Kommentar von Ivo Mijnssen
02.10.2023 - 18:27 Uhr
Die Nachbarn beobachten die Parlamentswahl in der Slowakei genau. Als Erstes freute sich Viktor Orban über den Sieg des Linkspopulisten Robert Fico. "Immer gut, mit einem Patrioten zusammenzuarbeiten", schrieb der ungarische Ministerpräsident.
Foto: Reuters
Tschechiens Innenminister hingegen bezeichnete das Comeback des noch vor Kurzem völlig diskreditierten Ukrainekritikers Fico als "Warnung und Lehre". Es sei das Resultat der Ängste vieler Menschen, meinte Vit Rakusan, der einer bürgerlichen, pointiert proeuropäischen Regierung angehört.
Beiden gemein ist die Hoffnung oder Sorge, dass die Slowakei zum Vorbild für den Rest der Region werden könnte. Dies bedeutete eine Relativierung der Unterstützung für die Ukraine, gemischt mit einer schleichenden Abwendung vom Westen.
Viele geben dem anhaltenden Krieg in der Ukraine die Schuld an wirtschaftlichen Verwerfungen und der Zunahme der Unsicherheit generell. Russische Einflussnahme befeuert eine verbreitete Skepsis über die milliardenschwere Unterstützung von EU und Nato für Kiew, die etwa Fico als Mitverantwortung des Westens interpretiert.
Die Stimmung ist jedenfalls nicht nur in der Slowakei, sondern auch in Polen, Tschechien und Ungarn angespannt. Die Menschen fürchten um ihren seit 1989 erworbenen Wohlstand. Sogar Polen, der wichtigste Unterstützer, streitet mit Kiew erbittert über Getreideimporte, Ausgaben für ukrainische Flüchtlinge und das Gefühl mangelnder Dankbarkeit. Dennoch bleibt die Militärhilfe Staatsräson.
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In Tschechien trug die geopolitische Unsicherheit dazu bei, dass der erratische, in Stil und Populismus Fico und Orban durchaus ähnliche ehemalige Minister Andrej Babis zwei herbe Niederlagen erlitt. 2021 errang eine bürgerlich-proeuropäische Allianz die Mehrheit im Parlament, im März dieses Jahres zog der ehemalige Nato-General Petr Pavel ins Präsidentenamt ein. Beide stehen für eine klare Verankerung im westlichen Sicherheitsbündnis und die Unterstützung Kiews.
Ungarn hingegen wählte einen nationalen Sonderweg. Das Land trägt EU-Sanktionen nur mit, wenn es im Energiebereich von Sonderregelungen profitiert, lehnt Waffentransporte über sein Territorium ab und übernimmt bezüglich der Ukraine weitestgehend die Rhetorik Moskaus.
Alle Ansätze sind getrieben von der Suche nach Sicherheit: Fico und Orban scheinen durchaus zu glauben, eine militärische Unterstützung der Ukraine rücke auch ihre Länder ins Zielfernrohr der Russen. Sie tun deshalb alles, um sich aus dem Krieg herauszuhalten. Sie sind aber auch zynisch genug, die wirtschaftlichen Profite dieser Zurückhaltung einzustreichen.
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Tschechen und Polen zählen hingegen auf die Stärkung kollektiver westlicher Allianzen, auch zum Preis von Aufrüstung und Konfrontation. Es ist eine deutlich konsequentere Haltung, zumal auch die Ungarn den Preis für die geopolitischen Verwerfungen zahlen, etwa in Form der höchsten Teuerung im EU-Raum.
Einen Bruch mit den westlichen Partnern können und wollen sie sich nicht leisten. Auch Orban weiß, dass Putin kein verlässlicher Partner ist. Im gleichen Spannungsfeld wird sich Fico bewegen müssen, sollte er es schaffen, um seine Partei Smer herum eine Koalition zu bilden.
Fakt ist, dass keine Regierung in Europa derzeit wirkliche Rezepte zur Bekämpfung der multiplen Krisen der letzten Jahre hat. Dies ebnet den Weg für Scheinlösungen: Politiker wie Fico und Orban reden den Menschen ein, es werde wieder alles wie früher, wenn der Westen nur mehr Rücksicht nähme auf Russland.
Die aus Moskau drohende Gefahr lässt sich so kurzfristig verdrängen, aber der nationale Sonderweg eines Kleinstaats in gefährlicher Nachbarschaft führt in die Schutzlosigkeit. Als Weg des geringsten Widerstands könnte diese Taktik dennoch Schule machen in Europa.
Das ist die ernüchternde Lehre der slowakischen Wahl für Europa. Gefährlich ist die Janusköpfigkeit dieser Politik allemal: Die prorussische Rhetorik wirkt wie Gift auf die westliche Einheitsfront, und sie macht Hilfe für die Ukraine immer schwieriger vertretbar, je länger sich der Konflikt hinzieht.
Quelle: Handelsblatt