Von Ricarda Breyton
Politikredakteurin
Stand: 03.08.2023 | Lesedauer: 5 Minuten
Quelle: picture alliance / Sophia Kembowski/dpa
Es klang positiv, was das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) im Februar verkündete: Mehr als 500.000 Migranten hätten 2022 einen Kurs für Zuwanderer begonnen - so viele wie nie, sagte Behördenpräsident Hans-Eckhard Sommer. Allein bei den Integrationskursen sei die Zahl der Teilnehmer auf 340.000 gewachsen.
"Es ist uns gelungen, dies gewaltig zu skalieren", sagte Sommer. Er gehe davon aus, dass vom kommenden Sommer an eine große Zahl an Absolventen für den deutschen Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen werde, zitierte ihn die Deutsche Presse-Agentur. Kein Thema war, wie gut die Teilnehmer durchschnittlich in den Kursen abschneiden. Und ob sie danach fit sind für das gesellschaftliche Leben und den Arbeitsmarkt.
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Da ein Integrationskurs zwischen sechs und neun Monate dauert, beziehen sich die Zahlen größtenteils auf Menschen, die 2021 oder sogar zuvor einen Kurs begannen. Die vielen ukrainischen Kriegsflüchtlinge sind dort noch nicht berücksichtigt.
Dies sei eine "vernichtende Bilanz", findet der arbeitspolitische Sprecher der AfD-Fraktion, René Springer. 2022 habe es 18.000 Integrationskurslehrer gegeben, zugleich hätten aber nur 78.000 Kursteilnehmer das gesetzlich angestrebte Sprachniveau B1 erreicht. "Im gesamten Jahr schafft es ein Lehrer also, vier Personen erfolgreich durch den Kurs zu bringen." Dies sei auch mit Blick auf das verwendete Steuergeld problematisch. Seit 2010 hätten die Integrationskurse mehr als fünf Milliarden Euro gekostet. "Zugleich stellen wir fest, dass die Durchfallerquote auf hohem Niveau stagniert."
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Kritik übt nicht nur die AfD. Rechnungsprüfer sehen ebenfalls ein Problem. Im vergangenen Jahr kritisierte der Bundesrechnungshof, dass die Kosten pro Teilnehmer in den vergangenen Jahren immer höher geworden seien.
Woran liegt es, dass so viele an den Sprachtests scheitern? Und was ist zu tun?
Der Sprachwissenschaftler Ibrahim Cindark vom Leibniz-Institut für deutsche Sprache in Mannheim sagt, dass das Programm für einige schlicht zu ambitioniert sei. "Die Erwartung, dass der Durchschnittsmensch nach sechs Monaten Sprachkurs das Niveau B1 erreicht, ist definitiv zu hoch."
Cindark war an einem Projekt beteiligt, das die Sprachkenntnisse von mehreren Hundert Integrationskursteilnehmern unabhängig vom BAMF untersuchte - einmal zu Beginn und dann zum Ende des Kurses. Nur zehn Prozent der Teilnehmer hätten sich am Ende des Kurses tatsächlich auf dem gesetzlich festgelegten Sprachniveau B1 verständigen können, sagt Cindark. Der anderen seien vorher ausgeschieden oder erreichten nur A2 oder weniger.
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Vor den Flüchtlingsbewegungen 2016, sagt Cindark, seien die Erfolgsquoten höher gewesen. "Allerdings waren die Teilnehmer bis dahin nur selten Geflüchtete. Oft handelte es sich um Zuwanderer, die schon im Heimatland Deutsch gelernt hatten, um überhaupt ein entsprechendes Visum zu bekommen."
Seitdem wurde das Konzept nicht angepasst. B1 bedeutet laut dem Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen, dass man die Sprache "fortgeschritten" verwenden kann. Über vertraute Themen muss man sich dann zusammenhängend äußern können, Kerninhalte verstehen können. Schüler eines Gymnasiums erreichen das Niveau in der Regel nach mehreren Jahren Sprachunterricht.
Andere Faktoren erschweren den Lernprozess. Es gebe aktuell einen Mangel an Integrationskurslehrkräften, sagt Jeannette Langner, Geschäftsführerin des Berufsverbands für Integrations- und Berufssprachkurse. In den vergangenen Jahren seien viele gute Lehrkräfte abgewandert, zum Beispiel in den Schuldienst. Die Folge sei, dass viele Träger 25 Teilnehmer in einen Integrationskurs setzten. "Da muss man ordentlich strampeln, um alle durch B1 zu bringen."
Und dann gibt es noch Berichte über Zuwanderer, die schlicht nicht genügend Motivation für den Kurs aufbrächten. Wie viele es sind, lässt sich seriös nicht sagen. Klar ist nur: Wenn jemand dem Kurs fernbleibt und deswegen den Test nicht besteht, gibt es nicht allzu viel Druck.
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Er nehme nicht wahr, dass bei einem Kursabbruch regelhaft Sanktionen verhängt würden, beklagt der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Alexander Throm (CDU). "Die Ampel hat im Gegenteil die Sanktionen bei Einführung des Bürgergeldes reduziert. Anerkannte Flüchtlinge müssen kaum mit Kürzungen des Bürgergeldes rechnen, selbst wenn sie dem Integrationskurs fernbleiben."
Die Folgen sind mitunter problematisch - für die Betroffenen, aber auch für die Aufnahmegesellschaft. Zwar betont das BAMF, dass ein Nichterreichen des B1-Zieles "mitnichten" ein Scheitern darstelle. Auch das Erreichen des Sprachniveaus A2 stelle für jede Person, die Deutsch als Fremdsprache lernt, "einen erheblichen Lernfortschritt" dar. Wiederholungen sind möglich, außerdem schließen Kurse an, die auf die Berufswelt vorbereiten. Außerdem ist es dem BAMF wichtig zu betonen, dass ein Austritt wegen Inaktivität nicht mit einem dauerhaften Abbruch gleichzusetzen sei. Auch wer die Teilnahme zum Beispiel wegen Krankheit länger unterbreche, gelte als inaktiv.
Sprachwissenschaftler Cindark hingegen sagt, es sei "für Teilnehmer frustrierend, wenn sie die vorgegebenen Ziele nicht schaffen". Er fordert, Ziele und Gestaltung der Kurse anzupassen - und zugleich besser mit der Arbeitswelt zu verzahnen.