Österreich und die Afghanen : "Das wird es unter meiner Kanzlerschaft nicht geben"

Von Stephan Löwenstein, Wien
Politischer Korrespondent mit Sitz in Wien.

-Aktualisiert am 25.08.2021-06:49 Mit markigen Worten wehrt sich der österreichische Kanzler Sebastian Kurz gegen die Aufnahme afghanischer Kontingentflüchtlinge. Wien hat Angst, ein falsches Signal zu senden. Steht für eine restriktive Flüchtlingspolitik: Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) Bild: Reuters

"Das wird es unter meiner Kanzlerschaft nicht geben", hat Sebastian Kurz jüngst über eine eventuelle Aufnahme afghanischer Kontingentflüchtlinge gesagt. Die Linie des Regierungschefs vertritt auch Österreichs Innenminister Karl Nehammer, der wie Kurz ein Politiker der christlich-demokratischen ÖVP ist. Der Widerspruch der Grünen, des kleineren Partners in der "türkis-grünen" Koalition in Wien war vernehmlich, aber kraftlos. Im Regierungsprogramm ist de facto vereinbart worden, dass die ÖVP ihre restriktive Asyl- und Migrationspolitik durchziehen kann, notfalls auch mit anderen Mehrheiten - das hieße dann, dass sie mit der rechten FPÖ zusammenarbeiten könnte.

Die harte Haltung Wiens in der Debatte um die Aufnahme von Afghanen kann kaum überraschen. Eine ähnliche Position nahm Österreich ein, als gefordert wurde, Flüchtlinge aus dem im vergangenen Jahr abgebrannten griechischen Erstaufnahmelager Moria zu übernehmen. Der Grund für diese Positionierung liegt auf der Hand: Die ÖVP unter Kurz ist genau dafür von den Wählern zweimal hintereinander zur stärksten Kraft gemacht worden. Kurz stoppte so den Niedergang der alten, "schwarzen" ÖVP - und zugleich den Aufstieg der FPÖ, die vor wenigen Jahren noch auf dem Weg zur stärksten Kraft in Österreich zu sein schien.

Wien sieht sich nicht in direkter Verantwortung

Einige Medien mutmaßen nun, die ÖVP schiele mit ihren jetzigen Ausritten auf den Landtagswahlkampf in Oberösterreich oder gar noch kurzfristiger auf ein ORF-Interview von FPÖ-Chef Herbert Kickl, den man scheinbar rechts überholt habe. Das wird in den Reihen der ÖVP zurückgewiesen. Das Timing, heißt es, habe schlicht damit zu tun, dass in Afghanistan der Staat zusammenbreche und man große Sorge vor einer neuen Welle illegaler, unkontrollierter Migration habe.

"Wir dürfen die Fehler von 2015 nicht wiederholen", hat Kurz auch gesagt, ähnlich wie der CDU-Vorsitzende Armin Laschet dieser Tage. Ein Unterschied zu Deutschland besteht darin, dass Wien sich nicht in vergleichbarer Weise in einer direkten Verantwortung sieht. Österreich hat sich, obwohl nicht Mitglied der NATO, mit Soldaten an der westlichen Militärmission in Afghanistan beteiligt, bis 2015 mit kleinen Kontingenten, bis zuletzt mit einzelnen Soldaten. Doch "eigene" Ortskräfte, die nun herauszuholen wären, habe man nicht beschäftigt, heißt es.

Den Vorwurf, solidarischen Verpflichtungen auszuweichen, weist Wien zurück. Kanzler Kurz hat daran erinnert, dass in Österreich bereits sehr viele Afghanen Aufnahme gefunden haben. Die Wiener Zeitung Presse hat Zahlen von 2020 zusammengestellt: Demnach hat Österreich 40.096 vom UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR registrierte Flüchtlinge aus Afghanistan aufgenommen.

Angst vor Abschiebungen aus Deutschland

Das sind mehr als im weit größeren Frankreich oder Italien, nur in Deutschland sind es mehr. Auch gegenwärtig kommen Migranten über die wieder stärker befahrene "Balkanroute" nach Österreich. Im laufenden Jahr sind es bisher rund 8000, davon stammt ein Fünftel aus Afghanistan. Dafür wird die Regierung sogar vom "rechten" Flügel der Sozialdemokraten kritisiert. Tatsächlich hat Kurz nichts von einem absoluten Aufnahmestopp gesagt, wie ihn faktisch Ungarn praktiziert. Mit Worten wie "freiwillig" oder "zusätzlich" wandte er sich aber gegen Kontingentlösungen.

Es geht es Wien nicht so sehr um die absoluten Zahlen solcher Flüchtlingskontingente, die für Österreich wohl gering würden, sondern um ein befürchtetes Signal an Schlepper und Personen, die illegal migrieren. Entsprechend harsch kritisierte Nehammer die EU-Kommission für ihre "sehr kurzsichtige und ideologisch fehlgeleitete Politik", sie sende "permanent die falschen Botschaften". In Wien weiß man auch: Sollte es zu einer Migrationswelle wie 2015 kommen, dann wären aufgrund der europäischen Rechtsprechung Dublin-Rückstellungen nach Ungarn oder Griechenland nicht möglich - von Deutschland nach Österreich aber sehr wohl.


Quelle: FAZ vom 25.08.2021