FOCUS-Online-Redakteurin Henriette Jedicke
Montag, 26.03.2018, 13:54
FOCUS Online: Am Wochenende ist der Fall einer antisemitischen Morddrohung in Berlin hochgekocht. Wie schätzen Sie die Situation ein? Ist das ein Einzelfall?
Ahmad Mansour: Keineswegs. Es gab immer wieder mehrere Fälle. Wir dürfen den Fall in Berlin-Friedenau im letzten Jahr nicht vergessen, wo ein 14-Jähriger nach antisemitischen Vorfällen seine Schule verließ. Während des Gaza-Kriegs gab es zahlreiche Fälle und auch als Trump entschied, die US-Botschaft nach Jerusalem zu verlagern. Der Berliner Vorfall ist also kein Einzelfall. Klar dürfen wir Muslime nicht als homogene Gruppe sehen, aber gerade unter muslimischen Jugendlichen gibt es ein Riesen-Problem mit Antisemitismus.
Ahmad Mansour 2015 in Berlin.
FOCUS Online: Auch der Lehrerverband warnt vor einer wachsenden Polarisierung und einer Verschlechterung der Zustände an Problemschulen in Brennpunkt-Bezirken. Was ist Ursache für diese Entwicklung?
Mansour: Es gibt da sicher viele Ursachen und keine monokausale Erklärung. Ich glaube aber nicht, dass es hier nur um Problemschulen geht. An diesen Schulen sind die Hilferufe nur immer besonders groß. Das Problem mit dem Antisemitismus haben wir vor allem bei den Muslimen, die in der dritten Generation bei uns leben, und bei Flüchtlingen, die oftmals den Antisemitismus ihrer Heimatländer mit zu uns bringen. Dieser kennt nicht die Hemmungen, den Deutsche beim Umgang mit diesem Thema haben.
Wir haben hier eine Generation von Menschen, die sich vor allem im Internet bewegt. Dort werden Verschwörungstheorien zur Plage. Jugendliche versuchen, auf unsere komplexe Welt mit einfachen Antworten zu reagieren. Die sind schwarz-weiß, und danach sind Muslime immer die Opfer und die Juden die Täter. Das führt auch zu Antisemitismus.
FOCUS Online: Jetzt gibt es in Berlin bereits Schulen, die von privaten Wachdiensten beschützt werden. Ist das eine Folge dieser Entwicklung?
Mansour: Das ist eine Folge - aber sicherlich nicht nur vom Antisemitismus. Da geht es ja auch um Gewalt unter Jugendlichen, generelle Mobbingsituationen und grundsätzlich wenig Respekt vor der Schule und Lehrern. Dass Schulen versuchen, mit Wachdiensten ihre Probleme zu lösen, mag äußerlich gut sein, kann aber im Endeffekt keine Lösung sein. Die muss gesamtgesellschaftlich gefunden werden.
FOCUS Online: Und wie kann das funktionieren?
Mansour: Wir müssen klarmachen, was man in dieser Gesellschaft darf und was nicht. Antisemitismus geht nicht, und die Bekämpfung dessen muss auch Teil unserer Integrationsarbeit sein. Wir brauchen pädagogische Konzepte, die Menschen mit Migrationshintergrund erreichen. Wir müssen über den Nahostkonflikt reden und Verschwörungstheorien die Stirn bieten.
Ich sehe in dem Zusammenhang auch die muslimische Community in der Pflicht: In Moscheen muss es Angebote geben, die Antisemitismus entgegenwirken. Auch die Bundeszentrale für politische Bildung ist in der Pflicht, ihren digitalen Beitrag in diese Richtung zu leisten. Und natürlich ist es auch Aufgabe der Schulen, Dialogplattformen zu schaffen.
FOCUS Online: Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Annette Widmann-Mauz hat religiöses Mobbing in Klassenzimmern verurteilt. Aber reicht das? Was muss die Politik in diese Richtung tun?
Mansour: Was hilft den Lehrern eine politische Verurteilung in ihrer täglichen Arbeit? Wir haben bereits so viele Debatten zu diesem Thema geführt. Jetzt muss endlich was passieren. Die Kultusministerien der Länder müssen sich endlich zusammentun und entscheiden, wie sie auf die Herausforderungen von heute reagieren können. Die Ausbildung der Lehrer muss sich verändern, und es müssen neue Lehrpläne her, die dieses Thema bearbeiten. Wir können nicht nur Projekte finanzieren, sondern das Thema muss in den Lehrplänen etabliert werden, damit die Lehrer konkret wissen, was sie tun können.
Er sagt: "Hier ist die Politik gefragt. Die falsch verstandene Toleranz ermöglicht gerade die Unwilligkeit zur Anpassung an sein Umfeld und die teils darauffolgende Radikalisierung." Er kritisiert fehlende Lösungen für eine richtige Integration.
Quelle: focus.de vom 26.03.2018