Von Benjamin Bidder, Moskau
22.12.2013, 08.25 Uhr
Michail Chodorkowski (im Jahr 2010 in Haft): In jungen Jahren die erste Milliarde - REUTERS
Es gibt ein Gemälde, das Michail Chodorkowski zeigt und Wladimir Putin, seinen Rivalen. Der Moskauer Künstler Dmitrij Wrubel hat es gemalt, der Schöpfer des berühmten "Bruderkusses" auf der Berliner Mauer. Putin ist darauf mit einer Pistole in der Hand abgebildet. Sie zielt auf Chodorkowski, der lächelt weise und überlebensgroß zwischen Gitterstäben hindurch. Michail Chodorkowski ist während der zehn Jahre, die er im Arbeitslager einsaß, zu einer Ikone geworden. Ein Heiliger war er nie.
"Wir wollen nicht verbergen, dass wir beseelt sind vom Reichtum. Unsere Ziele sind klar, die Aufgaben festgelegt - wir wollen Milliardäre werden. Wir haben die Nase voll vom Leben nach Lenin! Unser Kompass ist der Gewinn, erzielt in Übereinstimmung mit strengster Einhaltung des Gesetzes. Unser Idol ist Ihre Majestät, das Kapital."
Zitat aus: M. Chodorkowski/ L. Newslin: "Der Mann mit dem Rubel", 1993
Als Chodorkowski diese Zeilen veröffentlicht, ist er bereits auf dem besten Weg zu dem Ziel, dem damals sein ganzes Streben gilt: der ersten Dollar-Milliarde. Er ist da gerade einmal 30 Jahre alt und das kapitalistische Russland noch blutjung.
Den Grundstein für seinen Aufstieg hat er allerdings schon zu Sowjetzeiten gelegt. Chodorkowski war Mitglied des kommunistischen Jugendverbands Komsomol. Dessen Kader waren gut vernetzt. Weil die Planwirtschaft versagt, lässt die Kommunistische Partei ausgesuchte Komsomol-Aktivisten mit Markt und Handel experimentieren. Die Sowjetunion lechzt nach Importen aus dem Westen. Die Komsomol-Aktivisten beschaffen Jeans oder Computer, ihnen helfen die guten Beziehungen zur Partei.
Foto: AFP/ khodorkovsky.ru
Chodorkowskis Vater hat jüdische Wurzeln, in der Sowjetunion bedeutet das praktisch, dass nichts werden kann aus seinem Traum, einmal Fabrikdirektor zu werden. Als Jungunternehmer sitzt er in einem kleinen Büro im Kellergeschoss der Ersten Twerskaja-Jamskaja-Straße im Zentrum von Moskau. Skrupel sind schlecht für das Geschäft. Chodorkowski vertreibt mit seinem Geschäftspartner Leonid Newslin auch Spirituosen. Auf die Flaschen schreiben sie "Cognac Napoleon" und führen ihre Kunden so in die Irre. Die glauben, sie hätten edlen "Brandy Napoleon" gekauft, in den Flaschen aber schwappt nur billiger Fusel.
Als wahre Goldgrube entpuppt sich aber ein anderes Geschäft. In der Sowjetunion existieren damals zwei Zahlungssysteme. Privatpersonen zahlen in Rubel. Daneben aber zirkulieren große Mengen einer Industriewährung, mit der Fabriken und Lieferanten abrechnen. Sie ist eher virtueller Art, für den einfachen Bürger hat sie weder Nutzen noch Relevanz - bis Newslin und Chodorkowski einen Weg finden, beide Kreisläufe miteinander kurzzuschließen. Sie dürfen die reichlich vorhandene Industriewährung umwandeln in einfache Rubel. Das ist wie eine Lizenz zum Gelddrucken.
1990 kauft Chodorkowski eine Bank, die er später in Menatep umbenennt. Das ist die Keimzelle seines Imperiums. Unter Präsident Boris Jelzin arbeitet Chodorkowski im Energieministerium, betreibt aber weiterhin auch seine privaten Geschäfte. Er wird Mitglied des Rats für Industriepolitik der Regierung und nimmt auch an Sitzungen des Kabinetts teil, in denen es um die umstrittene Privatisierung von Staatsbetrieben geht.
Chodorkowski bekommt den Zuschlag beim Verkauf des Ölkonzerns Jukos für rund 309 Millionen Dollar, einem Bruchteil des damaligen Marktwerts. Das ist ein zwielichtiges Manöver, weil seine Bank Menatep die Versteigerung selbst organisiert hat. Vorwürfe weist Chodorkowski zurück. Er habe Geld in ein "halbzerstörtes Unternehmen" gesteckt, und das wenige Monate "vor einer Wahl, bei der alle einen Sieg der Kommunisten erwarteten", sagte er 2010 dem SPIEGEL.
Die Wahl aber gewann noch einmal Präsident Jelzin, dank massiver Unterstützung von Oligarchen wie Chodorkowski.
Foto: Michael Kappeler/ dpa
1998 stellt Jukos die Steuerzahlungen an die Stadt Neftejugansk ein. Stattdessen lässt Chodorkowski Geld direkt an Krankenhäuser verteilen. Er rechtfertigt das mit der grassierenden Korruption, doch de facto erklärt er seinen Konzern damit selbst zum Staat in Neftejugansk. Der störrische Bürgermeister der Stadt, der Bittsteller vor seinem Büro durch Schilder mit der Aufschrift "Kein Geld" abschrecken wollte, wird wenig später ermordet.
2006 wird der Sicherheitschef von Jukos wegen mehrfachen Mordes zu 24 Jahren Haft verurteilt. Wladimir Putin ließ im Fernsehen wissen, er sei davon überzeugt, dass der Sicherheitschef "auf Anweisung seiner Chefs handelte". Eine Verbindung der Morde zu Chodorkowski konnte aber nie bewiesen werden. Der Magnat selbst sagt, kein einziger Konflikt bei Jukos sei "physisch" gelöst worden.
Chodorkowski und Jukos beginnen damals aber auch eine Wandlung. Anders als andere Oligarchen modernisiert Chodorkowski den Konzern. Er trimmt ihn sogar auf Transparenz, weil er Firmenanteile an Amerikaner verkaufen will.
Das sind Pläne, die den neuen Herren im Kreml nicht gefallen. Im Jahr 2000 wird Wladimir Putin Präsident, mit ihm kommen zahlreiche Veteranen der russischen Geheimdienste an die Macht. Sie haben eigene Pläne für den Rohstoffsektor, er soll als Rückgrat dienen für eine erstarkende Großmacht Russland.
Chodorkowski will politische Koalitionen schmieden. Er finanziert liberale Parteien, Mitstreiter geben den oppositionellen Kommunisten Geld. 2003 beschuldigt Chodorkowski einen der wichtigsten Mitstreiter Putins - Igor Setschin - vor laufenden Kameras der Korruption. Später spielt Setschin die Hauptrolle bei der Zerschlagung von Jukos, ein Großteil der Firma wird dem Staatskonzern Rosneft zugeschlagen. Setschin ist heute Chef von Rosneft.
Am 25. Oktober 2003 stoppt Chodorkowskis Flugzeug bei einer Zwischenlandung in Nowosibirsk. Es ist für mehr als zehn Jahre sein letzter Flug in einem Privatjet. Spezialeinheiten stürmen die Maschine und nehmen ihn gefangen. Ihm wird der Prozess gemacht wegen Unterschlagung und Steuerhinterziehung. Chodorkowski wird belangt für Vergehen, die bei anderen Oligarchen nie geahndet wurden, sofern sie sich Putin unterwarfen.
Er lehnt es ab, ins Ausland zu gehen wie manch anderer Magnat. Er wandelt sich zu einem Symbol für den Kampf für Bürgerrechte in Russland. Schriftsteller suchen den Austausch mit ihm.
Und doch bleibt am Ende ein Zweifel: Ob sich ein Milliardär Chodorkowski in Freiheit genauso für Pressefreiheit und die Zerschlagung des Geflechts von Wirtschaft und Staat eingesetzt hätte wie der Gefangene Chodorkowski? Der Wirtschaftswissenschaftler und ehemalige Vizepremier Alfred Koch hat diese Zweifel einmal in beißenden Spott gegossen: "Ein bedeutender Teil des intellektuellen Establishments hat erst nach seiner Verhaftung erfahren, dass er ein Demokrat ist."
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