Ist Deutschland der größte Ukraine-Unterstützer?

Von

Konrad Schuller
Politischer Korrespondent der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung in Berlin.

11.07.2025, 18:19 Lesezeit: 4 Min.

Weil Amerika immer wieder ausfällt, hat Kanzler Merz auf vielen Feldern die Führung übernommen. Trotzdem ist Berlin in der Unterstützung für Kiew nach wie vor zurückhaltender als manch anderer Verbündeter.

Friedrich Merz hat am Donnerstag auf der Ukraine-Konferenz in Rom eine stolze(?) Formel verwendet: "Deutschland ist der größte Unterstützer der Ukraine." Das ist einerseits wahr, und die Summen, welche die Bundesregierung zusammenrechnet, sind ja auch eindrucksvoll: Seit dem russischen Großüberfall auf die Ukraine hat Deutschland demnach (einschließlich der Hilfe für ukrainische Flüchtlinge) 34 Milliarden Euro für zivile Unterstützung und 38 Milliarden an Militärhilfe geleistet oder bereitgestellt.

Andererseits ist Deutschland nur deshalb jetzt die Nummer eins, weil unter Donald Trump die gewaltige Unterstützung Amerikas weitgehend weggefallen ist. Und wenn man die Hilfe ins Verhältnis zur Wirtschaftskraft der helfenden Länder setzt, rutscht Deutschland sogar auf die hinteren Ränge: Dann steht es nur auf Platz zwölf, weit hinter vergleichbar reichen Ländern wie Dänemark, den Niederlanden oder Schweden - von den besonders engagierten "Frontstaaten" wie den baltischen Republiken und Polen gar nicht erst zu sprechen. An dieser Reihenfolge der Unterstützung hat sich seit Olaf Scholz wenig verändert.

"Die Ukraine hat Priorität"

Trotzdem ist manches neu. Spricht man mit Oleksij Makejew, dem ukrainischen Botschafter in Berlin, über die Regierung Merz, stellt er fest: "Es herrscht eine ganz andere Stimmung. Die Ukraine hat Priorität. Man spürt, dass viel Energie investiert wird." Statt sich auf Probleme zu konzentrieren, suche man jetzt "neue Perspektiven".

Am Donnerstag hat sich das gezeigt. Weil Amerika immer wieder auszufallen scheint, hat Merz auf vielen Feldern die Führung übernommen. Als es letzte Woche so aussah, als wollten die USA trotz dramatisch zunehmender russischer Bombenangriffe der Ukraine keine Flugabwehrwaffen mehr liefern, hat er nach Erkenntnissen der F.A.S. mit Präsident Donald Trump telefoniert. Dabei hat er angeboten, Deutschland könnte auf eigene Kosten zwei Systeme des teuren Flugabwehrsystems Patriot in den USA bestellen und der Ukraine geben. Trump hat daraufhin neue Lieferungen im Prinzip zugesagt, auch wenn vieles zuletzt noch unklar schien.

Auch in der Europäischen Union zieht Merz neue Saiten auf. In Rom hat er den slowakischen Ministerpräsidenten Robert Fico in noch nie gehörter Schärfe dafür kritisiert, dass er härtere Sanktionen gegen Russland immer noch blockiert. Das ist riskant, denn wenn Fico sich trotzdem weiter querstellen sollte, stünde Merz als Verlierer da.

Merz umwirbt Trump

Warum der Kanzler diese Kosten und Risiken in Kauf nimmt, hat er in Rom erläutert: "Wenn wir uns um die Ukraine kümmern, kümmern wir uns auch um uns," sagte er da. Russlands Angriffskrieg müsse eben nicht nur aus "Altruismus" beendet werden, sondern weil er Deutschlands unmittelbare Interessen bedrohe. Merz nannte Wachstum, Freiheit der Märkte, Energiesicherheit, die Belastung der deutschen Sozialsysteme durch Kriegsflüchtlinge und natürlich auch die "Freiheitsordnung in Europa" als Ganzes.

Warum Deutschland trotzdem nach wie vor zurückhaltender ist als manche anderen Verbündeten, formuliert Merz weniger klar. Vieles dürfte aber damit zusammenhängen, dass praktisch jeder und jede in der Bundesregierung Donald Trump und damit auch Amerikas Bündnistreue für unkalkulierbar hält. Merz scheint daraus zu folgern, dass Deutschland vorsichtiger bleiben muss als manche andere. Falls Russland seinen längst eröffneten hybriden Krieg gegen Europa nämlich weiter steigern wollte, wäre die größte Nation der EU stärker exponiert als andere.

Zugleich wäre sie mangels eigener Atomwaffen schwächer geschützt als etwa Frankreich und Großbritannien. Merz spricht das nicht aus, aber sein ständiges Werben um Trump macht deutlich, wie sehr aus seiner Sicht Deutschlands Sicherheit immer noch von Amerika abhängt. Als er bei seiner Rede in Rom von seinem Manuskript abwich und Trump beschwor, "bei uns", also "auf der richtigen Seite" der Geschichte zu bleiben, schien dieses Bewusstsein der Ungeschütztheit deutlich durchzuklingen.

Deshalb gelten auch unter Merz bestimmte Grenzen, die schon unter Scholz galten. Deutschland liefert der Ukraine den Marschflugkörper Taurus nicht, obwohl Botschafter Makejew, in dessen Büro ein Modell dieser Waffe einen Ehrenplatz hat, immer wieder öffentlich sagt, wie dringend sein Land dieses System braucht.

Konflikt um russische Vermögenswerte

Und vor allem bremst Deutschland bei den in Europa eingefrorenen russischen Vermögenswerten. Merz zögert, diese etwa 200 Milliarden Euro endgültig zu beschlagnahmen und der Ukraine zu geben. Die Gründe werden nicht klar ausgesprochen, aber sie könnten mit der Sorge zusammenhängen, dass Staaten wie Saudi-Arabien ihr Geld nicht mehr in Europa anlegen würden, wenn die Gefahr bestünde, dass es dort konfisziert wird.

Zwischen Kiew und Berlin besteht darüber ein offener Konflikt, und am Donnerstag, als Friedrich Merz und der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj gemeinsam an der "Ukraine Recovery Conference" in Rom teilnahmen, ist er unverhüllt sichtbar geworden. Selenskyj wiederholte da in seiner Plenarrede das Argument, die Ukraine brauche Geld, um das Leben ihrer Bürger zu schützen. Deshalb solle sie nicht wie bisher nur die Erträge aus dem eingefrorenen Vermögen bekommen, sondern "die Werte selbst". Merz gab eine gewundene Antwort mit vielen Nebensätzen, die so nahe an ein klares Nein herankam, wie es für einen Kanzler möglich ist, der gerade noch beansprucht hat, der "größte Unterstützer" der Ukraine zu sein. Das deutlichste der vielen Worte, die er fand, war "gegebenenfalls".


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