Letzten Montag, weniger als 24 Stunden nach dem Sprengstoffanschlag von Ansbach (15 Verletzte) und der "Beziehungstat" von Reutlingen (eine Tote), drei Tage nach dem "Amoklauf" am Olympia-Einkaufszentrum in München (neun Tote) und sechs Tage nach der Axt-und-Messer-Attacke in einem Regionalzug bei Würzburg (fünf Verletzte), meldete sich der Generalsekretär der CDU, Peter Tauber, mit einer Zwischenbilanz zur Flüchtlingskrise zu Wort.
Der viel verspottete Satz der Kanzlerin - "Wir schaffen das!" - sei "teilweise Wirklichkeit" geworden.
Insofern ist es keine Überraschung, wenn der Generalsekretär der CDU einen Blick in die Zukunft wagt und erklärt, die "Bekämpfung der Fluchtursachen" könne noch Jahrzehnte dauern. Niemand wird ihn oder seine Chefin zur Verantwortung ziehen, wenn es sich in einigen Jahrzehnten herausstellt, dass die Vorhersage falsch war. Überraschend ist nur, dass er nach einer Woche, die von Horrornachrichten geprägt war, so tat, als wäre nichts passiert, das den Satz der Kanzlerin widerlegen oder wenigstens kräftig relativieren würde.
Peter Tauber war freilich nicht der einzige Zeitgenosse, der sich der Realität verweigerte. Wie üblich wurde vor einem "Generalverdacht" gegenüber Flüchtlingen gewarnt und eine Verschärfung des Waffenrechts gefordert.
Die zentrale Frage, die immer wieder gestellt wurde, lautete: Hatten die Täter einen terroristischen Hintergrund? Handelten sie gar im Auftrag des Islamischen Staates? Oder waren es nur "Einzeltäter", die sich, wie der Präsident des Bundeskriminalamtes feststellte, "blitzschnell radikalisiert" hatten, quasi zwischen zwei Zügen an einer Wasserpfeife?
Die herbeigerufenen Experten und Kommentatoren waren sich jedenfalls einig. "Wir", das heißt die Menschen draußen im Lande, dürften uns nicht demoralisieren lassen. Denn genau das sei die Absicht der Täter, egal, ob sie einen terroristischen Hintergrund hätten oder spontan Amok laufen würden.
Thomas Baumann vom MDR riet, ebenfalls in den "Tagesthemen", zu "trotziger Gelassenheit", während Arno Frank in der "Zeit" meinte: "Heroische Gelassenheit täte uns gut." Immer wieder wurden als Vergleichsgröße Verkehrsunfälle herangezogen. "Wir müssen lernen", dozierte Michael Strempel vom WDR, "mit dieser Art von Lebensgefahr umzugehen, die letztlich viel geringer bleibt als die Gefahr von tödlichen Verkehrsunfällen."
Christian Bommarius blies in der "Frankfurter Rundschau" in dasselbe Horn, nur lauter: "Trotz der jüngsten Anschläge ist das Risiko zumindest in Europa, durch einen Terroranschlag getötet zu werden, äußerst gering. Experten versichern: geringer, als durch ein Pilzgericht zu Tode zu kommen. Auch die Wahrscheinlichkeit, im deutschen Straßenverkehr sein Leben zu verlieren ... , ist ungleich größer als die Aussicht, Ziel einer Bombe zu werden."
Wie kommen vernunftbegabte Menschen, die nicht mit Empathie geizen, wenn es um bedrohte Juchtenkäfer geht, dazu, solche Überlegungen anzustellen, die rechentechnisch richtig sein mögen, aber von einer Missachtung der Opfer zeugen, die eben das Pech hatten, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein?
Hat irgendjemand nach der Katastrophe bei der Duisburger Loveparade im Jahre 2010 den Angehörigen der 21 Toten zugerufen: "Stellt euch nicht so an! Das Risiko, im Straßenverkehr sein Leben zu verlieren, ist viel größer als die Aussicht, bei einer Techno-Fete zu Tode getrampelt zu werden"? Nicht einmal der gefühlloseste Banause hätte es gewagt, die neun Opfer der NSU-Terrorzelle ins Verhältnis zu der Zahl der Verkehrsopfer zu setzen. Und
Ausgerechnet die linke Sahra Wagenknecht wagte es, das No-go-Gelände zu betreten: "Die Ereignisse der letzten Tage zeigen, dass die Aufnahme und Integration einer sehr großen Zahl von Flüchtlingen und Zuwanderern zumindest mit erheblichen Problemen verbunden und sehr viel schwieriger ist, als Frau Merkel uns das mit ihrem Wir schaffen das' im letzten Herbst einreden wollte."
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