Fünf vor acht / Lithium-Abbau: Hinter dem E-Auto-Boom steckt ein schmutziges Geschäft Heike Buchter

Eine Kolumne von Heike Buchter

12. September 2022, 7:47 Uhr 139 Kommentare

Tesla lässt sich vom "grünen Goldrausch" mitreißen und plant eine Raffinerie für Lithiumhydroxid in Texas. Nur: Umweltfreundlich ist der angeblich grüne Rausch nicht. Lithiumabbau raubt Menschen in Chile und Bolivien das Wasser und Kobalt versauert das Grubenwasser

Normalerweise wird, was sich rund um Elon Musk und Tesla tut, zuverlässig zur weltweiten Schlagzeile. Doch die jüngste Meldung ging in dem Medien-Tsunami zum Tod der Queen unter. Dabei geht es um mehr als das übliche Musksche Twitter-Gewitter: Tesla plant, eine Raffinerie für Lithiumhydroxid in Texas zu bauen. Wie aus einem Brief des Autobauers an den US-Bundesstaat hervorgeht, will Tesla das Lithium erstmals in einer Anlage in den USA weiterverarbeiten.

Wie immer mangelt es Tesla nicht an Ehrgeiz. So soll mit dem Bau schon Ende des Jahres begonnen werden, die ersten Lieferungen an Batteriehersteller sollen bereits Ende 2024 stattfinden. Bisher fehlen allerdings noch sämtliche Genehmigungen. Schon im April hatte Musk über eine mögliche Expansion in diese Richtung gesprochen. Denn der Preis für Lithium und Lithiumhydroxid ist in den vergangenen Monaten extrem gestiegen - "in verrückte Höhen", wie Musk damals klagte. Tatsächlich lag der Preis pro Tonne im Frühjahr 2021 bei über 17.000 Dollar, ein Jahr später erreichte er ein Allzeithoch von 76.000 Dollar.

Lithium wird für die Herstellung von Autobatterien benötigt. Nicht nur für Tesla werden die Kosten für den Rohstoff zunehmend zum Problem. Vor Kurzem hatte Ford gemeldet, man werde wegen der gestiegenen Batteriekosten für den Mustang Mach-E bis zu 8.000 Dollar mehr verlangen müssen. Wer die neue Elektroausgabe des US-Sportwagens besitzen will, muss dann zwischen 47.000 und 70.000 Dollar hinblättern. Die hohen Preise bringen vor allem Start-ups ins Schleudern, die anders als Ford und Tesla bereits jede Menge Kapital brauchen, um überhaupt ihre Produktion zum Laufen zu bringen. Und das ist erst der Anfang. Die Lithiumknappheit wird sich mit zunehmender Elektrifizierung nur noch steigern.

Lithiumminen verschmutzen Luft und Wasser

So ist es wenig verwunderlich, dass Profiteure das große Geschäft wittern. Von einem "grünen Goldrausch" ist gar die Rede. Grün dürfte sich dabei allerdings vor allem auf die Farbe der US-Dollarscheine beziehen. Denn die Förderung von Lithium ist alles andere als umweltfreundlich. Die Minen verschmutzen Luft und Wasser in den Abbaugebieten.

Bisher konnten Elektroautofahrer und Verfechter der E-Mobilität diesen Umstand gut verdrängen. Denn die teuren E-Modelle verkaufen sich überwiegend in den Industrieländern. Lithium wird dagegen bisher vornehmlich in Ländern abgebaut, die gerne als Entwicklungsländer bezeichnet werden. In den Ländern Argentinien, Bolivien und Chile erstreckt sich das bisher größte Abbaugebiet, das "Lithium-Dreieck". Doch anders als in früheren Zeiten wächst dort inzwischen der Widerstand dagegen, sich für den Konsum in wohlhabenderen Gegenden der Welt zu opfern. Das wiederum stößt im Westen auf Unverständnis. "Der Ort mit dem meisten Lithium verhindert die Elektroautorevolution", titelte kürzlich das Wall Street Journal.

US-Medien gegen neue chilenische Verfassung

Doch es war nicht nur das wirtschaftsfreundliche Journal. So rief ein Kommentar in der Washington Post, das sich als linksliberal verortet und seit 2013 im Besitz von Amazon-Gründer Jeff Bezos ist, die Chilenen dazu auf, gegen die neue Verfassung zu stimmen. Diese sollte die Gesetze ablösen, die einst unter dem Diktator Augusto Pinochet erlassen wurden, der selbst ein gutes Verhältnis zu ausländischen Konzernen pflegte.

Es gab gute Gründe, die umstrittene Verfassungsreform abzulehnen, doch die von der Post angeführten sind seltsam einseitig. Schon im ersten Satz weisen die Autoren darauf hin, dass Chile zu den wichtigsten Lieferanten von Lithium gehöre. Rund 25 Prozent des weltweiten Bedarfs kam 2020 von dort. Die neue Verfassung, die Anfang des Monats bei einem Referendum abgelehnt wurde, sollte vor allem auch die Rechte von indigenen Minderheiten berücksichtigen - gerade, was den Abbau von Rohstoffen in deren Territorium betrifft. Laut der Post machten diese Ansprüche das Regelwerk "zu komplex". Eine Ablehnung der neuen Verfassung bezeichnete die Zeitung als Ausdruck dafür, dass die Chilenen wieder zur politischen Mitte zurückfänden.

Der wahre Schatz der Nibelungen: Lithiumvorräte im Oberrheingraben

Das dürften wohl auch die ausländischen Konzerne so sehen, die zeitweise fürchten mussten, der Rohstoffabbau in Chile werde nationalisiert. Solche Vorstöße hatten im Nachbarland Bolivien womöglich den Sturz von Evo Morales zur Folge, dem ersten indigenen Staatschef des Landes. Das zumindest behauptet Morales, der seine Absetzung 2019 auf ausländische Wirtschaftsinteressen und den Kampf um das "weiße Gold" zurückführt.

Bolivien verfügt über die weltweit größten Lithium Vorkommen. Damals meldete sich auch Tesla Chef Musk zu Wort: "We will Coup whoever we want", erklärte er per Twitter - und drohte damit Regierungen, die seinen Interessen entgegenstehen, den Staatsstreich an. Nicht zuletzt, um die ausländische Einflussnahme zurückzuweisen, wählten die Bolivianer Morales Partei 2020 mit großer Mehrheit wieder.

Geplante Lithiumabbaugebiete oft nahe an Indigenensiedlungen

Präsident Joe Biden will derweil die heimische Förderung von Lithium ausbauen. Viele der möglichen Standorte befinden sich nahe oder auf Territorium, das von den amerikanischen Ureinwohnern besiedelt wird. Anfang 2021 genehmigte die US-Regierung unter dem damaligen Präsidenten Donald Trump ein Tagebauprojekt am Thacker Pass in Nevada. Eine Milliarde Dollar soll in das Projekt fließen. Sein Nachfolger hält an dem Plan fest, obwohl der Widerstand in dem Hochland wächst.

Vor allem die Paiute und Shoshone fürchten um Land ihrer Vorfahren, das für sie heilig ist. Auch auf sie wird enormer Druck ausgeübt - angeblich liegt in der Förderung die Zukunft der E-Mobilität in den USA, wie der Finanznachrichtendienst Bloomberg behauptet.

Auch deutsche Autohersteller spielen mit. Während der Reise von Bundeskanzler Scholz nach Kanada unterzeichneten Mercedes und Volkswagen eine Vereinbarung, die den beiden Herstellern Zugang zu Lithium, Nickel und Kobalt dort verschaffen würde.

Doch wer glaubt, dass die Lithiumkämpfe weiterhin ferne Ökosysteme ruinieren, könnte sich bald getäuscht sehen. Deutschland verfügt über große Vorkommen, vor allem im Oberrheingraben. Es sei der wahre Schatz der Nibelungen, wie die Tagesschau jüngst schwärmte. Und es gibt bereits Firmen, die diesen Schatz möglichst rasch heben wollen.

Widerstand dürfte nicht auf sich warten lassen. Vielleicht kommt dann zur Sprache, was in dem Drängen, sich das "weiße Gold" zu sichern, bisher weitgehend untergeht. Dazu gehört es, die angebliche Alternativlosigkeit der E-Autos zu hinterfragen. Oder noch grundsätzlicher: Ob es nicht eine neue Mobilität braucht, die nicht auf die millionenfache Herstellung tonnenschwerer Vehikel setzt. Eine Mobilität, die nicht wieder zur Vernichtung von Ökosystemen und Kommunen führt - egal wo auf unserem Planeten.


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