Integration in der Schule Lehrerverband zu Merz-Tirade: "Wir haben ein Integrationsproblem"

FOCUS-online-Redakteurin Mirjam Moll

Freitag, 13.01.2023, 20:48

Der CDU-Bundesvorsitzende Friedrich Merz sieht Probleme in den Schulen mit Blick auf Schüler mit Migrationshintergrund. Aber ist sein Pauschalurteil nicht zu hart? Der Präsident des Deutschen Lehrerverbands, Heinz-Peter Meidinger, erkennt auch ein Integrationsproblem.

FOCUS online/Wochit Friedrich Merz bei Lanz: Präsident des Lehrerverbands äußert sich

FOCUS online: Friedrich Merz sprach in der Sendung von Markus Lanz von "einem veritablen Problem mangelnder Integration junger Menschen, überwiegend aus der arabischen Welt". Das beginne schon in den Schulen, wenn sich "Väter die Belehrung insbesondere von Lehrerinnen ihrer Söhne, den kleinen ‚Paschas', verbitten - da fängt es an". Pauschalisiert er damit nicht zu sehr?

Heinz-Peter Meidinger: Die Äußerungen sind sicher teilweise Wahlkampfgetöse und zu pauschal. Die Formulierung ist streitbar, aber dass wir grundsätzlich ein Integrationsproblem haben, ist unbestritten. Insbesondere im schulischen Bereich.

Es gibt also häufiger Konflikte mit Eltern, die sich über Lehrerinnen beschweren, weil die ihre Söhne zurechtweisen?

Meidinger: Was Merz gesagt hat, ist zwar nicht der Regelfall. Aber das Problem gibt es, da brauchen wir nicht drumherum reden. Es gibt Eltern, die dann die Schule aufsuchen, die männliche Schulleitung wohlgemerkt, um sich beschweren, weil sie die Autorität weiblicher Lehrkräfte nicht anerkennen. Das Problem gibt es schon lange, nicht nur an Berliner Schulen. Von dort hat es schon vor Jahren einen Hilferuf von betroffenen Lehrerinnen gegeben.

Welche Probleme schildern die Lehrer in Ihrem Verband im Umgang mit Schülern mit Migrationshintergrund?

Meidinger: Wenn solche Probleme entstehen, dann wenden sich Lehrer meist direkt an den Personalrat oder einen Rechtsschutz, dort herrscht eine totale Verschwiegenheitspflicht. Insofern gibt es über diese Probleme wenig Transparenz, auch weil Lehrer sich vielfach nicht trauen, überhaupt Hilfe zu suchen und an die Öffentlichkeit zu gehen. Deshalb bekommt das Thema bislang auch nicht den Stellenwert, den es verdient hätte.

Hatten Sie selbst einmal so ein Erlebnis?

Meidinger: Als Schulleiter im Bayerischen Wald habe ich auch ab und zu Konflikte mitbekommen, auch patriarchalische Familienstrukturen, dass Lehrerinnen in ihrer Autorität nicht akzeptiert wurden. Allerdings kam das an einem Gymnasium seltener vor. Es ist einfach schwierig, wenn Kinder mit Migrationshintergrund Probleme haben, insbesondere, wenn sie aus strenggläubigen islamischen Ländern kommen.

Lehrerin über Islamismus an deutschen Schulen

Warum?

Meidinger: Dann beginnt das Problem schon, mit manchen Eltern in Kontakt zu kommen, um darüber zu sprechen, wie man das Kind am besten fördern kann. Weil es in solchen Familien oft ein Misstrauen gegen öffentliche Stellen gibt, wohl geprägt von den Erfahrungen im eigenen Land. Offene Gespräche darüber, woran es liegt, dass das Kind nicht so gut mitkommt in der Schule, welche Umstände zu Hause herrschen oder gar einen Hausbesuch zu machen, ist dann kaum möglich.

Welche Erfahrungen haben die Mitglieder Ihres Verbands gemacht?

Meidinger: Ja. Als vor einigen Jahren ein Lehrer in Frankreich auf offener Straße ermordet wurde, haben sich mehrere Lehrer bei mir gemeldet und geschildert, dass es auch bei uns aus der islamisch-fundamentalistischen Community heraus zu aggressivem Verhalten von Schülern gegen Lehrer, aber auch seitens der Eltern gegen Lehrer kommt.

Marijan Murat/dpa/Symbolbild
Ein Lehrer steht im Unterricht an der Tafel.

Wie äußert sich das?

Meidinger: Lehrer werden bedroht und beschimpft. Aber es geht auch darum, dass Druck gemacht wird, dass es keine Klassenarbeiten während der Ramadan-Zeit geben dürfe, dass Mädchen nicht beim Sportunterricht teilnehmen müssen, dass bestimmte Themen im Unterricht nicht stattfinden sollen. Das sind Probleme, die nicht nur an Brennpunktschulen da sind.

Wie kann man das lösen?

Meidinger: Einerseits sollte man natürlich immer zu überzeugen versuchen, andererseits darf man bei Regelverstößen und unzumutbaren Forderungen auch nicht zurückweichen.

Welche Probleme sehen Sie bei der schulischen Ausbildung von Kindern mit Migrationshintergrund?

Meidinger: Es gibt eine IQB-Studie über deutsche Grundschüler, die zeigte, dass ein Fünftel nicht einmal die Mindeststandards erreicht, die in dieser Stufe erreicht sein sollte. Das Ergebnis ist allerdings noch viel desaströser, was Kinder mit Migrationshintergrund angeht. Das bedeutet miserable Chancen auf einen guten Schulabschluss. Da müssen wir etwas machen.

Was kann und muss die Politik tun?

Meidinger: Der ungleichen soziale und ethnischen Verteilung von Kindern auf Schulen muss entgegengewirkt werden. Wenn einerseits 30 Prozent der Grundschulen über 90 Prozent Kinder mit Migrationshintergrund haben, 30 Prozent der Grundschulen aber unter zehn Prozent, dann stimmt etwas nicht.

Marijan Murat/dpa/Symbolbild
Eine Schülerin meldet sich im Unterricht.

Welche Folgen hat es für den Unterricht, wenn viele Kinder mit Migrationshintergrund in einer Klasse sind?

Meidinger: Das hat enorme Auswirkungen, wie Studien auch belegen. Wenn zu Hause kein Deutsch gesprochen wird - und das ist derzeit bei 80 Prozent der ersten Migrationsgeneration der Fall - dann haben die Kinder enorme Probleme, dem Unterricht zu folgen. Dann muss der Unterricht langsamer werden: mit Folgen für alle. Außerdem findet so kein Kontakt zu deutschen Kindern und damit auch keine Integration statt. Wie gehen die Eltern der Kinder mit Migrationshintergrund damit um, wenn ihre Kinder in solchen Klassen untergebracht werden? Fürchten sie nicht, dass ihre Kinder dann weniger Chancen haben? Meidinger: Ja, so ist es. Eltern deutscher Kinder wehren sich gegen gemischte Klassen - aus Angst, die Bildung ihres Kindes könnte darunter leiden. Aber auch die Eltern der Zuwanderungsfamilien sehen große Probleme für ihre Kinder, wenn sie an der Schule unter sich bleiben. Es geht nicht darum, eine gesetzliche Quote festzulegen, wohl aber darum das Problem wahrzunehmen und gegenzusteuern.

Woran denken Sie da?

Meidinger: Etwa, Wohnungen anders zu verteilen, statt ganze Wohnquartiere, in denen dann nur noch Migranten leben. Dass die Verteilung der Kinder mit Migrationshintergrund besser wird. Wenn ein Kind aber mit mangelnden sozialen Kontakten zu deutschsprachigen Kindern aufwächst, wird es benachteiligt sein. Eine bessere Verteilung in einer Großstadt wie Berlin, die ein sehr gutes öffentliches Verkehrsnetz hat, ist beispielsweise problemlos möglich. Ob ein Kind dann drei Stationen mit der S-Bahn fährt oder eine, spielt doch keine Rolle. Aber es kann integrations- und lernförderliche Zusammensetzung der Klassen bewirken.

Wie kann es gelingen, die Kinder besser vorzubereiten?

Meidinger: Das Zauberwort heißt verpflichtende vorschulische Sprachförderung. Es gibt ein Bundesland, dass das richtig macht - das ist Hamburg. Da gibt es Sprachtests bei Vierjährigen. Bei den Kindern, die große Sprachdefizite aufweisen, die bekommen eine verpflichtende Sprachförderung - entweder in den Kitas oder in eigens organisierten Förderkursen. Hamburg hat bei der Grundschulstudie keinen Leistungsabfall zu verzeichnen, auch nicht bei den Kindern mit Migrationshintergrund.

Solche Sprachtests gibt es doch aber auch in anderen Bundesländern…

Meidinger: Ja, aber die Teilnahme ist dort nicht verpflichtend und wenn Defizite festgestellt werden, gibt es auch keine verpflichtende Teilnahme, bestenfalls ein Angebot. Das Hamburger Beispiel sollte Schule machen. Auch der Blick über die Grenzen hilft: Schweden betreibt eine ausgezeichnete vorschulische Förderung von Kindern mit Migrationshintergrund. Ich habe dort Schulen besucht. Da wird großer Wert darauf gelegt, dass Kinder Schwedisch sprechen, wenn sie in die Schule kommen. Diese Kinder haben dann auch eine Chance.

Die Idee ist ja gut, aber gibt es für solche Sprachförderungen auch genug Personal?

Meidinger: Das Personalproblem ist da, sicher. Aber das kann nicht der Grund sein, dass man die Hände in den Schoß legt. Sind die Defizite einmal da, kann die Schule das während der Schulzeit k a u m leisten, sie auszugleichen. Sie kann sie bestenfalls etwas reduzieren. Fakt ist: Die Unterschiede zwischen den leistungsschwachen und leistungsstarken Kindern nehmen grundsätzlich zu, wenn sie einmal da sind. Deshalb kommt die schulische Förderung solcher Kinder einfach zu spät.


Quelle: