FOCUS-online-Chefreporter Göran Schattauer
Mittwoch, 22.05.2024, 15:34
So gebe es "kaum noch" Unterbringungsmöglichkeiten, eine nachhaltige Integration von Geflüchteten sei "nur schwer möglich", die Eingliederung in den Arbeitsmarkt laufe "schleppend". Die zugespitzte Lage führe zu einer "starken Belastung der Sozialsysteme im Landkreis".
Die Volksvertreter verknüpften ihren Weckruf mit insgesamt elf Forderungen an die Politik-Verantwortlichen in Berlin und Erfurt. Dazu gehörten die "wirksame Bekämpfung der illegalen Migration", "effektive und funktionierende Rückführungsstrategien" sowie die "drastische Reduzierung von Leistungen für ausreisepflichtige Asylbewerber".
Ihre brisante Resolution sandten die Entscheider um Landrätin Peggy Greiser (parteilos) Mitte Februar 2024 an Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) - und hofften auf eine schnelle und konsequente Reaktion.
Doch es passierte lange: nichts. Erst knapp drei Monate später, Anfang Mai, meldete sich der für Migrationspolitik zuständige Abteilungsleiter im Innenministerium zurück.
Ministerialdirektor Ulrich Weinbrenner dankte Greiser und deren Mitstreitern im tiefsten Osten für den "wertvollen Beitrag zu dieser notwendigen gesamtgesellschaftlichen Diskussion" und ihr "großes Engagement". Sodann listete er großflächig Beispiele für die angeblich hervorragende Arbeit der Bundesregierung auf. Dabei ging er mit keinem Wort auf die angesprochenen Probleme ein oder deutete auch nur an, dass die Ampel mitverantwortlich sein könnte für die Misere.
In ihrem Duktus erinnert die Erwiderung aus Faesers Ministerium an propagandistische Lobhudeleien der Partei- und Staatsführung in der DDR, ganz nach dem Motto: Die Funktionäre unter Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) machen immer alles richtig und haben die Situation fest im Griff.
FOCUS online dokumentiert die prägnantesten Passagen aus dem vierseitigen Brief an Landrätin Greiser, damit sich jeder Leser selbst ein Urteil bilden kann.
Gleich zu Beginn stellt Abteilungsleiter Weinbrenner im schönsten Beamtendeutsch fest:
"Die vielfältigen Themen der Migrations- und Integrationspolitik werden auf höchster politischer Ebene intensiv erörtert und denkbare Lösungen sorgsam abgewogen. Herr Bundeskanzler Olaf Scholz erörtert mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder regelmäßig die entsprechenden Fragestellungen. Die Umsetzung wird sorgsam beobachtet."
Im Folgenden zählt der Faeser-Mitarbeiter die Errungenschaften des Ministeriums sowie der gesamten Bundesregierung auf - ein Potpourri der guten Taten:
Im Schlussteil seines Briefes versicherte der Beamte des Innenministeriums noch einmal, die Verantwortlichen würden alles für das Wohl des Volkes tun. So betonte er, "dass die Bundesregierung die Herausforderungen der Migrationspolitik sehr ernst nimmt und kontinuierlich an Lösungen arbeitet, die sowohl den Schutz der Menschenrechte als auch die Sicherheit und das Wohl unserer Gesellschaft gewährleisten".
Im Kern kann man den Inhalt des ministeriellen Schreibens in einem Satz zusammenfassen:
Mit einer kaum noch zu überbietenden Selbstbeweihräucherung und dem konsequenten Ausblenden eigener Fehlleistungen wird der Versuch unternommen, die - angeblich - tollen Leistungen der Regierung bei der Asyl- und Migrationspolitik hervorzuheben.
Kein Wort davon, dass Maßnahmen wie die Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen von Innenministerin Feaser lange blockiert wurden und erst auf massiven Druck der Opposition zustande kamen. Oder dass die - im Brief ebenfalls erwähnte - "Bezahlkarte" für Asylbewerber innerhalb der Ampel auf massiven Widerstand gestoßen war, insbesondere bei den Grünen.
Auch die sinkende Akzeptanz für Asylsuchende innerhalb der Bevölkerung, die Probleme durch Zuwanderer-Kriminalität, die eklatanten Schwierigkeiten bei Abschiebungen oder die finanziellen und logistischen Belastungen der Kommunen waren keine Erwähnung wert. Von konkreten Zusagen oder Hilfsangeboten an die gebeutelten Städte und Gemeinden ganz zu schweigen.
Von den Floskeln aus Berlin können sich die Landräte und Bürgermeister an der Basis nichts kaufen. Auf den meisten ihrer Probleme bleiben sie sitzen. Eine Besserung ist nicht in Sicht - im Gegenteil.
Seit Verabschiedung der Resolution habe sich "wenig bis gar nichts" getan, kritisiert Landrätin Peggy Greiser im Gespräch mit FOCUS online. Im Gegenteil. Die jüngsten Gewaltexzesse in Thüringer Regionalzügen, wo es immer wieder zu gewalttätigen Übergriffen durch junge Asylbewerber kommt, zeigten, "wie dringlich unsere Forderungen nach wie vor sind".