Stehlen, spucken, schlagen: In Dresden muss sich derzeit ein junger Serientäter vor Gericht verantworten, der sein Umfeld in beispielloser Weise terrorisiert haben soll. Der Tunesier war im April 2019 über Italien und Frankreich in die Bundesrepublik eingereist und beging laut Staatsanwaltschaft schon kurz nach seiner Ankunft die erste Straftat. Es folgten zahlreiche Rechtsbrüche, manchmal mehrere an einem Tag. Nach der Verurteilung soll der Mann abgeschoben werden.
dpa/AdobeStock/iStock/ Composing: Sascha Weingartz Ein junger Straftäter wird abgeführt (Symbolbild).
Gäbe es das Wort "Intensivtäter" noch nicht, für ihn müsste die Polizei es erfinden: Amine J., 20 Jahre alt. Der Mann aus Tunesien hat innerhalb von nur vier Monaten 30 zum Teil schwere Straftaten verübt.
Seine beispiellose Kriminellen-Karriere startete er unmittelbar nach seiner Ankunft in Deutschland im April 2019. Die Staatsanwaltschaft glaubt, dass der junge Mann überhaupt nur in die Bundesrepublik gekommen ist, um Straftaten zu begehen.
Guter Rat von Kumpels: "Geh' doch nach Deutschland"
Weder in seiner tunesischen Heimat noch in seinen ersten Fluchtländern Italien und Frankreich hatte er geregelte Jobs, zum Teil lebte er auf der Straße. Kumpels rieten ihm: "Geh' doch nach Deutschland, da kriegst Du wenigstens vom Staat ein Dach über dem Kopf."
Seit Ende Januar 2020 muss sich Amine J. vor dem Jugendschöffengericht Dresden verantworten. In dem Verfahren mit dem Aktenzeichen 251 Ls 601 Js 39179/19 sind vier Anklagen gegen den abgelehnten Asylbewerber gebündelt.
Dicke Strafakte: Streifzug durch das halbe Strafgesetzbuch
Die Vorwürfe gleichen einem Streifzug durch das halbe Strafgesetzbuch:
Schwerer Raub, gefährliche Körperverletzung in Tateinheit mit Beleidigung, Körperverletzung (3 Fälle) in Tateinheit mit Beleidigung und Bedrohung, versuchte gefährliche Körperverletzung, versuchte Körperverletzung, Wohnungseinbruchdiebstahl, Diebstahl (5 Fälle), versuchter Diebstahl (7 Fälle, einer in Tateinheit mit Körperverletzung), Beleidigung (4 Fälle, einer in Tateinheit mit Bedrohung), Erschleichen von Leistungen (4 Fälle), Hausfriedensbruch (2 Fälle).
Rekordverdächtig: 30 Straftaten in nur vier Monaten
In der Summe geht es um 30 Straftaten. Die Zahl ist erschreckend. Noch verheerender wird das Bild, wenn man bedenkt, in welch kurzem Zeitraum Amine J. die Gesetzesbrüche begangen haben soll: zwischen 13. April 2019 und 18. August 2019, also innerhalb von vier Monaten.
In dieser Zeit konnte der Mann in Deutschland sein Unwesen treiben, zunächst im brandenburgischen Eisenhüttenstadt (vier Delikte), später in Dresden (26 Straftaten). Am 30. August 2019 platzte den sächsischen Strafverfolgern der Kragen. Sie steckten den notorischen Kriminellen, der in Deutschland keinerlei Chancen auf Asyl hatte, ins Gefängnis. Bis heute sitzt er in Untersuchungshaft.
Schwarz gefahren, Schuhe geklaut, Frauen bedroht
FOCUS Online kennt die konkreten Vorwürfe der Dresdner Staatsanwaltschaft gegen Amine J., der an einigen Tagen gleich mehrere Straftaten begangen haben soll. Hier die Chronologie des Schreckens:
13. April 2019: In einem Supermarkt soll Amine J. ein Paar Puma-Turnschuhe im Wert von 45 Euro gestohlen haben. Anschließend attackierte er den Laden-Detektiv körperlich, so die Staatsanwaltschaft. Der Mann blutete an der Hand.
16. April und 17. April: Trotz Hausverbots betrat er den Supermarkt.
26. April: In einem Laden soll er einen Pullover für 90 Euro gestohlen haben.
24. Mai: In einem Shop stahl er laut Anklage ein Paar Schuhe für 60 Euro.
12. Juni und 22. Juni: Er wurde ohne Ticket in der Straßenbahn erwischt.
3. Juli: Versuchter Diebstahl in zwei Fällen: In der Dresdner Neustadt zog er laut Staatsanwaltschaft den Reißverschluss einer Gürteltasche auf, wobei die betroffene Frau die Tat bemerkte und sich wehrte. Anschließend soll er es bei einem anderen Opfer versucht haben.
5. Juli: Gegen 22.40 Uhr soll er versucht haben, eine Handtasche zu klauen, die eine Frau neben sich auf den Bürgersteig gelegt hatte. Die Frau verhinderte den Diebstahl.
Staat verhöhnt: Polizei werde gegen ihn "gar nichts machen"
5. Juli: Gegen 23.10 Uhr ging er nochmals auf die Frau mit der Handtasche zu und zeigte ihr laut Anklage den ausgestreckten Mittelfinger.
6. Juli: Den Ermittlungen zufolge stieg er mit zwei Frauen aus der Straßenbahn aus, zeigte ihnen den ausgestreckten Mittelfinger und rief "Fuck your mother" sowie "Schlampe". Mit dem Fahrrad verfolgte er die beiden, zog ein Messer und stach in Richtung einer der Frauen. Sie konnte ausweichen.
8. Juli: Gegen 2 Uhr morgens soll er eine aus Syrien stammende Frau als "Schlampe" beleidigt und sie zum Sex aufgefordert haben. Als sie ankündigte, die Polizei zu rufen, sagte er angeblich, die Polizei werde "gar nichts machen", sondern höchstens seinen "Ausweis nehmen". Schließlich drohte er der Frau, er kenne sie aus der Diskothek und werde sie in die Luft jagen.
12. Juli: Er wurde ohne Ticket in der Straßenbahn erwischt.
Er schlug mit Fäusten zu: Frau erlitt Schädel-Hirn-Trauma
13. Juli: Gegen 5 Uhr morgens traf er die Frau wieder, die er einige Tage zuvor "in die Luft jagen" wollte. An einer Haltestelle soll er sie mit beiden Fäusten traktiert und mehrmals ins Gesicht geschlagen haben. Auf Arabisch drohte er angeblich, dass er sie "schlachten" werde und beleidigte sie als "Schlampe". Die Frau erlitt ein Schädel-Hirn-Trauma ersten Grades und lag mehrere Tage im Krankenhaus.
14. Juli: Gegen Mitternacht soll er versucht haben, in die Umhängetasche einer Frau zu greifen, was diese jedoch rechtzeitig bemerkte.
Um 0.30 Uhr soll er einer anderen Frau das Mobiltelefon aus der Hosentasche gezogen habe. Das Opfer und andere Passanten zwangen ihn, das Handy zurückzugeben.
Um 0.45 Uhr soll er derselben Frau das Handy nochmals gestohlen haben, erneut holte sie es sich zurück.
Mann ein Klappmesser an den Hals gesetzt und ausgeraubt
Gegen 8.30 Uhr morgens soll er mit zwei Helfern einen Mann von hinten angegriffen haben, der aus der Straßenbahn gestiegen war. Die Mittäter hielten den Mann fest, Amine J. soll ihm ein Klappmesser an den Hals gesetzt und ihn aufgefordert haben, "alles" rauszugeben. Beute: ein 360 Euro teures Handy, Ausweise, EC- und Kreditkarten, Bargeld.
27. Juli: In einem Einkaufsmarkt soll er drei Flaschen Bier für 3.20 Euro gestohlen haben.
28. Juli: An der Flüchtlingsunterkunft in Dresden soll er einem Araber mehrere Faustschläge gegen den Kopf versetzt haben. Dabei soll er ihn als "schwul" beschimpft und gedroht haben, er werde ihn umbringen.
29. Juli: Gegen 16 Uhr soll er eine Frau vor einem Supermarkt verletzt haben. Laut Anklage baute er sich bedrohlich vor ihr auf und schubste sie mit beiden Händen kräftig nach hinten, worauf sie stürzte. Beim Weglaufen soll er dem Opfer seine beiden ausgestreckten Mittelfinger gezeigt haben. Die Frau erlitt ein großes Hämatom am Oberschenkel, Schwellungen am Knöchel und eine Verstauchung des Handgelenks.
Opfer Pfefferspray ins Gesicht gesprüht: "Fick Dich"
30. Juli: In der Dresdner Neustadt soll er sich auf eine Bank neben eine Frau gesetzt und ihr die Tasche mit Ausweisen und Schlüsseln gestohlen haben.
3. August: Er soll in die Erdgeschoss-Wohnung einer Frau eingebrochen sein, das Schlafzimmer durchsucht und ein Mobiltelefon gestohlen haben.
5. August: Er wurde ohne Ticket in der Straßenbahn erwischt und spuckte einem Fahrkarten-Kontrolleur ins Gesicht.
12. August: Gegen 23.30 Uhr soll er an einer Haltestelle einen Mann aufgefordert haben, für ihn an einem Automaten Zigaretten zu holen. Der Mann lehnte ab, worauf Amine J. ihm Pfefferspray ins Gesicht gesprüht haben und "Fick Dich" gerufen haben soll. Das Opfer erlitt starke Reizungen im Gesicht und musste vom Rettungsdienst behandelt werden.
18. August: Gegen 3.30 Uhr soll er vor einer Bar in Dresden im Zuge einer verbalen Auseinandersetzung ein Messer gezogen und einen anderen bedroht haben. Schließlich schlug er laut Staatsanwaltschaft mit der Faust in Richtung Kopf, das Opfer konnte jedoch ausweichen.
AdobeStock/iStock/Composing: Sascha WeingartzProzess: Nordafrikaner schweigt auf Anraten des Verteidigers
Ob die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft in jedem Detail zutreffen, wird sich erst im Lauf des Prozesses zeigen. An den beiden ersten Tagen schwieg der Nordafrikaner auf Anraten seines Verteidigers Alexander Hübner aus Dresden. Die Verhandlung wird an diesem Dienstag mit der Anhörung mehrerer Zeugen fortgesetzt.
Asyl abgelehnt, Abschiebung beschlossen, Haft wahrscheinlich
Fest steht, dass Amine J. Deutschland verlassen muss. Sein Asylantrag ist längst abgelehnt worden, seine Abschiebung beschlossene Sache. Die Staatsanwaltschaft hat die Ausländerbehörde allerdings gebeten, die Ausweisung bis zum Ende des Gerichtsprozesses zurückzustellen.
Im Fall einer Verurteilung soll der Tunesier umgehend abgeschoben werden. Sollte er illegal wieder nach Deutschland einreisen, könnte er wegen der ausstehenden Strafe sofort in Haft genommen werden.