Klaus von Dohnanyi SPD-Grande warnt vor "kleinkariertem Streit" - und grüner Ideologie Der Ex-Bundesminister und ehemalige Erste Bürgermeister Hamburgs Klaus von Dohnanyi sieht Deutschland vor einem Strukturwandel. Von der Politik fordert er, auf "kleinkarierten Streit" zu verzichten. Auch warnt er davor, die Ideologie der Grünen zu befolgen. Foto: picture alliance / dpa / Jens Kalaene
Hamburgs ehemaliger Bürgermeister Klaus von Dohnanyi (SPD).

Montag, 23.11.2020, 19:03

Unabhängig von der Corona-Pandemie stehe Deutschland eine schwere Zeit bevor, warnt Hamburgs ehemaliger Erster Bürgermeister Klaus von Dohnanyi (SPD). Besonders die Wirtschaft müsse umstrukturiert werden. Der frühere Bundesminister fordert daher einen ökologischen Umbau in der Bundesrepublik.

Klaus von Dohnanyi: Wirtschaftlichen Corona-Folgen werden unterschätzt

"Ich hoffe, dass wir die Pandemie am Ende des Jahres wieder einigermaßen beherrschbar gemacht haben. Die wirtschaftlichen Folgen jedoch werden noch immer unterschätzt", sagt von Dohnanyi im Interview mit "Welt". Im März und April hatten infolge der Pandemiebekämpfung weite Teile der Wirtschaft faktisch stillgestanden. Um 11,3 Prozent ist das Bruttoinlandsprodukt im zweiten Quartal des Jahres im Vergleich zum Vorjahresquartal gesunken. Durch die finanziellen Folgen der Corona-Krise fehlt nun zudem das Geld für eine notwendige ökologischen Neustrukturierung der Wirtschaft.

Zusätzlich rechnet von Dohnanyi damit, dass nicht nur die Pandemie, sondern auch Umweltschutz und fortschreitende Digitalisierung zunächst ebenfalls Arbeitsplätze kosten werden, vor allem in der Kohleindustrie. Man müsse ein zentrales Gleichgewicht zwischen Wohlstand, Digitalisierung und Klimaschutz finden. Schon im letzten Jahr hatte von Dohnanyi davor gewarnt, in der Klimadiskussion den Aufbau neuer Arbeitsplätze zu vernachlässigen.

Deutschland brauche einen Umbau, keinen Wiederaufbau. Vergleiche zu der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, blockt von Dohnanyi deshalb ab: "Jeder Architekt weiß, dass Umbauen meist schwieriger ist, als neu zu bauen - besonders, wenn die Bewohner währenddessen im Haus wohnen bleiben." Betroffen sind alle Arbeitsmärkte: "Wenn wir allein die Tätigkeiten betrachten, die aus heutiger Sicht klima- oder umweltschädlich sind, dann wird nicht viel unberührt bleiben."

"Grüne Politik wird keine Brücke zwischen Arbeit und Klimaschutz bauen"

Von Dohnanyi fordert eine ökologische Wirtschaftspolitik mit einem Gleichgewicht zwischen Umweltschutz und Erhalt von Arbeit und Wohlstand, vor allem ohne Ideologie. "Ich befürchte allerdings, dass wir uns inzwischen zu sehr auf eine grüne ideologische Basis eingelassen haben, die glaubt, dass man alles sofort und gleichzeitig machen könne", sagt von Dohnanyi zur "Welt". Doch dabei würden zu viele Arbeitsplätze verloren gehen.

"Grüne Ideologie wird keine Brücke zwischen einer gut bezahlten Arbeit und dem Klima- und Umweltschutz bauen", sagt der 92-Jährige. Kritik gibt es auch immer wieder in den eigenen Rängen der Partei. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann hält etwa beim Thema Elektromobilität den Vorschlag, im Jahr 2030 nur noch Elektroautos zuzulassen, für "unseriös".

Trotz seiner Kritik an den Grünen, äußert sich von Dohnyani zu keiner bestimmten Partei, die er sich für eine nächste Koalition wünscht. Einen erfolgreichen Umbau mache er nicht an einer bestimmten Partei fest, sondern am Programm und vor allem: "Kleinkarierter politischer Streit ist dabei nicht nützlich."

Die Politik als Teil des großen Unternehmens der Bundesrepublik

Dafür müsse der Staat auch unternehmerische Verantwortung übernehmen. "Die Politik muss verstehen, dass sie Teil des großen Unternehmens Bundesrepublik Deutschland ist. Wir müssen Stadt, Kommune und Land als ein komplexes Unternehmen begreifen - und zwar einschließlich ihrer Unternehmen", sagt von Dohnanyi. Durch wirtschaftliche Schulung müsse besonders die lokale Politik handlungsfähiger gemacht werden.

Ein Beispiel für die unternehmerische Kompetenz des Staates sei laut von Dohnanyi, die effektiven Belüftungssysteme von Airbus auch für andere Orte, wie Schulen oder Krankenhäuser zu entwickeln. So könnte man womöglich Arbeitnehmer wieder in Arbeit bringen, die derzeit von Kurzarbeit betroffen sind.

Die Zusammenarbeit zwischen Politik und Unternehmen muss verbessert werden und somit den Umbau beschleunigen. Wenn sich staatliche Stellen als "unternehmerischer" verstehen würden und gezielt ökologische Innovationen und Star-Ups fördern würden, wäre der Umbau in politischen Ämtern schneller und effektiver, glaubt von Dohnyani. Wenn jede notwendige Zusammenarbeit von Politik und Wirtschaft schon als "Lobbyismus" verketzert wird, kann es keinen wohlstandssichernden Umbau geben.

Abgesehen von dem wirtschaftlichen und ökologischen Zustands Deutschlands, sorgt sich der SPD-Politiker auch um die demokratischen Werte. Die Demokratie stehe besonders durch den Vertrauensverlust durch Fake News unter Druck: "Deutschland steht hier zwar im Vergleich zu anderen Ländern noch recht stabil da, aber wie der organisierte Widerstand gegen die Corona-Maßnahmen leider zeigt, können auch bei uns Verschwörungstheorien die politische Arbeit erheblich behindern."


Quelle: focus.de vom 23.11.2020