FOCUS-MONEY-Redakteur Axel Hartmann
FOCUS-MONEY-Redakteur Timo Baudzus FOCUS-MONEY-Autor Mario LochnerMontag, 09.11.2020, 14:07
Der IWF spricht sich für Minuszinsen in der Euro-Zone aus. Alle Geldbesitzer könnten bald ordentlich draufzahlen. Was steckt hinter diesem Irrsinnsplan?
Stellen Sie sich vor, jemand hätte Ihnen vor fünf Jahren prophezeit, es gäbe in nicht allzu ferner Zukunft Banken, die 1000 Euro Kredit ausbezahlen, aber nur 900 Euro zurückverlangen. Sie hätten sicher ungläubig den Kopf geschüttelt. Das allerdings ist längst Realität. Das Kreditportal Smava gibt bereits seit 2017 sogenannte Negativzins-Kredite aus. Der neueste Coup des Berliner Fintech ist seit Montag vergangener Woche auf dem Markt: ein Kredit mit einem effektiven Jahreszinssatz von zehn Prozent. Minus zehn Prozent wohlgemerkt! Nicht der Kunde zahlt drauf, sondern die Bank. Verkehrte Geld-Welt!
Fünf bis sechs Prozent Negativzins. Wenn es nach dem Internationalen Währungsfonds (IWF) geht, ist die verkehrte Welt bald der Normalzustand in der Euro-Zone. In einem Blog- Beitrag haben IWF-Ökonomen Negativzinsen in Höhe von minus fünf oder sechs Prozent in den Ring geworfen. Der Grund: Der IWF befürchtet, dass die globale Wirtschaft in die Rezession abrutscht, möglicherweise sogar in eine tiefe Depression mit Massenarbeitslosigkeit, Firmenpleiten, Börsencrash. Das Allheilmittel der Notenbanken bestand in solchen Fällen darin, die Notenpresse anzuwerfen und die Märkte mit billigem Geld zu fluten. Historisch betrachtet, sind die Zinsen in solchen Phasen zwischen drei und sechs Prozentpunkten gesenkt worden.
In Zeiten von Nullzinsen (Euro-Zone) und Negativzinsen (Schweiz, Japan) bedeutet das folgerichtig: Die Zinsen müssen tief in den negativen Bereich hinein. Ökonom Hans-Werner Sinn schmeckt dieser absurde Vorschlag überhaupt nicht. "Spätestens dann wäre es für Deutschland an der Zeit, den Euro aufzugeben", mahnt der ehemalige Ifo-Chef. Und: "Die Verluste beim Austritt wären ein Klacks gegenüber dem, was uns blühen würde, wenn wir der EZB den Weg in die Welt der negativen Zinsen erlauben würden."
Negativzinsen würden das Finanzsystem vollends ad absurdum führen. Sparer zahlen Strafen, Kreditnehmer bekommen Gutschriften. Der IWF glaubt so, den Konsum ankurbeln zu können und Unternehmen zu Investitionen zu bewegen. Die Logik: Wenn es sich nicht lohnt, Geld auf dem Konto zu parken, dann muss man es eben unter die Leute bringen. Doch diese vermeintliche Rezessionsmedizin hat fatale Nebenwirkungen. Negativzinsen sind die Extremform der Enteignung sämtlicher Geldbesitzer. Durch die Nullzinspolitik der EZB sind deutschen Sparern laut Sinn bereits 700 Milliarden Euro durch die Lappen gegangen. Negativzinsen hingegen kämen sogar einer "Ausbeutung der Sparer" gleich, kritisiert der Ökonom. Während sich Schuldenstaaten wie Italien die Hände reiben, schauen deutsche Geldbesitzer in die Röhre. Insbesondere die private Altersvorsorge würde zum Problemfall. Die Minuszinsen würden die Anleihenrenditen und damit die Haupteinnahmequelle der Versicherer vollends in den Keller drücken. Die Folge: Man muss viel mehr sparen, um im Alter eine anständige Rücklage zu erhalten.
Ergo: Das Geld landet nicht im Konsum, wie ursprünglich gedacht, sondern auf der hohen Kante. Oder aber unterm Kopfkissen! Dort wäre ja ein vermeintlich sicherer Platz, um den Strafzinsen zu entgehen.
Deutschland in der Target-Falle! Italien ist so blank, dass nicht mal sein Goldschatz reicht, um deutsche Kredite zu besichern.
Ach, was wäre das schön! Ein unbegrenzter Dispokredit, ganz unabhängig vom eigenen Einkommen, für den man keine Zinsen bezahlen muss und den die Bank niemals zurückverlangen kann. Was man sich da alles leisten könnte! Teure Autos, Uhren, Urlaube, großzügige Geschenke an alle Familienmitglieder. Alles, was das Herz begehrt. Klingt eigentlich zu schön, um wahr zu sein - ist es aber! Nur leider nicht im privaten Bereich, sondern in der Euro-Zone - und die Deutschen sind nicht die Nutznießer, sondern die Geldgeber. Auf 868 Milliarden Euro summieren sich mittlerweile die Forderungen der Deutschen Bundesbank gegen die EZB im Target-2-System. Die Bundesbank ist damit mit Abstand der größte Kreditgeber in der Euro-Zone. Überspitzt formuliert, finanzieren hochverschuldete Euro-Länder momentan ihre Importe aus Deutschland und anderen Staaten über das Target-System. "Deutschland ist zu einem Selbstbedienungsladen geworden, in dem man nach Belieben anschreiben lassen kann", warnt Ökonom Sinn.
Italien und Spanien sind die größten Schuldner. Allein Italien hat 482 Milliarden Euro Verbindlichkeiten gegenüber dem Euro-System angehäuft. "Auf Deutschland entfallen davon 27 Prozent", schreibt Target-Experte Sinn. Dies entspricht 130 Milliarden Euro. Im schlimmsten aller Fälle müsste die EZB und schlussendlich auch die Bundesbank auf diesen Betrag verzichten.
Sinn ist sich sicher: Tritt eines der hochverschuldeteten Länder wie Italien aus dem Euro aus, dann müssen "die verbleibenden Notenbanken schon deshalb die Verluste tragen, weil die EZB ihre Verpflichtungen ihnen gegenüber nicht mehr erfüllen kann". Ergo: Das Geld ist weg! Das Target-System ist in der momentanen Ausgestaltung also ein Fass ohne Boden.
Könnte man die Risiken für Deutschland & Co. begrenzen? Ja, das ginge! Man könnte Obergrenzen einziehen für die Target-Salden oder eine Besicherung der Kredite verlangen. Sinn schlägt vor, "dass die nationalen Notenbanken am Ende eines jeden Jahres zur Sicherung der Forderungen Goldbestände in Höhe der Saldenveränderung an die EZB übertragen". Das bedeutet: Steigt der Target-Saldo von Italien bei der EZB um 50 Milliarden Euro an, müsste die Notenbank Italiens Gold im Wert von 50 Milliarden an die EZB liefern. Das Problem: Die Goldbestände Italiens im Wert von 90 Milliarden Euro reichen schon heute bei Weitem nicht mehr aus, um die Forderungen aus dem Target-System zu decken. Sie reichen nicht einmal, um den Haftungsanteil der Deutschen Bundesbank zu bedienen (siehe Grafik oben).
Nur um die Dimensionen einmal klarzumachen: Neben ihrem gesamten Goldbestand müsste die italienische Notenbank zusätzliche Sicherheiten im Wert der Kapitalisierung des italienischen Aktienindex FTSE-MIB liefern, um ihre gesamten Schulden zu besichern. Die EZB müsste sich also theoretisch die 40 wertvollsten Aktiengesellschaften Italiens einverleiben. Das wäre so, als müsste Deutschland den gesamten Dax verpfänden. Das bedeutet im Klartext: Ciao, Wohlstand!
Enteignung war erst der Anfang: Warum der IWF den totalen Angriff auf unser Bargeld plant - und Münzen und Scheine schon bald Geschichte sein könnten.
Haben Sie schon mal darüber nachgedacht, Ihre Ersparnisse im Garten zu vergraben? Gut versteckt vor den langen Fingern des Staates. Die Angst vor der Enteignung geht schließlich schon länger um. Staat und Notenbanken schröpfen den Sparer seit Jahren. Aber Sie können den Spaten im Schrank lassen, die Mühe lohnt sich nicht. Denn der Internationale Währungsfonds (IWF) hat einen perfiden Plan in der Schublade: ein konzertierter Angriff auf unsere Münzen und Scheine. Der erste Schritt: Negativzinsen auch auf Bargeld. In einem aktuellen Denkpapier macht der IWF den entscheidenden Vorstoß dazu: Zentralbanken und Regierungen sollen künftig Negativzinsen auch auf Bargeld erheben können. Der zweite Schritt wäre dann der Exitus: das Bargeld abschaffen und auf elektronische Zahlungssysteme umstellen. Das würde natürlich den Zorn der Bürger befeuern, und Widerstand wäre programmiert. Es würde beim Geld die letzte Bastion in Sachen Freiheit fallen. Bei elektronischen Zahlungssystemen lässt sich jede Transaktion nachvollziehen und der Bürger würde noch gläserner werden. Es droht die totale Überwachung!
Wie ließe sich die Eskalation vermeiden? Man könnte die Geldmenge in zwei Parallelwährungen unterteilen, schreiben die beiden IWF-Ökonomen Ruchir Agarwal und Signe Krogstrup in ihrem aktuellen Blog-Beitrag. Demnach würde es einen Umtauschkurs zwischen der einen Währung (Bargeld) und der anderen (Sicht- und Spareinlagen) geben. Dieser Kurs ließe sich verändern und damit das Verhältnis zwischen Scheinen und Bankeinlagen steuern. Ein Beispiel: Bei einem negativen Zins von fünf Prozent würde dann das Bargeld auch um fünf Prozent jährlich abwerten. Die Zentralbanken würden aus Sicht der IWF-Ökonomen "komplett befreit" von ihrem Dilemma. Sinn sieht das ganz anders: Das Parallelwährungsmodell wäre "die lange befürchtete Währungsreform, bei der die Bargeldbestände entwertet werden".
Sinn treibt diese Problematik schon länger um: "In der Schweiz sind ganze Stollen mit Bargeld gefüllt, weil es billiger ist als negative Zinsen", erklärt der Ökonom. "Aber die EZB ist nicht dumm: Sie hat die Tresorkosten schon lange in die Höhe getrieben!", schimpft der Ökonom. Seine Begründung: Die Abschaffung des 500-Euro-Scheins sollte die Lagerung von Bargeld deutlich teurer machen. Das treibe die Kosten um einen Faktor von 2,5 in die Höhe, weil man nur noch 200-Euro-Scheine und damit viel mehr bunkern könne.
Immerhin hat Sinn noch Hoffnung: Er könne sich ehrlicherweise nicht vorstellen, dass die EZB in Frankfurt dem IWF-Plan aus Washington folgen werde. Aber gibt sich Sinn hier ausnahmsweise zu optimistisch? Denn IWF-Autorin Krogstrup hat bereits 2018 einen ähnlichen Beitrag veröffentlicht. Der Name der Co-Autorin: Katrin Assenmacher-Wesche. Und jetzt dürfen Sie raten, wo diese Dame arbeitet. Als Abteilungsleiterin für geldpolitische Strategie bei der EZB ...
Italien ertrinkt in Schulden und rutscht in die Rezession. Die Regierung verteilt dennoch munter Geschenke - weil sie die Euro- und EU-Staaten in der Hand hat.
Die Koalition aus Lega Nord unter der Führung von Innenminister Matteo Salvini und Movimento 5 Stelle mit Arbeitsminister Luigi Di Maio an der Spitze macht weiter Schulden - das geplante Budgetdefizit liegt 2019 bei rund zwei Prozent des BIP - und verteilt Geschenke. Die Kosten für die diversen sozialen Wohltaten im laufenden und kommenden Jahr summieren sich immerhin auf mehr als 27 Milliarden Euro.
Für Hans-Werner Sinn völlig ungeeignete Rezepte: "Italien braucht die Nachfrage von Ausländern, die in Italien gute und preisgünstige Industrieware finden. Was Italien nicht braucht, ist eine durch Kredite oder Geldgeschenke aufgeblasene Binnennachfrage, die alle Beteiligten in der Illusion wiegt, ohne Lohn- und Preiszurückhaltung käme man im Euro wieder auf die Beine." Von Letzterem jedoch keine Spur. Vielmehr hätten sich Italiens Güter seit 1995, dem Jahr, als der Euro endgültig beschlossen wurde, relativ zu Deutschland bis heute um 38 Prozent verteuert, was ein Viertel der Industrieunternehmen vernichtet habe, rechnet Sinn vor. Zudem hinkt die Produktion der in den anderen Euro-Staaten meilenweit hinterher. Sie liegt 17 Prozent unter dem Niveau vor Ausbruch der großen Finanzkrise 2008.
Wie ist die stolze Nation im Süden Europas noch zu retten? Für Sinn gibt es vier Optionen:
Lösung eins ist extrem schmerzvoll, weil die Löhne sinken müssten und Schuldner oder auch Mieter mit langfristigen Verbindlichkeiten beziehungsweise Verträgen hart getroffen würden. Ohne Aufstände ist das wohl kaum zu machen.
Lösung zwei scheitert am enormen Unterschied. Wie will man die Angleichung in angemessener Zeit selbst mit einer Inflationsdifferenz von "nur" zwei Prozentpunkten hinbekommen? Und was würden deutsche Sparer sagen, wenn die Zinsen im Keller verharren, aber die Teuerung anzieht?
Bleiben nur drei und vier. Das weiß auch die Regierung in Rom, glaubt Ökonom Sinn, wobei der Euro-Austritt als Druckmittel für die Transferunion diene. Denn eine auch nur temporäre Abkehr Italiens vom Euro würde nicht nur einem Offenbarungseid der führenden Politiker Europas gleichkommen. Viel verheerender wären die bereits im Vorfeld des Austritts einsetzende Kapitalflucht und angesichts drohender Zahlungsausfälle ins Wanken geratende Banken. Allen voran französische Institute, die Anleihen und Kredite italienischer Schuldner im Umfang von mehr als 300 Milliarden Euro in den Büchern haben. Ein großes Fragezeichen stünde auch hinter den sogenannten Target-Schulden der Banca d'Italia gegenüber dem Euro-System.
Die Regierung in Rom hat für die Mahner unterdessen nur ein Lächeln übrig, schließlich habe der schon öfter falsch gelegen mit Prognosen, lassen Salvini und Di Maio verlauten. Die beiden konzentrieren sich lieber darauf, ihren Einfluss im EU-Parlament bei den Ende Mai anstehenden Europawahlen auszubauen und damit ihre Position in Brüssel zu stärken. Hans-Werner Sinn erwartet harte Verhandlungen über das weitere Schicksal Italiens im Euro und der EU: "Ich hoffe, Europa und der Euro zerbrechen darüber nicht. Ich bin aber auch nicht der Meinung, dass wir beliebig viel Geld auf den Tisch legen sollten, um jene zu halten, die unbedingt rauswollen."
"Die meisten Deutschen sind relativ unvermögend, und besitzen etwas Gespartes und eine Lebensversicherung. Alle diese Maßnahmen begünstigen aber die Besitzer von Immobilien, Aktien und Edelmetallen und bestrafen die armen Sparer. Dennoch wählen die armen Sparer immer wieder die Parteien, die ihnen das antun. Schön blöd."
"Wer, so möchte man Prof. Sinn fragen, war und ist denn der Verursacher von Bankenpleiten in deren Folge die Kollektivhaftung der übrigen, und hier, deren Kunden, einsetzt? Was bereits auf einem Teilgebiet so gut klappt, entwickelt sich zur Transferunion. Ferner möchte man Prof. Sinn fragen, wer es im Selbstbedienungsladen übertrieben hat:
a) der Durchschnittsarbeitnehmer, der an den Erfolgen nur marginal beteiligt wurde - sich aber einer überhohen Steuer- und Abgabenlast ebenso ausgesetzt sieht, wie der Rückführung seiner durch eigene Hände Arbeit erwirtschafteten Rentenansprüche, oder
b) eine maßlose Wirtschaft, die Jahrzehnte über Subventionsabgriff in einer Netto-Aufkommensbilanz mehr Steuergelder dem Staat entzieht, als über Steuerzahlungen zum Gelingen des Staatswesens beiträgt?"
Quelle: focus online vom 09.11.2020