Eklat um Alvis Hermanis

Eine Absage und ein Shitstorm

Der lettische Regisseur Alvis Hermanis distanziert sich von der Refugees-Welcome-Begeisterung, wie sie die Theater zeigen. Dass er nicht in Hamburg arbeiten will, hat laut ihm private Gründe.

Am Freitag, 4. Dezember, verschickte das Hamburger Thalia-Theater die Ankündigung, der lettische Regisseur Alvis Hermanis habe seine für nächstes Frühjahr geplante Produktion abgesagt: "Hermanis kritisiert das humanitäre Engagement vieler deutscher Theater, so auch des Thalia-Theaters, für Flüchtlinge und möchte damit nicht in Verbindung gebracht werden. Die deutsche Begeisterung, die Grenzen für Flüchtlinge zu öffnen, sei extrem gefährlich für ganz Europa, weil unter ihnen Terroristen seien. Und niemand könne die Guten von den Schlechten trennen", heisst es da, oder: "Zwar seien nicht alle Flüchtlinge Terroristen, aber alle Terroristen seien Flüchtlinge oder deren Kinder." Die indirekte Rede suggeriert, es handle sich um ein Hermanis-Zitat.

Darauf folgen ein paar Sätze des Thalia-Intendanten Joachim Lux, der sein Bedauern über diese "politisch begründete" Absage ausdrückt und sein Erstaunen darüber, dass nicht jedermann das "humanitäre" Engagement für "Hilfsbedürftige" teile, wie es das Thalia-Theater beweise (es lädt zum Beispiel Flüchtlinge ein, die bei Nicolas Stemanns Jelinek-Inszenierung "Die Schutzbefohlenen" mitspielen).

Kaum war die Thalia-Meldung öffentlich, ging ein Twitter-Shitstorm los. Der Regisseur wurde «feige» und «rassistisch» genannt; ein User wünschte ihm «auf Nimmerwiedersehen». Umgehend veröffentlichte das Portal nachtkritik.de, auf dem nach der Veröffentlichung eifrig kommentiert und debattiert wurde, in englischer Sprache eine Stellungnahme des Regisseurs selbst - die er auch der NZZ schickte, wobei er darauf bestand, sie dürfe nur wörtlich und ungekürzt wiedergegeben werden.

Auf Deutsch klingt das so: «Der Intendant des Thalia-Theaters hat ein Statement aus Sätzen von mir formuliert, indem er sie - ohne mich um Erlaubnis zu fragen - aus dem ursprünglichen Zusammenhang riss und so ihren Sinn verdrehte. Die Gründe, weshalb ich ihn darum bat, meine Hamburger Produktion zu streichen, sind sehr privat. Momentan arbeite ich in Paris und wohne genau in jenem Stadtteil, wo vor zwei Wochen das Massaker stattfand. Das Gefühl im Alltagsleben ist wie in Israel. Permanente Paranoia. Sogar noch schlimmer als dort, weil die jüdische Gemeinschaft als erste die Stadt verlässt. Überall umgeben uns Bedrohung und Angst. Wir alle sind traumatisiert von dem, was hier geschah. Als Vater von sieben Kindern bin ich nicht bereit, in einer weiteren potenziell gefährlichen Stadt zu arbeiten. Bekanntlich stammten die Täter von 9/11 aus Hamburg, übrigens.

Wir wissen, dass die Pariser Tragödie sogar die Flüchtlingspolitik der deutschen Regierung beeinflusst hat. Also war der Preis, der bezahlt werden musste, bis man schliesslich einen Zusammenhang von Migrationspolitik und Terrorismus einräumte, der Tod von 132 jungen Menschen in Paris. Ist dieser Zusammenhang in Deutschland immer noch ein Tabu? Nach Gesprächen mit Thalia-Leuten habe ich verstanden, dass sie nicht offen sind für abweichende Meinungen. Sie sehen sich als Refugees-Welcome-Zentrum. Jawohl, ich will da nicht mitmachen. Kann ich mir diese individuelle Entscheidung, kann ich mir eigene Meinungen leisten? Wie steht`s mit der Demokratie?

Ich denke nicht, dass meine politische Haltung radikaler ist als diejenige einer Mehrheit von Europäern. Wir teilen den Enthusiasmus hinsichtlich offener EU-Grenzen und unkontrollierter Einwanderung nicht. Vor allem im Osten Europas verstehen wir diese Euphorie schlecht. Wer glaubt denn allen Ernstes, vierzig Millionen polnische Bürger, um ein Beispiel zu machen, seien Neonazis und Rassisten?»

Von dem, was Joachim Lux aus Mails und Telefonaten extrapolierte und weitergab, unterscheiden sich Hermanis` Argumente doch beträchtlich. Wie der Regisseur ausserdem ergänzt, ist er auch nicht grundsätzlich dagegen, dass Theater mit politischen Verlautbarungen auftreten: Es störe ihn bloss, wenn ausschliesslich eine Seite zu Wort komme.

hier geht es zum Beitrag der "NZZ".