FOCUS-online-Korrespondent Ulrich Reitz
Dienstag, 22.11.2022, 09:46
Es ist die erste deutsche Niederlage auf dem internationalen Parkett beim Versuch, möglichst hohe Moral mit leider hässlicher Realität zu versöhnen.
Man weiß nicht, was an dem ganzen Vorgang mit der halbschwulen Kapitänsbinde - politisch korrekt wäre: "inklusiv" - peinlicher ist: das Einknicken des DFB vor der eigenen Courage (nicht mal die Regenbogenflagge ), der Fifa oder: Die Naivität des deutschen Verbandes, es überhaupt so weit kommen zu lassen.
Man möchte den Spielern, dem Trainer, den Funktionären und den vielen Medienvertretern zurufen:
Huch - Katar ist ein steinzeitislamisches Land?
Huch, die WM gehört gar nicht uns, sondern dieser schrecklich geldgeilen Fifa?
Was habt Ihr denn anderes erwartet?
Erst diese ganzen Stellungnahmen zu den Homosexuellen-Rechten, die Aufregung über den katarischen WM-Botschafter und dessen Einsortierung von Homosexualität als Krankheit. Was kann man von Vertretern des Wahhabismus, dieser besonders strengen Scharia-Spielart des sunnitischen Islam, denn anderes erwarten?
Wo waren eigentlich die vielen Bedenkenträger, die heute aus ihren Öffentlich-Rechtlichen Sesseln kommen, eigentlich während der vergangenen zwölf Jahre? Katar wurde als WM-Austragungs-Ort 2010 bestimmt, viel hat man seitdem von moralisierenden Kommentatoren nicht gehört.
Aber vielleicht kompensieren sie bei ARD und ZDF gerade auch jene gut 200 Millionen, die ihre Anstalten für die Übertragungsrechte an die dubiose Firma Fifa bezahlt haben, wer weiß. Man kennt derlei hyperventilierende Abwehr-Mechanismen aus der Psychologie schon lange.
Nun zum DFB: Wer sich auf Politik einlässt, spielt auch nach den Regeln der Politik. Es sieht leider nicht danach aus, dass der Fußballverband sich auf diesem Terrain auskennt. Im Moment wirken sie beim DFB wie ein Pazifist, der sich mit Wladimir Putin in Sibirien zur Bärenjagd verabredet hat.
Ja, Menschenrechte sind unteilbar. Allerdings: das ist die Meinung des Westens, die schon wenige Kilometer weit weg, nämlich von Russland, nicht geteilt wird, siehe dessen fundamentale Menschenrechtsverletzungen in der Ukraine. Ja, das ist auch die Auffassung der Vereinten Nationen. Aber dort sind auch die Russen Mitglied, sogar, nach wie vor, im Sicherheitsrat.
Ebenso wie die Chinesen, denen Individualrechte gleichfalls schnuppe sind. Man muss noch nicht einmal bis zu den Uiguren schauen, sie kujonieren selbst ihr eigenes Volk, etwa durch social scoring - soziale Aussortierung unliebsamen Verhaltens. Und wenn Menschenrechte ganz oben stehen: Weshalb hat denn die Bundesregierung noch nicht das unzweifelhaft demokratische Taiwan anerkannt?
Die Moslem-Herrscher auf der arabischen Halbinsel stellen seit ewigen Zeiten ihre autoritär-menschenfeindliche Religion über die Menschenrechte. Aber, was bitte, ist daran überraschend? Wenn die Menschenrechte 2010 auch nur ansatzweise wichtig gewesen wären, hätte man die WM niemals nach Katar vergeben dürfen.
Wir Deutschen haben uns nach der Aufklärung durch Kant und Co. unser Werteland mühevoll erarbeitet, nachdem wir vorher in aller Welt Ströme von Blut verursacht haben. Vielleicht sollten es bei der Belehrung von anderen vorsichtiger angehen lassen.
Nochmal zum DFB:
Was hat also den DFB geritten, sich überhaupt auf Moralpolitik einzulassen? Der Wunsch der Funktionäre und wohl auch von Spielern, sich demonstrativ auf die Seite der "Guten" zu stellen, muss überwältigend gewesen sein. Größer jedenfalls als alle politische Klugheit. Darauf glasklar hingewiesen hat der erfolgreichste deutsche (Vereins-)Fußball-Lehrer: "Mich stört, dass die Spieler in eine Situation gebracht werden, in der sie ständig so politisch total korrekt sein müssen." Sagt Jürgen Klopp.
Und dann: Wenn man sich als Fußball schon in die politische Hochrisikozone begibt, dann muss man ES auch können. Der DFB hat, als es um diese Armbinde ging, nicht einmal kalkuliert, was dabei so alles passieren kann. Als die deutschen Funktionäre beschlossen, der Fifa für ihren moralischen Heldenmut notfalls eine Strafe zu zahlen: Haben sie sich wirklich nicht damit befasst, dass die Fifa neben finanziellen auch sportliche Sanktionen verfügen kann? Und was ist das dann: Noch naiv oder schon überheblich?
Es ist eine Art umgekehrter Geschichtsrevisionismus: Weil wir unsere in Teilen schmutzige Geschichte überwunden haben, glauben wir, andere über Sauberkeit belehren zu können. Damit sind wir in der letzten Zeit oft auf die Nase gefallen, etwa bei Nordstream oder bei den schweren Waffen für die Ukraine.
Und gerade erst haben unsere Außenministerin Annalena Baerbock und ihre Ex-Green-Peace-Jetzt-Klima-Staatssekretärin Jennifer Morgan erfahren müssen, was den Unterschied zwischen Werten und Interessen ausmacht. Und was sich dann auf so einem Klimagipfel am Ende durchsetzt.
Und jetzt soll auch beim Fußball nach diesen Moral-Regeln gespielt werden? Das ist gefährlich, man sieht es ja. Mit Klopp: Geht spielen, so gut Ihr nur könnt!