Asylbewerber zu Geldstrafe verurteilt

Prozess um Tumulte bei Abschiebe-Einsatz: Zeugen schildern dramatische Szenen

FOCUS-Online-Reporter Göran Schattauer (Augsburg)

Montag, 03.02.2020, 19:55

Das Amtsgericht Augsburg hat einen 25 Jahre alten Flüchtling aus Gambia wegen Landfriedensbruchs verurteilt. Er hatte im März 2018 gemeinsam mit Dutzenden anderen Asylbewerbern die Abschiebung eines Landsmannes verhindert. Die Gruppe beschimpfte und bedrohte Polizisten, Sicherheitsleute und sogar Mitarbeiter des Malteser Hilfsdienstes. Vor Gericht schilderten Zeugen dramatische Szenen. dpa/AdobeStock/iStock/Composing: Sascha Weingartz Ein Polizeifahrzeug am Eingang des Ankerzentrums in Donauwörth.

Knapp zwei Jahre nach den zeitweise außer Kontrolle geratenen Protesten gegen eine Abschiebe-Maßnahme der Polizei im bayerischen Donauwörth ist einer der Täter wegen Landfriedensbruchs verurteilt worden.

An diesem Montag verhängte das Amtsgericht Augsburg gegen den aus Gambia stammenden Sam D. eine Geldstrafe von 450 Euro. Zuvor hatte sich der 25-Jährige gegen einen Strafbefehl gewehrt, weshalb es nun zum Prozess kam (Az.: 02 Cs 101 Js 111187/18).

Angeklagter beschimpft Zeugen als "Lügner"

In der Verhandlung bestritt der Asylbewerber (Halskette, breite Fingerringe, Armreifen, Hemd mit aufgedruckten Palmen, schwarze Lederjacke), an den Krawallen beteiligt gewesen zu sein. Zeugen, die ihn eindeutig erkannt hatten, schimpfte er "Lügner". Zuvor hatte er vergeblich versucht, den Prozess zu verschieben und die Richterin für befangen erklären zu lassen.

Da der Mann kein Geständnis ablegte, erhöhte das Gericht den im Strafbefehl ursprünglich festgesetzten Tagessatz von 80 auf 90. Zugleich reduzierte es die Strafe von 10 Euro auf fünf Euro pro Tag. Ausschlaggebend dafür waren die wirtschaftlichen Verhältnisse des Mannes. Er ist arbeitslos und erhält nach eigenen Angaben monatlich 150 Euro vom deutschen Staat. Damit muss er statt 800 Euro nunmehr 450 Euro zahlen und die Kosten des Verfahrens tragen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Krawalle im Flüchtlingsheim

Die Ausschreitungen im Asylbewerberheim Donauwörth im März 2018 hatten deutschlandweit für Aufsehen gesorgt. Zeitweise mehr als 50 in dem Heim untergebrachte Flüchtlinge hatten sich massiv gegen einen Polizeieinsatz gewehrt, so dass die geplante Abschiebung eines Mannes abgebrochen werden musste. Während der Tumulte wurden Beamte beleidigt und Mitarbeiter einer Hilfsorganisation bedroht.

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) hatte nach dem Vorfall erklärt: "Hier bei uns einerseits Schutz und Sicherheit zu suchen, aber andererseits gleichzeitig derartige Randale zu veranstalten und unser Rechtssystem zu missachten, geht gar nicht."

Anklage: "Zusammengerottete Gruppe" stoppte Abschiebe-Einsatz

Nach Schilderungen der Anklage müssen es dramatische Szenen gewesen sein, die sich in dem Flüchtlingsheim abgespielt haben: In der Nacht des 14. März 2018 betraten zwei Polizisten die Unterkunft, um einen abgelehnten Asylbewerber aus Gambia abzuholen. Er sollte nach Italien abgeschoben werden.

Der Einsatz endete im Tumult. Zunächst stellten sich etwa 15 Asylbewerber den Beamten entgegen. Laut Staatsanwaltschaft verhielt sich die "zusammengerottete Gruppe" äußerst aggressiv und bedrohte die Uniformierten. Es fielen Sätze wie "We will kill you".

Um die Situation zu entschärfen, traten die Polizisten den Rückzug an. Die Abschiebung des Gambiers, der vor Ort nicht angetroffen wurde, brachen sie ab.

Hilfsdienst-Mitarbeiter verbarrikadierten sich in Büro

Wenig später rief der Sicherheitsdienst des Heimes die Beamten zurück. Grund: Die "gewaltbereite Meute aus etwa 50 Flüchtlingen" (Anklage) hatte es auf vier Mitarbeiter des Malteser Hilfsdienstes abgesehen. Die Opfer fürchteten laut eigener Aussagen um ihr Leben und verbarrikadierten sich in einem Zimmer.

Als die beiden Polizeibeamten auf das Gelände des Heims zurückkehrten, wurden sie abermals von den Asylbewerbern eingekreist. Die Männer schlugen gegen Türen, rüttelten am Treppengeländer und zertrümmerten Fensterscheiben.

"Fuck Police", "Fuck security", "This is a prison"

Sie riefen: "Fuck Police", "Fuck security" und "This is a prison". Ein Mann zeigte seinen gestreckten Mittelfinger in Richtung der Beamten. Erst nach dem Eintreffen Dutzender Bereitschaftspolizisten mit Helmen, Schlagstöcken und Hunden beruhigte sich die Lage.

30 Menschen im Alter zwischen 17 und 33 Jahren - überwiegend aus Gambia stammende Flüchtlinge - wurden vorläufig festgenommen und kamen in Untersuchungshaft. Die Vorwürfe: Landfriedensbruch, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, versuchte gefährliche Körperverletzung, Beleidigung.

Wie bedrohlich die Lage während des Aufstandes war, schilderten an diesem Montag mehrere Zeugen, darunter Polizisten, Security-Mitarbeiter sowie Malteser-Helfer.

Sicherheits-Chefin: "Morddrohungen nichts Neues"

So erklärte die damalige Leiterin des Sicherheitsdienstes in dem Asylbewerberheim, sie habe die Lage als "sehr gefährlich" empfunden. Eine "enorme Menge" afrikanischer Flüchtlinge sei äußerst aggressiv gewesen und habe sich nicht mehr beruhigen lassen. "So etwas ist mir in meinem ganzen Berufsleben noch nicht passiert." Sie sprach von einer "völlig unberechenbaren" Lage.

Als besonders schlimm habe sie im Moment des Aufstandes Drohungen wie "Ich bringe dich um" oder "Ich bringe deine Familie um" empfunden. Zugleich sagte sie den schockierenden Satz: "Dass wir mit Mord bedroht werden, ist nichts Neues. Das ist alltäglich."

Polizist: "Wir standen auf verlorenem Posten"

Ein heute 60 Jahre alter Polizist, der damals zusammen mit einem Kollegen die Abschiebung durchführen sollte, sagte vor Gericht: "Um uns herum hat sich ein Tumult gebildet mit lauter Schwarzafrikanern." Etwa 40 bis 50 Leute hätten "lautstark auf uns eingebrüllt".

"Wir standen auf verlorenem Posten", räumte der mittlerweile im Ruhestand befindliche Beamte ein. "Wenn wir versucht hätten, wieder in das Haus reinzukommen, wären wir fällig gewesen. Die waren aufgebracht bis aufs Blut."

Sein Polizei-Kollege bestätigte dies: "Es war bedrohlich. Man wusste nicht, wann es kippt und zu körperlicher Gewalt gegenüber uns Polizisten kommt." Ein Security-Mitarbeiter sprach von einem "Aufstand" der Asylbewerber. Er habe sich total "unsicher gefühlt". Die Situation sei "sehr brenzlich" gewesen.

Richterin zum Angeklagten: "Sie waren aktiv beteiligt"

Nach Überzeugung des Gerichts hatte der nunmehr verurteilte Sam D., der wegen der Sache bereits zwei Monate in Untersuchungshaft saß, an den gewaltsamen Ausschreitungen teilgenommen. Richterin Ulrike Ebel-Scheufele: "Sie waren aktiv beteiligt." Das hätten mehrere Zeugen übereinstimmend bestätigt. Dabei betonte die Richterin, dass eine "sehr sorgfältige Identifizierung" stattgefunden habe und die Aufklärung durch die Polizei absolut korrekt gewesen sei.

Der Verurteilte schüttelte - ebenso wie seine zahlreichen Unterstützer im Gerichtssaal - immer wieder den Kopf.


Quelle: focus.de Gerichtsreport Göran Schattauer vom 03.02.2020