12.11.2021, 11:31 Uhr | Kgl, t-online
Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) hat sich anscheinend gegen eine der wichtigsten europäischen Maßnahmen für mehr Steuertransparenz verweigert. Das berichtet der "Spiegel" am Freitag. Dem Blatt liegt eine interne Stellungnahme von Scholz' Behörde für die zuständige Arbeitsgruppe des europäischen Finanzministerrats aus dem Frühsommer des vergangenen Jahres vor.
Eine Anfrage, ob Deutschland wie andere EU-Länder auch sogenannte steuerliche Vorabsprachen mit Unternehmen veröffentlichen würde, lehnte das Finanzministerium demnach ab. "Absprachen werden generell nicht offengelegt", heißt es in dem Schreiben. Sie seien Bestandteil des Steuergeheimnisses. Eine anonymisierte Veröffentlichung lehnte die Bundesregierung ebenfalls ab. Wie das Ministerium mitteilte, seien die einzelnen Bundesländer für die Ausfertigung verantwortlich.
Die Stellungnahme ist nicht das einzige Dokument, das dem "Spiegel" vorliegt. Insgesamt berichtet das Magazin in der aktuellen Ausgabe über 2.500 interne Papiere aus der "Gruppe Verhaltenskodex" der EU. Die Auswertung erfolgte in Zusammenarbeit mit dem Rechercheverbund European Investigative Collaborations (EIC). Demnach zeigen die Dokumente, dass sich das vertraulich tagende EU-Gremium bereits seit über 20 Jahren um Kontrolle über den Steuerwettlauf in Europa bemüht.
So ist es der EU-Arbeitsgruppe bislang nicht gelungen, eine realistische "schwarze Liste" von Steueroasen aufzustellen. 60 Staaten, die sie verdächtigte, gegen internationale Absprachen zur Firmenbesteuerung zu verstoßen, hatte die Gruppe im Jahr 2017 angeschrieben. Auf einer im selben Jahr beschlossenen Liste tauchen jedoch nur 17 Staaten oder Hoheitsgebiete auf. In einer aktuellen Version sind es sogar nur noch 9, bei denen es sich ausschließlich um Kleinstaaten wie Palau und Panama handelt. Für die EU wichtige große Drittländer wurden nicht genannt.
Die Unterlagen zeigen zudem, dass die Umstände, die 2014 zu den "Luxemburg-Leaks" führten, der Gruppe Verhaltenskodex schon Jahre zuvor bekannt waren. So habe das Gremium bereits spätestens 2003 Kritik daran geübt, dass mehrere EU-Staaten internationale Konzerne mit vertraulichen Steuerdeals anlockten. Daraufhin wurde ein Informationsaustausch vereinbart, der jedoch lange wirkungslos blieb.
Kritik an dem Gremium kommt derweil aus dem EU-Parlament. "Die Gruppe Verhaltenskodex hat rund 20 Jahre lang nichts Relevantes mehr bewegt", bemängelt Sven Giegold, Finanzexperte der Grünen, im "Spiegel". Das Verhalten von Olaf Scholz sieht er ebenfalls kritisch. "Von ihm hätte ich mir eine härtere Gangart bei der Bekämpfung von Geldwäsche und Steuerwettbewerb gewünscht", so Giegold. Weder Scholz noch anderen in der EU sei die Besteuerung von mobilem Kapital offenbar wichtig genug, um einen ernsthaften Konflikt einzugehen.