Stand: 26.05.2020 | 20:14 Uhr
Von Ricarda Breyton Politikredakteurin
Mitte Mai postete der Berliner Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) auf Twitter ein farbenfrohes Bild. Zu sehen ist der Senator selbst, wie er neben einer gehissten Regenbogenflagge steht.
Die "Regenbogenstadt Berlin" setze klare "Zeichen gegen Diskriminierung, gegen Gewalt und gegen Unsichtbarkeiten", schrieb der Senator. Dabei gehe es nicht nur um Symbole, sondern auch um konkrete Politik: Mit einem "Landesantidiskriminierungsgesetz" wolle man rechtliche Fakten schaffen für die Betroffenen.
Besagtes Gesetz ist ein Kernanliegen des Grünen-Politikers, der in der Hauptstadt (http://welt.de/200426314) auch Senator für Antidiskriminierung ist. Schon in der Koalitionsvereinbarung der rot-rot-grünen Landesregierung von 2016 taucht das Vorhaben auf. Ziel des Gesetzes ist es, vermeintliche Schutzlücken für Betroffene zu schließen. Künftig sollen sich Bürger juristisch leichter zur Wehr setzen können, wenn sie sich von öffentlichen Stellen diskriminierend behandelt fühlen. Man schaffe damit "eine Kultur der Wertschätzung von Vielfalt", sagt Behrendt selbst.
Doch diese Kultur der Wertschätzung sehen längst nicht alle. Polizisten sind erzürnt. Inzwischen tobt ein heftiger Streit über das geplante Gesetzesvorhaben. Nicht nur die Oppositionsparteien CDU, FDP und AfD lehnen das Gesetz ab, sondern auch Interessenvertretungen der Berliner Polizei: Sie fürchten, durch das geplante Vorhaben unter Generalverdacht gestellt zu werden. Auch Polizeigewerkschaften anderer Bundesländer haben sich der Kritik inzwischen angeschlossen: Am Dienstag schickte der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei auf Bundesebene (GdP), Jörg Radek, einen erzürnten Brief an Justizsenator Behrendt. Inzwischen äußern auch Innenminister anderer Länder scharfe Kritik.
Hauptkritikpunkt ist Paragraf sieben des geplanten Gesetzes, die sogenannte Vermutungsregelung. Sie regelt, wie sich Betroffene künftig zur Wehr setzen können, wenn sie sich diskriminierend behandelt fühlen. Bislang mussten sie Beweise erbringen, wenn sie etwa auf Schadensersatz klagen wollten. Im Gesetzentwurf ist nun davon die Rede, dass Tatsachen "glaubhaft gemacht" werden sollten, die eine Diskriminierung wahrscheinlich erscheinen lassen. Es obliege dann der beschuldigten öffentlichen Stelle, den Vorwurf des Verstoßes zu widerlegen. Die Senatsverwaltung für Justiz spricht von einer "Beweiserleichterung". Die Kritiker sprechen von einer "Beweisumkehr". Künftig könne jeder, der sich diskriminiert fühle, ein Verfahren vor Gericht anstrengen. Eine Klagewelle drohe.
Insbesondere Polizisten sehen dadurch ihre Arbeit erschwert. "Mit diesem Gesetz werden Polizisten zum Freiwild", klagt Jörn Badendick von dem Polizeiberufsverband Unabhängige in der Polizei. Sein Verein sei zwar ebenfalls dafür, Diskriminierung zu bekämpfen. "Das darf aber nicht dazu führen, die Polizei handlungsunfähig zu machen."
Badendick nennt als Beispiel eine Kontrolle im Berliner Görlitzer Park (http://welt.de/204434254), der als Drogenumschlagplatz bekannt ist. "Wir wissen, dass dort vor allem Schwarzafrikaner mit Drogen handeln", sagt Badendick. "Wenn unsere Kollegen eine Person mit schwarzer Hautfarbe kontrollieren, dann nicht, weil sie rassistisch sind, sondern weil sie die Dealergruppen kennen." Künftig könne der Betroffene deswegen Diskriminierung melden. "Die Polizei muss dann glaubhaft machen, dass das Handeln nicht rassistisch begründet war." Dies könne zu einem Papierkrieg führen.
Ähnlich sieht es der Berliner Ableger der Gewerkschaft der Polizei: "Dieses Gesetz wird ein Papiermonster", sagt ihr Sprecher Benjamin Jendro. Sein Verband finde zudem die Signalwirkung nicht richtig. Die Polizei werde unter Generalverdacht gestellt.
Es ist ein Vorwurf, der schon seit vorigem Sommer erhoben wird. Inzwischen hat die Kritik aber eine bundesweite Relevanz erhalten. Das Gesetz hat fast alle parlamentarischen Hürden genommen und steht kurz vor der Verabschiedung. Mehrere Polizeigewerkschaftsvertreter aus anderen Ländern unterstützen nun die Forderungen der Berliner Kollegen und fordern, keine eigenen Polizisten mehr zur Unterstützung bei Einsatzlagen nach Berlin zu schicken.
"Das ist eine absolute Frechheit gegenüber unseren Einsatzkräften", sagt Baden-Württembergs GdP-Vorsitzender Hans-Jürgen Kirstein. "Wir werden das Innenministerium auffordern, keine Einsatzkräfte mehr nach Berlin zu schicken." Ähnlich kritisch äußert sich die Brandenburger GdP. "Die Berliner werden regelrecht aufgefordert, Anzeige gegen Polizisten zu erstatteten, wenn etwas unklar ist", sagt der dortige Vorsitzende Andreas Schuster. "Man geht pauschal davon aus, die Polizei begeht Rechtsverstöße. Das ist schlimm." Er habe den Brandenburger Innenminister aufgefordert, auf eine Änderung des Antidiskriminierungsgesetzes hinzuwirken.
Dort reagiert man in der Tat mit Verständnis auf die Sorgen der Polizei. "Eine Beweislastumkehr zu Ungunsten der Polizei halte ich für unanständig", sagte Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen (CDU) WELT. "Unsere Polizistinnen und Polizisten leisten jeden Tag hervorragende Arbeit. Sie setzen nicht selten ihre Gesundheit oder gar ihr Leben für unsere Sicherheit aufs Spiel." Dafür hätten sie Dank und Unterstützung verdient. "Das Berliner Gesetz hingegen erweckt den Eindruck eines tiefen Misstrauens gegenüber den Sicherheitskräften." Sein Haus prüfe nun, "welche rechtliche Relevanz das Berliner Gesetz für die Brandenburger Polizei entwickelt". Man werde anschließend "entscheiden, wie wir damit umgehen".
In Berlin kann man die Kritik indes nicht verstehen: Die Senatsverwaltung für Justiz wittert eine Kampagne. "Schutz vor Diskriminierung durch Behörden, deren Existenz von der GdP ja interessanterweise nicht infrage gestellt wird, ist ein Grund- und Menschenrecht", sagt ein Sprecher. "Wir haben daher auch kein Verständnis dafür, dass mit falschen Tatsachen gegen das Gesetz Stimmung gemacht wird."
Anders als die Kritiker behaupteten, gebe es keine Beweislastumkehr. "Der Gesetzesentwurf sieht eine Beweiserleichterung zugunsten der diskriminierten Person, aber keine generelle Beweislastumkehr vor." Auch künftig müssten diskriminierte Personen Tatsachen vortragen, die eine Diskriminierung für das Gericht wahrscheinlich machten. Erst dann sei die öffentliche Stelle im zweiten Schritt gehalten, einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot zu widerlegen. "Allein die Behauptung einer Diskriminierung genügt daher nicht, um zum Beispiel Polizeibeamt*innen in die Beweispflicht zu bringen, nicht diskriminiert zu haben."
Zu dem Vorwurf der Gewerkschaften, mit dem Gesetz Misstrauen in die Arbeit der Polizei zu befördern, äußerte sich der Sprecher nicht.
Quelle: welt.de vom 26.05.2020