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Stand: 30.11.2023 08:34 Uhr
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In Gießen hat der grüne Ehrgeiz zu einem Ermittlungsverfahren geführt. Die Staatsanwaltschaft prüft den Verdacht der Untreue gegen den grünen Vizebürgermeister und Verkehrsdezernenten Alexander Wright und ließ städtische Räumlichkeiten durchsuchen. Es geht um die Frage, ob sich Wright bei einem "Verkehrsversuch" über eine Gerichtsentscheidung hinweggesetzt und der Stadt finanziellen Schaden zugefügt hat.
Wright wollte auf dem vierspurigen Anlagenring, der die Gießener City umfasst, zwei Spuren für Radfahrer und Busse schaffen. Doch nachdem die Bauarbeiten zum Ärger von Autofahrern und Anwohnern begonnen hatten, stufte das Verwaltungsgericht Gießen das Vorhaben im Juli als "offensichtlich rechtswidrig" ein.
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Doch Wright brach den Versuch nicht ab. Weit kam er damit allerdings nicht, denn auch das Oberverwaltungsgericht verwarf das Vorhaben. Nun wird alles zurückgebaut. Aber zu klären bleibt, ob Wright nach dem erstinstanzlichen Urteil zumindest einen Teil der Kosten fürs Um- und Rückbauen in Höhe von einer Million Euro zulasten der Stadtkasse hätte vermeiden können und müssen.
Zwar ist Wright mit dem Ermittlungsverfahren - das noch läuft - unter grünen Verkehrspolitikern eine singuläre Ausnahme. Aber mit Verwaltungsgerichten sind sie auch schon andernorts kollidiert. Etwa in Berlin, wo 2022 die von der damaligen grünen Verkehrssenatorin Bettina Jarasch betriebene Sperrung der Friedrichstraße für den Autoverkehr gerichtlich gestoppt wurde. Und politisch werden die "Verkehrswende"-Pläne in Großstädten für die Grünen immer mehr zur Belastung.
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Im Mai sackten sie bei der Bremer Bürgerschaftswahl um mehr als fünf Prozentpunkte auch deshalb ab, weil die damalige Mobilitätssenatorin Maike Schaefer (Grüne) kurz vor der Wahl die "Brötchentaste" abgeschafft hatte. Die hatte an Parkautomaten diverser Einkaufsstraßen ein kostenloses Kurzzeitparken ermöglicht. Schaefers Entscheidung löste einen Proteststurm aus, der die Grünen zunächst Stimmen und nach der Wahl die Senatszuständigkeit für Mobilität kostete.
Die neue Verkehrssenatorin Özlem Ünsal (SPD) versprach gerade dem "Weser-Kurier": "Überall dort, wo es die Brötchentaste gab, wird es wieder möglich sein, für den schnellen Einkauf kostenfrei zu parken." In Hannover nutzte die SPD jetzt die Pläne von Oberbürgermeister Belit Onay (Grüne) zur Verwandlung der Innenstadt in eine weitgehend autofreie Zone als Anlass, um aus der rot-grünen Rathaus-Koalition auszusteigen.
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In die Defensive geraten die Grünen auch in anderen Städten, weil sie den Eindruck entstehen lassen, sich über Mobilitätsbedürfnisse vieler Bürger hinwegzusetzen. Erstens dadurch, dass sie im Verein mit einer gut organisierten Radfahrer-Lobby den Autoverkehr zugunsten von Radwegen zurückdrängen wollen, ohne in gleichem Maße die Radfahrer zur Einhaltung der Verkehrsregeln zu zwingen.
Zweitens dadurch, dass sie einzelnen Straßenzügen wie der Friedrichstraße in Berlin-Mitte oder dem Oeder Weg in Frankfurt am Main abrupt Verkehrsberuhigungen verordnen, die zu symbolpolitischen Schlachten führen.
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Damit handeln sich die Grünen einen Fundamentalismus-Verdacht ein, der vom politischen Gegner mittlerweile auch dann erhoben wird, wenn ihre städtische Verkehrspolitik nicht aggressiv auftritt. So war es in dieser Woche, als der grüne Hamburger Verkehrssenator Anjes Tjarks eine Zusammenfassung seiner bekannten Pläne vorstellte und betonte, dass er "keine Parkplatzabbaustrategie" habe. Das hinderte den CDU-Fraktionschef Dennis Thering nicht, anschließend "eine Anti-Autofahrer-Politik" anzuprangern.
Gekontert wird dies vom verkehrspolitischen Sprecher der Grünen im Bundestag, Stefan Gelbhaar: "CDU und SPD versuchen immer öfter, verkehrspolitische Abwägungen vor allem in Großstädten in Kulturkämpfe zu verwandeln. Bündnisgrüne Konzepte für mehr Mobilität werden zu angeblichen Feldzügen gegen Menschen, die ein Auto besitzen, verdreht. Das ist Quatsch", sagte Gelbhaar WELT. "Falsche Vorwürfe" würden von CDU oder SPD "aus machttaktischen Motiven" erhoben. Aber, so Gelbhaar weiter: "Mit solchen Manövern müssen wir umgehen, sachlich, empathisch und ganz ohne rhetorischen Kulturkampf."
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So gehe es beim Radverkehr "nicht darum, Radfahrende über Autofahrende triumphieren zu lassen oder Pkw abzuschaffen". Sondern darum, "dass auch Radfahren oder zu Fuß gehen sicher und leicht sein muss". Ziel der Grünen sei "Sicherheit für alle Verkehrsteilnehmer von klein bis groß, eine entspannte Mobilität, die klimafreundlich ist", sagt Gelbhaar. "Wenn wir das darlegen, ist die Akzeptanz hoch."
Derzeit aber scheint in vielen Städten die Meinung zu herrschen, dass die Akzeptanz ohne Grüne größer ist. Im hessischen Darmstadt entzog im Sommer der neue Oberbürgermeister Hanno Benz (SPD) dem vorherigen Verkehrsdezernenten Michael Kolmer (Grüne) die Zuständigkeit für Mobilität, damit es "wieder etwas mehr in Richtung Miteinander statt Gegeneinander gehen" solle, wie Benz sagte.
In Bonn richtet es sich erkennbar gegen die grüne Oberbürgermeisterin Katja Dörner mit ihren Plänen zum Radwege-Ausbau, dass örtliche Wirtschaftsverbände eine Kampagne "Vorfahrt Vernunft" gestartet haben und Verkehrskonflikte "entschärfen" wollen, "ohne dass einer Verkehrsart Raum genommen wird".
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Fraglich jedoch ist, ob sich städtische Verkehrskonflikte wirklich entschärfen lassen. Denn wer die vielerorts unzureichende Radwege-Infrastruktur dem wachsenden Zweiradverkehr anpassen will - was die Bonner Wirtschaftsverbände wollen -, muss irgendwann über Parkstreifen oder Autospuren reden, die für Radwege wegfallen müssten.
Und wenn dem schwarz-roten Senat in Berlin der Ausbau von U-Bahnen lieber ist als der von Tramlinien - auch weil U-Bahnen Autos keinen Platz wegnehmen -, ist unklar, wer die sehr viel teureren U-Bahn-Linien bezahlen soll. Der hierbei bisher spendable Bund wird das wegen der dramatischen Haushaltslage nicht mehr können.