Kolumne von Julia Ruhs "Oh Gott, du bist bei scheiß ARD!" Ich treffe einen Migranten, der die AfD wählt

Julia Ruhs

Sonntag, 26.01.2025, 11:24

Migranten, die AfD wählen - klingt widersprüchlich, doch es kommt vor. Ich habe jemanden aus Marokko getroffen, der überzeugt ist, dass die Partei die richtige Wahl für ihn ist. Und der sich sicher ist, dass ich das auf keinen Fall in den Medien schreiben darf. Ein Gegenbeweis.

Ich schreibe diese Kolumne, um jemandem zu beweisen, dass ich sie schreiben darf. Aber, fangen wir von vorne an.

Da hätte ich wohl besser meinen Beruf nicht erwähnt

Vergangenes Wochenende schleppten mich Freunde mit in eine Latino-Bar. Viele Gäste dort haben internationale Wurzeln. Ich, ein eher mäßiges Tanztalent, komme mit einem von ihnen ins Gespräch. Er sei Ingenieur in der Autoindustrie, Mitte 30 und ursprünglich aus Marokko, erzählt er. Aber seit sechzehn Jahren in Deutschland, den deutschen Pass hat er längst. Sein Deutsch? Ohne Akzent.

"Und du?", fragt er schließlich, nachdem er mir von sich erzählt hat. "Ich bin Journalistin, vor allem beim Bayerischen Rundfunk", antworte ich. "Oh Gott, du bist bei scheiß ARD!", ruft er entgeistert. Ich ziehe eine Grimasse. Diese Reaktion hatte ich in dieser Bar nicht erwartet. Und schon gar nicht von einem marokkanischen Migranten.

"Dir wird nicht gefallen, was ich jetzt sage"

"Bist du tolerant?", fragt er, bevor ich etwas erwidern kann. "Weil dir wird nicht gefallen, was ich jetzt sage."

Ich nicke, ahne aber nichts Gutes. Er denkt wahrscheinlich, ich verschwinde gleich in der Menschenmenge. "Ich werde bei dieser Wahl die AfD wählen!", verkündet er. Oha.

Dann erklärt er, warum: "Es ist wichtig, dass es ein Gleichgewicht gibt, zwischen links, rechts und der politischen Mitte. Aber gerade ist es immer alle gegen einen. Alle gegen die AfD". So etwas mache ihn immer misstrauisch.

Die Corona-Zeit hat ihn politisch gemacht

Die Corona-Zeit habe ihn wachgerüttelt. "Hast du da mal versucht, deine Meinung zu sagen?", fragt er mich. "Ich verstehe schon, was du meinst", antworte ich vorsichtig. "Ich habe damals gemerkt, dass es nur eine Seite gibt", sagt er. "Es wird zwar gesagt, du darfst deine Meinung frei sagen, aber dann wirst du gemobbt! Jetzt darf ich auch nicht jedem sagen, dass ich AfD wähle."

Er habe Angst, dass er in der Arbeit sonst benachteiligt wird. Dann spricht er von Russland. "Wir brauchen engere Beziehungen", findet er. Deshalb kämen für ihn nur die AfD oder Sahra Wagenknecht infrage. Ich lächle etwas gequält.

"Alle abschieben können sie sowieso nicht"

"Aber du bist Migrant", wende ich ein. "Hast du keine Sorge, dass die AfD schlecht für dich ist?" Natürlich weiß er, dass die AfD alles andere als migrationsfreundlich ist. Erzählt er Freunden, wen er wählen möchte, sagen die auch mal zu ihm: "Bist du bescheuert? Willst du, dass wir alle abgeschoben werden?"

Er findet diese Angst übertrieben. "Alle abschieben, das können die sowieso nicht", ist er sich sicher. Außerdem müsse die AfD in einer Koalition Kompromisse eingehen, so wie die "scheiß Grünen", die auch nie alles durchsetzen konnten.

Er fände es wichtig, dass die Grenzen besser kontrolliert werden. Jedes Land mache das schließlich so. "Das ist ja kein Verbrechen", meint er. Und er hat noch einen Grund, skeptisch auf andere Migranten zu schauen. Er kennt einige, die nicht arbeiten, sondern Bürgergeld beziehen. "Und mit diesem Geld kaufen sie dann Villas und Restaurants in ihrem Heimatland, weil es dort billig ist." Deutschland könne das nicht kontrollieren. "Und wir zahlen das Ganze!", regt er sich auf. Hier durchzugreifen, das traut er vor allem der AfD zu.

Wenn gut Integrierte andere Migranten ablehnen

Er ist längst nicht der einzige Migrant, der die AfD wählen will. Besonders Russlanddeutsche wählten bei der letzten Bundestagswahl überproportional oft diese Partei. Es sind häufig die gut Integrierten, die sich an der fehlenden Integration anderer stören. Auch die AfD selbst hat mittlerweile erkannt, dass sie migrantische Wähler ansprechen muss. Denn in Deutschland gibt es fast neun Millionen Wahlberechtigte mit Migrationshintergrund. Würden sie sich geschlossen hinter einer Partei versammeln, kämen sie auf rund 14,5 Prozent der Stimmen. Viel Potenzial also.

"Ich glaube nicht, dass du das schreiben darfst"

"Schreibst du über mich?", fragt meine Bar-Bekanntschaft mich plötzlich. Ich fühle mich in meinem Gedanken ertappt. "Warum nicht?", entgegne ich. "Ich glaube nicht, dass du das schreiben darfst. Alles, was pro-AfD ist, dürft ihr doch gar nicht veröffentlichen. Weil die Medien nicht frei sind", ist er überzeugt. Seit der Corona-Zeit wisse er das.

"Doch, natürlich dürfen wir, natürlich sind wir frei!", versichere ich ihm. "Soll ich dir das beweisen?" Er überlegt kurz. "Aber schreib nicht meinen Namen, sonst kriege ich Probleme mit der Arbeit."

Ich telefoniere später noch einmal mit ihm. Er schildert mir seine Gedanken ausführlicher. Seinen Namen darf ich nicht nennen, dafür immerhin ein stark verändertes Foto verwenden. Was mir auffällt: Er scheint gar nicht mehr so viel gegen Journalisten wie mich zu haben.

Er ist Deutscher, also wählt er auch wie ein Deutscher

Und jetzt steht es hier - unzensiert. Und das ist auch logisch. Denn das Gefühl, es gäbe nur eine Seite, erzeugen wir Journalisten viel zu oft selbst - durch unsere Zurückhaltung, bestimmte Geschichten zu erzählen. Für uns hat der klassische Migrant Angst vor "Remigration". Aber dass auch Migranten eine Anti-Migranten-Partei wählen, hört man selten.

Aber, ist das so unverständlich? Wer sechzehn Jahre in Deutschland lebt, der fühlt sich längst als Deutscher. Ist längst Deutscher. Und deshalb wählt er auch so wie immer mehr Deutsche. Ob es uns gefällt oder nicht.


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