt hatte - der 24-jährige Mohammad A. Jetzt kommt der Mann vor Gericht. FOCUS-Online-Recherchen ergaben: Die Beweislage ist erdrückend. Archiv - Die ermordete Rentnerin Ursula P.

Es geht um ein furchtbares Verbrechen. Um Mord.

Das Opfer: Ursula P. aus dem thüringischen Jena. Sie war 87 Jahre alt, als sie auf grausame Weise starb.

Der Tatverdächtige: Mohammad A. aus Kunar, einer Provinz im Nordosten Afghanistans. Geboren im März 1995.

Anklage: Frau mit brutaler Gewalt aus dem Leben gerissen

Der 24-jährige Mohammad A. muss sich ab Montag vor dem Landgericht Gera verantworten. Vor gut neun Monaten, am frühen Nachmittag des 10. Januar 2019, soll er seine Nachbarin Ursula P. brutal getötet haben. Dabei hatte ihn die gutmütige Frau zuvor finanziell unterstützt.

Doch ihre Hilfe reichte dem Angeklagten offenbar nicht. Er wollte mehr. So sieht es jedenfalls die Staatsanwaltschaft. Ihr Vorwurf: Mord in Tateinheit mit versuchtem Betrug und Urkundenfälschung. Hauptmotiv laut Anklage: Habgier.

Die Rentnerin starb durch massive Gewalt gegen Kopf, Hals, Brust, Arme und Beine. Außerdem stach ihr der Täter ein Messer tief in den linken Oberschenkel.

Als "unbegleiteter minderjähriger Flüchtling" eingereist

FOCUS Online recherchierte die Umstände und Hintergründe der Tat, insbesondere die Fluchtgeschichte des Angeklagten sowie dessen Entwicklung in der Bundesrepublik.

Demnach reiste Mohammad A. im Juni 2011 als "unbegleiteter minderjähriger Flüchtling" nach Deutschland ein und beantragte Asyl. Bei der Anhörung im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) gab der damals 16-Jährige an, sein Vater sei von Kämpfern der radikalislamischen Taliban getötet worden. Er selbst sei aus Angst vor den Terroristen geflohen.

Obwohl das Bamf den Asylantrag ablehnte, wurde Mohammad A. nicht abgeschoben. Ein Psychiater bescheinigte ihm eine "posttraumatische Belastungsstörung", hervorgerufen durch den Krieg in seiner Heimat. 2016 erhielt eine Aufenthaltserlaubnis.

Kein Schulabschluss, Hartz IV, Aliasname, polizeibekannt

Wie FOCUS Online aus Ermittlerkreisen erfuhr, hat Mohammad A. weder einen Schulabschluss noch eine Berufsausbildung. In Deutschland bezog er mehrere Jahre Hartz IV. Der polizei- und justizbekannte Mann, der mindestens einen Alias-Namen benutzte, wurde mehrfach straffällig. Sein Auszug im Bundeszentralregister enthält fünf Einträge, unter anderem Betrug, Beleidigung, Bedrohung und Erschleichen von Leistungen.

Mohammad A. lebte zunächst in einem Kinderheim. 2014 zog der Mann aus Afghanistan in einen sanierten DDR-Plattenbau im Jenaer Stadtteil Winzerla. Zu seinen Nachbarinnen in dem Sechsgeschosser zählte Waltraut B. (Name aus Schutzgründen von der Redaktion geändert). Nachbarin gab ihm aus Mitleid 10.000 Euro - und verarmte

Die Rentnerin war von den traurigen Erzählungen des Flüchtlings - sein Vater wurde angeblich enthauptet, die Mutter sei erblindet - beeindruckt und unterstützte ihn finanziell. Einmal gab sie ihm 2000 Euro, das nächste Mal 4000 Euro. Insgesamt steckte sie ihm 10.000 Euro zu, außerdem schloss sie zehn Handyverträge für ihn ab. Irgendwann hatte die Frau Mohammad A. ihre gesamten Ersparnisse von rund 10.000 Euro überlassen - und geriet dadurch selbst in Existenznot. Nachdem Frau nicht mehr zahlte, suchte er neue Gönnerin Als der Flüchtling merkte, dass bei Waltraut B. nichts mehr zu holen war, suchte er eine neue Unterstützerin - und fand sie in Ursula P. Schnell gewann er das Vertrauen der rüstigen Seniorin, die bis ins hohe Alter als Küchenhilfe in einem Jenaer Restaurant arbeitete und dort als gute Seele des Hauses galt. Die 1931 geborene Frau steckte Mohammad A. kleinere Beträge zu, mal 50 Euro, mal 100. Laut Staatsanwaltschaft bat er sie Anfang 2019 um 7000 Euro. Angeblich brauchte er das Geld, um zu seiner mittlerweile verstorbenen Mutter nach Afghanistan fliegen zu können. Ursula P. lehnte empört ab. Möglicherweise war das ihr Todesurteil. Als Tochter Wohnung der Rentnerin betrat, lief noch das Radio Am 10. Januar 2019 gegen 14 Uhr kamen die Tochter und die Enkelin von Ursula P. in deren Wohnung. Den Termin hatte man am Vormittag telefonisch verabredet. Doch die Rentnerin war nicht da. Ihre Winterjacke und die Handtasche fehlten, im Radio lief Musik. Bestimmt war sie nur kurz weggegangen, dachten Tochter und Enkelin. Arglos verließen sie das Appartement. Am nächsten Tag kam bei der Tochter ein böser Verdacht auf, denn sie erhielt einen alarmierenden Anruf. Eine Bank-Mitarbeiterin teilte ihr mit, dass ein Überweisungs-Formular eingegangen war. Darauf stand, dass von Ursula P.s Konto 7000 Euro abgebucht werden sollten. Empfänger des Geldes laut Vordruck: Mohammad A. Allerdings hatte die Bankangestellte Zweifel, dass die Unterschrift auf dem angeblich am 9. Januar ausgefüllten Formular tatsächlich von Ursula P. stammte - und führte die Buchung nicht aus. Täter pferchte Frau in Koffer und versteckte sie im Keller Die Tochter fuhr sofort in die Bankfiliale, wo sie die Unterschriften-Fälschung erkannte. Anschließend ging sie in die - noch immer leere - Wohnung der Mutter. Am Nachmittag des 11. Januar 2019 stellte sie Vermisstenanzeige bei der Polizei. Wenige Stunden später, am 12. Januar gegen 2.00 Uhr morgens, fanden Polizisten die Leiche der Rentnerin, eingepfercht in einen Rollkoffer. Er stand im verschlossenen Kellerabteil ihrer Wohnung und war vom Täter in einem Schrank versteckt worden. Aufgrund der gefälschten Überweisung wusste die Polizei sehr schnell, nach wem sie suchen musste. Kein Geständnis, keine Zeugen, aber viele belastende Spuren Mohammad A. wurde am 12. Januar um 14.18 Uhr in Erfurt festgenommen. Vor dem Haftrichter bestritt er die Tat. Bis heute hat er kein Geständnis abgelegt. Seine Verteidigerin Stefanie Biewald aus Jena wollte sich auf Anfrage nicht zu dem Fall äußern. Nach Recherchen von FOCUS Online ist die Indizienlage erdrückend. So fanden Ermittler DNA-Spuren des Angeklagten am Körper des Opfers, im Inneren des Rollkoffers sowie am Bettzeug, in das der Leichnam eingewickelt war. Genspuren der Rentnerin wiederum entdeckten Rechtsmediziner an der Jacke von Mohammad A. und an dessen Turnschuhen der Marke "New Balance". Video zeigt Mann beim Einwurf gefälschter Überweisung Die kriminaltechnische Auswertung der Handschrift auf dem Formular der 7000-Euro-Überweisung ergab: Die Unterschrift "Ursula P." hat der Angeklagte gemacht. Videoaufnahmen der Bankfiliale zeigen, dass er den Vordruck wenige Stunden nach der Tat in den Briefkasten des Geldinstituts geworfen hatte. Zudem beweist eine Funkzellenanalyse, dass er zum Tatzeitpunkt mit seinem Handy am Ort des Tötungsverbrechens eingeloggt war. Belastet wird Mohammad A. außerdem durch Fingerabdrücke und Faserspuren. Kinder der Ermordeten wollen Prozess im Gericht verfolgen Die Ermordung von Ursula P. hat in Jena und weit darüber hinaus für Entsetzen, Wut und Trauer gesorgt. Die Angehörigen leiden bis heute schwer. Tochter und Sohn des Opfers treten in dem am Montag beginnenden Prozess als Nebenkläger auf. Sie wollen versuchen, an jedem Verhandlungstag im Gericht zu sein. Ihr Anwalt Stephan Rochlitz zu FOCUS Online: "Sie hoffen darauf, dass die schreckliche Tat lückenlos aufgeklärt wird und das Gericht ein gerechtes Urteil fällt."


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