Anna Schiller, Berlin
18.06.2025, 11.53 Uhr
Swantje Stein / Reuters
Bei Baubeginn der neuen Batteriezellfabrik des schwedischen Unternehmens Northvolt in Deutschland war die Stimmung noch gut. Zur Feier des Tages kamen im März vergangenen Jahres der damalige deutsche Kanzler Olaf Scholz, der frühere Wirtschaftsminister Robert Habeck und weitere Polit-Prominenz auf die Baustelle nahe der kleinen Stadt Heide im norddeutschen Bundesland Schleswig-Holstein. Anstatt eines Spatenstichs gab es eine Partie Bosseln, die norddeutsche Variante von Boccia. Bilder der Veranstaltung zeigen die Politiker lachend ihre Kugeln werfen.
Habeck sprach von einem grossen Tag für Deutschland. Die Fabrik galt als wichtiger Meilenstein für die Verkehrswende. Sie sollte Europa unabhängiger machen von E-Auto-Batterien aus China. Obendrein sollte sie der strukturschwachen Region 3000 Arbeitsplätze verschaffen. Die Bundesrepublik unterstützte das Projekt daher mit einem Kredit in Höhe von 600 Millionen Euro.
Inzwischen ist die anfängliche Begeisterung jedoch Ernüchterung gewichen. Der Mutterkonzern meldete Mitte März in Schweden Insolvenz an. Das Leuchtturmprojekt könnte zum Millionengrab werden. Schon in den vergangenen Wochen wuchs die Kritik an den beteiligten Politikern.
Nun belastet ein neues Gutachten den damals zuständigen deutschen Minister Habeck schwer. Wie mehrere Medien übereinstimmend berichten, soll der Bundesrechnungshof zu einem verheerenden Urteil über das Vorgehen des deutschen Wirtschaftsministeriums gelangt sein. Das Ministerium soll die Risiken für den Bund systematisch unterschätzt haben. Es habe "wesentliche Risiken der Wandelanleihe unzureichend ermittelt und bewertet. Es agierte stattdessen weitestgehend nach dem Prinzip Hoffnung", zitiert die "Bild" aus dem Gutachten.
Zudem werfen die Prüfer dem Ministerium offenbar mangelnde Transparenz vor. Es sei gegen "die Pflicht zur ordnungsgemässen Aktenführung" verstossen worden. Dadurch entzögen sich wesentliche Handlungen der "Nachvollziehbarkeit und einer externen Kontrolle".
Eine Sprecherin hat der NZZ bestätigt, dass der Bundesrechnungshof einen "Beratungsbericht" zum finanziellen Engagement des Bundes bei Northvolt an den Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages weitergeleitet hat. Zu den Inhalten will man sich jedoch nicht äussern. Der Bericht enthalte Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse und sei als Verschlusssache eingestuft.
Das Büro von Habeck hat bislang auf eine Anfrage der NZZ zu den Vorwürfen nicht reagiert.
Kritik am damaligen Minister kommt seitens der Konservativen. Der CDU-Haushaltspolitiker Andreas Mattfeldt sagte dem Magazin "Focus", dass es nicht nur grob fahrlässig gewesen sei, wie das Ministerium unter Habeck gehandelt habe, sondern die Vermutung naheläge, dass vorsätzlich Geld ohne ausreichende Prüfung vergeben worden sei.
Auf lokaler Ebene hingegen verteidigen die Christlichdemokraten das Projekt - obwohl das Finanzministerium in Kiel schon 2023 Bedenken hinsichtlich der Finanzierung äusserte, wie kürzlich vom Landtag veröffentlichte Akten zeigen. Der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Daniel Günther will dennoch keine Fehler erkennen. Die Entscheidung, den Aufbau einer Batterieherstellung in Deutschland zu unterstützen, sei richtig gewesen, sagte der CDU-Politiker am Dienstag. Er werde weiter darum kämpfen.
Wie es einmal mit der geplanten Fabrik in Norddeutschland weitergehen soll, ist allerdings noch unklar. Derzeit liegen in der Region einige mit dem Bau verbundene Projekte auf Eis, wie der NDR kürzlich berichtete. Der Bund und das Bundesland Schleswig-Holstein haben für den bereits gewährten Kredit in Höhe von 600 Millionen Euro gebürgt. Ob sie dieses Geld wiedersehen werden, ist aufgrund des laufenden Insolvenzverfahrens fraglich.