MIGRATION PER VISUM

Mehr als jeder dritte Asylbewerber reiste per Flugzeug ein

Stand: 07.06.2020

Von Marcel Leubecher Politikredakteur

An Flughäfen registriert die Bundespolizei kaum Schutzsuchende. Das ist ein Indiz dafür, dass viele Migranten legal per Visum einreisen und später Asyl beantragen. Die Bundesregierung weigert sich, genaue Zahlen zu nennen.

Anders als in der Vergangenheit liegt Deutschland im laufenden Jahr nicht mehr an der Spitze der Zielländer: Zwischen Anfang Januar und Ende Mai wurden die meisten Asylanträge in Spanien gestellt.
Quelle: WELT

Mehr als jeder dritte Asylbewerber kam laut Eigenauskunft mit dem Flugzeug in der Bundesrepublik an. In der ersten großen Reisewegbefragung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF), deren Ergebnis dieser Zeitung vorliegt, erklärten 15.401 volljährige Asylerstantragsteller des Jahres 2019, auf dem Luftweg nach Deutschland eingereist zu sein.

Laut BAMF wurden "etwas mehr als 40.000" der insgesamt 71.000 volljährigen Asylerstantragsteller befragt. Erst seit April 2019 befragt das Amt alle erwachsenen Schutzsuchenden zu ihrem Reiseweg. Zuvor waren es kleinere Stichproben einiger Herkunftsländer. Mit Bezug darauf hatte BAMF-Präsident Hans-Eckhard Sommer schon im März vergangenen Jahres gesagt, dass etwa ein Drittel angebe, über Flughäfen eingereist zu sein.

Das BAMF gibt aber auf Anfrage nicht an, wie viele Antragsteller unerlaubt und wie viele legal - mit Visum für Ausbildung, Besuch oder Familiennachzug - eingereist sind. Seit Jahren weigert sich die Bundesregierung offenzulegen, in welchem Umfang Migranten per Visum ankommen, die unmittelbar oder nach Ablauf ihres Visums Asyl beantragen.

Sicher ist nur, dass unter den Asylbewerbern auch legal eingereiste nachziehende Angehörige von hier lebenden Flüchtlingen sind, die einen Asylantrag stellen. So hatten 2019 unter allen Asylbewerbern schon 3689 zum Zeitpunkt der Antragstellung einen Aufenthaltstitel für die Familienzusammenführung zu einem Schutzberechtigten, 2265 davon waren Kinder.

Entweder wollen die Bundesregierung und die Ministerien selbst nicht genau wissen, wie bedeutend das Phänomen "Asylantrag nach Visum" ist, oder sie wollen diese Informationen der Öffentlichkeit vorenthalten. Auch das oben geschilderte Ergebnis der Reisewegbefragung wurde nur für den internen Dienstgebrauch erhoben.

Ein Indiz dafür, dass viele spätere Antragsteller legal mit Visa einreisten, sind die geringen Feststellungen von Asylbewerbern an den Flughäfen. Bei der Bundespolizei wurden 2019 nur 1078 Schutzersuchen nach der Feststellung einer vollendeten unerlaubten Einreise auf dem Luftweg gestellt. Zusätzlich verzeichnete die Behörde 1732 Asylgesuche bei der Feststellung des unerlaubten Einreiseversuchs. Letztere führen meist zur Zurückweisung.

Zwar ist allen Fachleuten klar, dass es ein erhebliches Dunkelfeld gibt. Die Bundespolizei verweist darauf, dass unerlaubte Einreisen mit erschlichenen Visa oder gefälschten Dokumenten "nur erschwert zum Zeitpunkt der Einreise an den Flughäfen festgestellt werden können", da bei Flügen innerhalb des Schengen-Raumes in der Regel "keine grenzpolizeilichen Kontrollen stattfinden".

Doch wenn 2019 jeder Dritte der 111.000 eingereisten Asylerstantragsteller an Flughäfen ankam, dort aber nur etwas mehr als 1000 Schutzersuchen gestellt wurden, ist wohl entweder das Dunkelfeld riesig oder das Phänomen "Asyl nach Visum" bisher unterschätzt. Genaueres könnte nur die Regierung in Erfahrung bringen.


Quelle: welt.de vom 07.06.2020