Kampf ums Gas Deutschland setzt auf Solidarität - vor allem die der anderen

Von

Ralf Neukirch,

Steffen Lüdke und

Giorgos Christides

21.07.2022, 21.30 Uhr

Die EU will ihre Mitglieder notfalls zum Gassparen zwingen - auch um den Deutschen zu helfen. Dabei nimmt es die Bundesregierung mit der Kameradschaftlichkeit selbst nicht immer so genau. EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen stellt ihren Plan zum Energiesparen vor
Foto: IMAGO/Zheng Huansong / IMAGO/Xinhua

Die spanische Vizeministerpräsidentin Teresa Ribera wählte ihre Worte mit Bedacht. Denn sie sollte den Plan der EU-Kommission kommentieren, die die EU-Staaten zum Energiesparen anhalten will. Zur Not auch mit Zwang.

Spanien lehne den Vorschlag der Kommission ab, sagte also Ribera:

Nicht über die eigenen Verhältnisse gelebt, Hausaufgaben gemacht. Ribera wählte diese harten Formulierungen nicht zufällig. Sie sind ein Gruß in Richtung Deutschland.

Riberas Worte sind eine Anspielung auf das, was sich Spanien und andere südeuropäische Länder vor einigen Jahren in der Eurokrise anhören mussten. Damals schrieb die "Bild"-Zeitung, die "Pleite-Griechen" sollen doch ihre Inseln verkaufen.

Für die vier Mittelmeerstaaten erfand man das Akronym "PIGS". Sie hätten über ihre Verhältnisse gelebt und müssten nun "ihre Hausaufgaben machen".

Gemeinheiten sind nicht vergessen

In Spanien, das machte Ribera deutlich, ohne es auszusprechen, hat man die Gemeinheiten von damals bis heute nicht vergessen.

Wirtschaftsminister Habeck
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Das ist keine gute Voraussetzung für die Energiepläne der EU-Kommission. Sie sehen vor, dass die Mitgliedstaaten ihren Gasverbrauch zwischen dem 1. August 2022 und dem 31. März 2023 um 15 Prozent senken, falls Russland die Gaslieferungen einstellen sollte. Messlatte soll der Durchschnittskonsum der vergangenen fünf Jahre im gleichen Zeitraum sein.

Im Notfall will die Kommission von den Mitgliedstaaten das Recht erhalten, Einsparungen anzuordnen, etwa bei einem schweren Versorgungsengpass oder wenn drei Länder sie dazu auffordern. Dem Vorschlag müssen die Energieminister, die am kommenden Dienstag tagen, mit qualifizierter Mehrheit zustimmen.

Einer der größten Profiteure wäre Deutschland. Denn nur wenige Länder sind so abhängig von russischem Gas, kein EU-Mitgliedstaat bezieht solche Mengen aus Russland.

In Berlin stößt das Vorhaben der Kommission daher auf große Zustimmung. "Europäische Solidarität ist in diesen Zeiten wichtiger denn je", erklärte Wirtschaftsminister Robert Habeck.

Dabei nimmt es Deutschland mit der Solidarität selbst nicht immer so genau:

Die Haltung der Deutschen zur Atomkraft stößt ebenfalls vielen Partnern auf. Es gebe noch drei deutsche Atomkraftwerke, sagte der französische Binnenmarktkommissar Thierry Breton. "Anstatt zu beschließen, sie am Ende des Jahres abzuschalten, wie es in den Koalitionsvereinbarungen vorgesehen ist, kann man vielleicht sagen, dass man sie für ein oder zwei Jahre weiter betreibt, um dieses Problem zu lösen."

Diese Argumentation kommt auch in Deutschland an. "Wir wollen Atomstrom aus den Nachbarländern und mehr Gas aus den Niederlanden. Dann muss Deutschland auch selbst bereit sein, seinen Beitrag zu leisten", sagte die Vorsitzende der CDU/CSU-Mittelstandsvereinigung, Gitta Connemann. Ein Ausstieg zum Ende des Jahres wäre "ein nationaler Alleingang auf Kosten der EU".

Deutscher Leopard-2-Panzer
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Der Eindruck, Deutschland fordere mehr Solidarität von anderen, als es selbst zu geben bereit sei, betrifft auch andere Bereiche als die Energie. So wollte Deutschland mit Polen und Tschechien einen Ringtausch von Panzern für die Ukraine vereinbaren. Warschau und Prag sollten Kiew altes sowjetisches Gerät liefern und dafür von der Bundesregierung Leopard-2-Panzer erhalten.

Die Verbündeten warten bislang vergeblich

Das Problem ist: Die sowjetischen Panzer sind in der Ukraine angekommen. Auf deutsche Panzer warten die Verbündeten bislang vergeblich. "Deutschland sollte mehr von den Waffen liefern, die jetzt gebraucht werden", kritisiert der tschechische Außenminister Jan Lipavský.

Habecks Forderung nach Solidarität wird daher nicht nur in Spanien kühl aufgenommen. Politiker der polnischen Regierungspartei haben schon vor der Vorlage des Kommissionsvorschlags klargemacht, dass sie wenig Grund für Hilfe an die Deutschen sehen, die trotz Warnungen jahrzehntelang auf russisches Gas gesetzt haben.

Qualifizierte Mehrheit unwahrscheinlich

Auch Portugal sei "vollkommen" gegen den Plan, machte Energieminister Joao Galamba am Donnerstag deutlich. Den Vorschlag nannte er "unverhältnismäßig und unhaltbar", weil er die Unterschiede zwischen den Ländern nicht berücksichtige. Portugal bezieht gar kein Gas aus Russland.

Die griechische Regierung glaubt ebenfalls, mit freiwilligen Maßnahmen durch den Winter zu kommen. "Wir brauchen keinen verbindlichen Mechanismus", sagte eine Sprecherin des griechischen Energieministeriums dem SPIEGEL. Konsumenten zum Sparen zwingen, will man erst im absoluten Notfall - vermutlich auch, weil bald eine Parlamentswahl ansteht.

Es spricht daher viel dafür, dass es für den Vorschlag der Kommission in der kommenden Woche keine qualifizierte Mehrheit unter den Mitgliedstaaten geben wird. EU-Diplomaten gehen davon aus, dass es eine Einigung nur gibt, wenn die Pläne grundlegend überarbeitet werden.

Selbst wenn Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sich am Ende durchsetzt, wäre wenig gewonnen. Sie könnte zwar Energiesparen anordnen. Aber wie sollte sie das durchsetzen, wenn ein Staat sich weigert?

Solidarität in der EU kann man zwar einfordern, aber man kann sie nicht erzwingen.


Quelle: spiegel.de