Stand: 03.07.2022 | Lesedauer: 3 Minuten
Von Harald Martenstein
Kolumnist und Autor
Mich dürft ihr ruhig "Kartoffel" nennen. Wenn ich braun gebrannt aus dem Urlaub komme, gerne auch "Bratkartoffel". Nach dem Sport passt am besten "Kartoffelpuffer", ich bin dann immer platt.
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Das K-Wort ist doch nicht schlimm, finde ich, sondern schmeichelhaft. Kartoffeln sind beliebt, vielseitig verwendbar, unkompliziert zuzubereiten und kosten nicht viel. Sie sind sogar divers, es gibt sie auch in Blau und Rot, ich bin Weißkartoffel. Etwas zu füllige Deutsche könnte man "Bierschinken" nennen.
Die Briten sagen manchmal "Krauts" zu uns. Na und? Sauerkraut ist gesund. Franzmännerinnen verwenden "Boche", um uns zu beschimpfen. Am ehesten lässt sich dieses Wort nicht etwa mit "Schwein" übersetzen, wie viele glauben, sondern mit "Holzkopf". Holz, ein nachwachsender Rohstoff! In Anbetracht unserer Geburtenrate passt das leider nicht mehr.
Eigentlich bin ich dafür, nicht immer gleich und wegen jeder Kleinigkeit beleidigt zu sein. Das ist schwierig geworden, weil gewisse identitäre Wüteriche aus dem Dauerbeleidigtsein ihre Lebensaufgabe oder sogar einen Beruf gemacht haben.
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Deshalb die in Kartoffelkreisen verbreitete Empörung über Ferda Ataman. Sie stammt aus dem linksidentitären Umfeld, soll Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung werden und hat das K-Wort verwendet. Die Idee, dass gleiche Maßstäbe und gleiches Recht für alle gelten müssen, ist halt so tief in den Köpfen der Leute verankert, dass es schwer ist, ihnen das auszutreiben.
Deutsche, Weiße, Männer et cetera sollen ein dickes Fell haben, okay, die anderen aber dürfen wegen jeder Mikroaggression per Shitstorm Entlassungen fordern? So wird's auf Dauer nicht funktionieren.
Die Zahl der "Bundesbeauftragten", "Sonderbeauftragten" und "Koordinatoren" wächst übrigens ähnlich unaufhaltsam wie die Inflation und die Größe des Bundestags. 2010 reichten noch 35. Heute, zwölf Jahre später, sind es schon 42 geworden. Es gibt zum Beispiel Beauftragte für Migration, für Antirassismus, für "die Belange von Menschen mit Behinderungen", gegen Antiziganismus, für Afghanistan und Pakistan, für Ostdeutschland, für Queer, sogar für "die Behandlung von Zahlungen an die Konversionskasse", was immer das sein mag.
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Ein bisschen aus der Zeit gefallen wirken heute die "Beauftragte für den Berlin-Umzug und den Bonn-Ausgleich" und das Amt eines "Koordinators für die Zusammenarbeit mit Russland". Als Beauftragte nimmt man oft eine Persönlichkeit aus dem immer unübersichtlicheren Wimmelbild der Bundestagsabgeordneten, vielleicht solche, die bei der Vergabe von Regierungsposten zu kurz gekommen sind.
Das erscheint mir gut machbar, weil Bürokratie nach meiner täglichen Erfahrung keineswegs abgebaut wird, sondern wächst, was man nicht zuletzt an der steigenden Zahl der Bundesbeauftragten ablesen kann. Außerdem soll ein Bürokratieabbau-Koordinator "quantitative Bürokratie-Abbauziele" festlegen, damit sie dann im Ziele-Ordner quantitativ abgeheftet werden können.
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Ich fände es aber gut, wenn bei der nächsten Beauftragtenzahlerhöhung endlich eine Bundesbeauftragte für die Beauftragung von Beauftragtenkoordinator*innen ernannt wird sowie ein Bundesweißbier-Beauftragter, der frühere Sportreporter Waldemar Hartmann wäre der Richtige.
Quelle: welt.de