Stand: 07.10.2023 | Lesedauer: 4 Minuten
Von Frederik SchindlerPolitikredakteur
Es sind Bilder, wie man sie sonst nur aus Gaza oder Ramallah kennt. Immer, wenn ein palästinensischer Terrorist in den vergangenen Jahren erfolgreich war und einen israelischen Zivilisten ermordet hat, finden sich dort Sympathisanten zusammen und verteilen zur Feier des Tages Süßigkeiten. Am Samstag konnte man dies nicht nur in den palästinensischen Gebieten beobachten, sondern auch in Berlin.
Die Gruppe Samidoun, die als Vorfeldorganisation der linksextremen Palästinenserorganisation PFLP ("Volksfront zur Befreiung Palästinas") gilt, war auf der arabisch geprägten Sonnenallee im Bezirk Neukölln unterwegs - und verteilte Süßspeisen, um den Hamas-Überfall auf Israel zu bejubeln.
Mindestens 100 Tote, Hunderte Verletzte und Entführungen von israelischen Zivilisten in den Gazastreifen sind für die radikalen Aktivisten offensichtlich ein Grund zum Feiern.
Samidoun ist bereits seit einigen Jahren in Deutschland aktiv. In den vergangenen Jahren hat die Gruppe mehrfach mit Demonstrationen für Aufruhr gesorgt, auf denen der palästinensische Terror glorifiziert wurde. Im April dieses Jahres riefen etwa Teilnehmer einer von Samidoun organisierten Demonstration, dass man für "blutige Körper" Sorgen wolle und mit "unserem Blut" die Al-Aksa-Moschee in Jerusalem "befreien" wolle. "Versammelt euch, lang leben die Waffen" und "Raketen regnen Freiheit" hießen weitere Parolen damals.
Die Ideologie der PFLP setzt sich aus arabischem Nationalismus und Marxismus-Leninismus zusammen. Die Organisation nennt sich selbst säkular und strebt einen "sozialistischen Staat Palästina" auf dem Staatsgebiet Israels an, arbeitet aber auch mit der islamistischen Hamas zusammen.
Die Süßigkeiten-Verteilaktion machte die Gruppe am Samstag selbst öffentlich. Kurz darauf war ein Kamerateam des Fernsehsenders WELT in der Neuköllner Sonnenallee. Die Journalisten sahen sich allerdings gezwungen, Interviews mit den Aktivisten und ihren Sympathisanten zu löschen - das Kamerateam wurde nach einigen Minuten von der Gruppe bedrängt und bedroht.
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Der Autor dieses Texts war wenige Minuten später am Ort und sprach mit den bedrohten Kollegen. "Während eines Interviews kam eine Gruppe aggressiver junger Männer auf uns zu und forderte uns auf, das Material sofort zu löschen", sagte ein WELT-Reporter. "Ich habe mich körperlich bedroht gefühlt, daher habe ich es gelöscht", sagte der Kameramann. "In dieser Situation war das die richtige Entscheidung. Eine Konversation war nicht möglich."
Dabei war auch Jörg Reichel, Landesgeschäftsführer der Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union in der Gewerkschaft Verdi. "Das Fernsehteam und auch ich selbst wurden bedrängt und umzingelt. Es war eine bedrohliche Situation", sagte er WELT. "Die Kollegen konnten gar nicht anders, als die Aufnahmen zu löschen, weil es sonst übergriffig geworden wäre."
Reichel beobachtet schon seit einigen Jahren propalästinensische Demonstrationen in Berlin. "Dort herrscht eine grundsätzliche Bedrohungssituation für Journalisten", sagte er. "Die Berichterstattung über antiisraelischen Protest ist immer dem Risiko ausgesetzt, angegriffen zu werden."
"Habe erlebt, dass das TV-Team gezwungen wurde, die Aufnahmen zu löschen"
Der Verein Democ, der unter anderem antisemitische Demonstrationen beobachtet, war ebenfalls dabei. Ein Vorstandsmitglied, das nicht namentlich genannt werden möchte, bestätigte die genannten Schilderungen. "Samidoun will auf der Sonnenallee ein junges Publikum ansprechen. Momentan zeigen sie sich mit allen bewaffneten Kämpfern gegen Israel solidarisch", sagte er.
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Der Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln, Martin Hikel (SPD), verurteilte die Verteilaktion von Samidoun und das Bedrohen der Journalisten scharf. "Dass eine Organisation wie Samidoun in Neukölln Süßigkeiten verteilt, während der Terror über Israel hineinfällt, ist eine entsetzliche Verherrlichung eines furchtbaren Kriegs", sagte er WELT. "Wer die Pressefreiheit nicht als hohes Gut anerkennt, zeigt, wie er zu demokratischen Prinzipien steht."
Hikel forderte das Bundesinnenministerium auf, ein Betätigungsverbot gegen die radikale Gruppe auszusprechen. "Die widerliche Terrorpropaganda von Samidoun ist in Israel zu Recht verboten und muss auch in Deutschland verboten werden", sagte er.
WELT entdeckt entlang der Sonnenallee am Samstag zahlreiche Plakate der Gruppe. Darauf werden unter anderem der Hamas-Gründer Ahmad Yasin und der frühere Hamas-Generalkommandant Abd al-Aziz ar-Rantisi glorifiziert. Die Hamas ist eine islamistische Terrororganisation und für den am Samstag begonnen massiven Angriff auf Israel verantwortlich.
Quelle: Frederik Schindler
Samidoun wurde 2012 gegründet, ist in den USA, Kanada und vielen europäischen Ländern tätig und bereits seit einigen Jahren auch in Deutschland aktiv. Das israelische Verteidigungsministerium stufte die Gruppe im Jahr 2021 als Terrororganisation ein, sie handle "im Auftrag der PFLP im Ausland" und spiele eine bedeutende Rolle bei der "Mittelbeschaffung und der Rekrutierung von Aktivisten".
Insbesondere in den 1960er- und 1970er-Jahren sorgte die PFLP mit Attentaten und Flugzeugentführungen für Schrecken. In Israel ist sie weiterhin terroristisch aktiv. Samidoun selbst spricht von "legitimem Widerstand der Palästinenser mit allen Mitteln".