FOCUS-Kolumnist Jan Fleischhauer
Sonntag, 13.10.2019
Was muss man sich zuschulden kommen lassen, um seinen Job zu verlieren? Wenn man in der deutschen Film- und Theaterwelt arbeitet: ein Mittagessen mit dem falschen Politiker. Das reicht dort.
Ein Mann trifft einen Politiker. Der Mann steht einer Kulturorganisation vor, die staatliche Gelder an Künstler verteilt. Der Politiker ist Vorsitzender der größten Oppositionspartei des Landes. Die beiden sind in einem italienischen Restaurant verabredet, sie essen zu Mittag. Kurz darauf veröffentlicht der Politiker ein Foto des Treffens auf seiner Instagram-Seite. "Sehr angeregter und konstruktiver politischer Gedankenaustausch heute", schreibt er dazu.
Kaum ist das Bild in der Welt, setzen Verdächtigungen ein. Eine Reihe von Künstlern, die der Regierung zugetan sind, äußert ihr Missfallen. Sie sagen, dass sie nicht länger mit dem Kulturmanager zusammenarbeiten könnten, weil er durch das Mittagessen kompromittiert sei.
Man sammelt Unterschriften. Es gehen Petitionen heraus, die eine Entlassung fordern. Die Ministerin für Wissenschaft und Kunst beruft eine Krisensitzung ein. Erst heißt es, man müsse die Lage prüfen. Dann steht in den Zeitungen, dass der Mann seinen Posten verloren habe. An seine Stelle soll eine Person rücken, die das Vertrauen der Kunstschaffenden genieße. Von dem Entlassenen hört man nichts mehr.
Die Geschichte liest sich, als würde sie in einem fernen Staat im Osten spielen, einer dieser Autokratien, in denen die Bürger gut beraten sind, bei allem, was sie sagen oder tun, vorsichtig zu sein. Aber ist keine Geschichte aus der Ferne. Es ist eine deutsche Geschichte.
Der Mann, der seinen Job verlor, heißt Hans Joachim Mendig. Er war drei Jahre lang Geschäftsführer der hessischen Filmförderung - bis er sich auf einen Lunch mit dem AfD-Vorsitzenden Jörg Meuthen traf. Vor zwei Wochen wurde er seines Amtes enthoben. Man habe den Imageschaden begrenzen müssen, der durch das Treffen entstanden sei, erklärte die Kulturministerin Angela Dorn, die dem Aufsichtsrat der hessischen Filmförderung vorsteht und für die Grünen in der Landesregierung sitzt.
Ich beschreibe den Fall hier so ausführlich, weil ich ihn für außergewöhnlich halte, auch für außergewöhnlich hinterhältig. Es kommt nicht oft vor, dass Menschen ihren Job verlieren, weil sie mit den falschen Leuten zu Mittag gegessen haben. Ich kann mich, ehrlich gesagt, an keinen vergleichbaren Fall in den letzten 30 Jahren erinnern. Ich hätte deshalb erwartet, dass er größere Beachtung findet. Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" hat berichtet, etwas ausführlicher die "Welt". Aber in der Regel blieb der Fall eine Randnotiz im Feuilleton, eine dieser Personalien, über die man beim Lesen schnell hinwegliest.
Was ist da los? 600 Leute aus der deutschen Filmszene unterschreiben eine Erklärung, in der sie androhen, nicht mehr mit der Hessen-Film zusammenarbeiten zu wollen, wenn deren Geschäftsführer weiter im Amt bleibe. Ein Subventionsannahmeboykott als Druckmittel, das ist originell. Andererseits: Niemand ist gezwungen, Fördermittel entgegenzunehmen. Es gibt sogar Menschen, die meinen, dass der deutsche Film in einer deutlich besseren Verfassung wäre, wenn es keine staatliche Filmförderung gebe. Als förderwürdig gelten in Deutschland vor allem Filme, die viel Kunstwillen, aber wenig Aussicht auf Publikum haben. So sagt es natürlich keiner, aber das ist die Praxis.
Die Kultur ist ein eigenes Milieu, mit eigenen Gesetzen und Regeln. Es ist schon schwer, in der Medienwelt jemanden zu finden, dessen Herz nicht für die linke Sache pocht. In der Kulturwelt ist dies nahezu unmöglich. Was wäre das deutsche Petitionswesen ohne die "Filmschaffenden", wie sie sich bei der Gelegenheit gern nennen. Keine Unterschriftenliste, auf der sich nicht der Name von Schauspielern, Bühnenbildnern oder Regisseuren findet, die im hohen Maße empört oder besorgt sind.
Mit der Bereitschaft zur Empörung korrespondiert ein ausgeprägtes Kuschelbedürfnis, das in interessantem Widerspruch zum Widerstandsgestus steht. Früher war man stolz darauf, die Bürger aus der Fassung gebracht zu haben. Wenn es im Parkett zum Aufstand kam, galt das als Gütesiegel. Heute lassen sich deutsche Bühnen beraten, wie sie mit Unmutsbekundungen und Störungen umgehen sollen. "Viele Theater fühlen sich auf solche Anfeindungen nicht hinreichend vorbereitet", berichtete die Geschäftsführerin der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus neulich in einem Interview mit der "Süddeutschen Zeitung".
Ich bin immer wieder erstaunt, wie schwer sich Menschen, die ansonsten bei jeder Gelegenheit betonen, wie bereichernd das Fremde sei, in dem Moment tun, in dem sie tatsächlich mit dem Fremden konfrontiert sind. Die Künstler, denen man in der Theater- und Filmwelt begegnet, gleichen einander auf verblüffende Weise. Sie sehen vielleicht unterschiedlich aus, sie mögen aus exotischen Gegenden kommen oder fremd klingende Namen tragen: Aber was die Überzeugungen und Wertvorstellungen angeht, könnten sie nicht homogener sein.
In Wahrheit ist der im Kulturbetrieb vorherrschende Fremdheitsbegriff sehr oberflächlich, ja man könnte sagen: kolonialistisch. Er macht sich allein am Aussehen fest, also an Hautfarbe, Geschlecht oder ethnischer Herkunft. Der wahre Fremde hingegen wäre jemand, der radikal anders denkt. In dem Sinne ist ein Meuthen tausendmal fremder als jeder senegalesische Regisseur, der auf Festivals herumgereicht wird.
Regelmäßige Leser meiner Kolumne wissen, wie wenig ich mit der AfD am Hut habe. Ich käme im Leben nicht auf die Idee, diese Partei zu wählen. Aber es stört mich, wenn sich alle gegen einen zusammenrotten. Auf einer Unterschriftenliste gegen jemanden Stimmung zu machen ist für mich kein Zeichen von Mut, sondern eher ein Ausdruck von Niedertracht.
Mich erinnert das Ganze an die unselige Zeit in den siebziger Jahren, als man sich daranmachte, Leute auszuheben, die angeblich mit der RAF und ihren Zielen sympathisierten. Wobei man sagen muss: Bei der RAF handelte es sich immerhin um eine Terrororganisation. Die AfD hingehen mag man verachten, aber sie ist weder verfassungsfeindlich noch kriminell.
Man darf gespannt sein, wie es weitergeht. Schon jetzt sitzen die ersten AfD-Vertreter in den Rundfunkräten. Demnächst werden sie in die Kulturförderung und in die Aufsichtsgremien staatlicher Kulturinstitutionen einziehen. Will man dann im Ernst nach jedem verfänglichen Mittagessen, bei dem sich ein Kulturfunktionär erwischen lässt, mit Boykott drohen? Wer weiß, vielleicht werden die Kulturetats in Deutschland schon bald nicht mehr ausgeschöpft, weil niemand das Geld haben will. Das wäre dann allerdings eine wirklich radikale Entwicklung.
Quelle: focus online vom 30.10.2019
Nach einem Interview mit Jörg Meuthen von der AfD zum Anschlag in Halle sieht sich das ZDF Kritik ausgesetzt. Der Sender hatte den Europapolitiker der AfD im Morgenmagazin interviewt. Die Entscheidung, einen Politiker der AfD zu einem rechtsextremistischen Anschlag zu interviewen, sorgt bei einigen Politikern für Fassungslosigkeit.
So wütete etwa Grünen-Frau Renate Künast auf Twitter: "Ich glaube ich träume. ZDF, wer ist im #moma zum Thema #Halle0910 #Synagoge!?!? Ihr habt Verantwortung! Wisst ihr das?" Auch ihr Parteikollege Volker Beck ist sauer: "Wie kann man eine Propagandalüge der AfD Viral gehen lassen? Der Täter von Halle schwafelte von "Massenmigration" und "Umvolkung", an die "der Jude" schuld sei. Der Resonanzraum für dieses krude Gedankengut ist die AfD."
Das ZDF weist die Vorwürfe auf Twitter zurück: "Nach dem Anschlag in Halle wurde der AfD von mehreren Seiten geistige Brandstiftung vorgeworfen. Es gehört zu unserer Aufgabe, den Bundessprecher der AfD damit zu konfrontieren. Damit gaben wir ihm keine Bühne, sondern führten ein kritisches Interview." In dem Interview hatte Meuthen die Kritik, die AfD trage eine Mitschuld an dem Anschlag in Halle, zurückgewiesen. Die Anschuldigungen seien "absurd und infam", so Meuthen im "ZDF Morgenmagazin".