Hohe Strompreise vertreiben High-Tech-Unternehmen aus Deutschland Nicht nur klassische Industriebranchen setzen die Energiekosten unter Druck. Auch die Halbleiterbranche ist verärgert. Jüngstes Beispiel: Siltronic.

23.02.2021 - 04:00 Uhr 1 Kommentar

München, Berlin
Der Münchener Chipzulieferer Siltronic steht vor dem Verkauf nach Asien. Siltronic-Chef Christoph von Plotho macht dafür unter anderem die hohen Energiekosten in Deutschland verantwortlich: "Durch den hohen Strompreis wird der Standort unattraktiv", sagte er im Gespräch mit dem Handelsblatt. Sein Unternehmen zahle am Standort Singapur "weniger als die Hälfte des Strompreises". Kostentreiber hierzulande sei vor allem die Umlage nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG). Ein weiterer Faktor seien die vergleichsweise hohen Personalkosten in Deutschland.
Halbleiterproduktion
Wie Siltronic klagt auch der Chiphersteller Infineon über die hohen Stromkosten in Deutschland.
(Foto: obs)

Der Manager berührt damit ein Kernproblem der deutschen Energiepolitik. Deutsche Industrieunternehmen zahlen im weltweiten und auch im europäischen Vergleich hohe Strompreise. Einer der Gründe dafür ist die EEG-Umlage, mit der über den Strompreis der Ausbau der erneuerbaren Energien finanziert wird.

Hinzu kommen weitere Umlagen und Abgaben, etwa Entgelte für die Nutzung der Stromnetze. Ausnahmen von der EEG-Umlage gelten lediglich für rund 2200 Abnehmer. Siltronic profitiert nach eigenen Angaben seit 2019 nicht mehr von den Ausnahmeregeln.

Die hohen Kosten stellen eine Belastung für das Unternehmen dar, die auch nicht durch das geplante Subventionsprogramm von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) für die Chipindustrie ausgeglichen wird. Konkurrent Globalwafers nutzt die Situation: Das Unternehmen aus Taiwan hat sich im Zuge eines Übernahmeangebots 57 Prozent der Aktien von Siltronic gesichert. Der Konzern hat für die deutschen Siltronic-Standorte eine Bestandsgarantie bis Ende 2024 ausgesprochen.

Der langjährige Siltronic-Hauptaktionär Wacker hatte die hohen Stromkosten in den vergangenen Jahren immer wieder kritisiert. Die Politik hat das Problem grundsätzlich durchaus erkannt. So plädiert Altmaier dafür, den Ausbau der Erneuerbaren nicht mehr über einen Aufschlag auf den Strompreis, sondern aus dem Bundeshaushalt zu finanzieren.

In Europa produziertes Silizium bringt keinen Gewinn

"Das nachhaltigste Mittel gegen steigende Strompreise und Energiekosten ist es, die Umsetzung der Energiewende so kosteneffizient wie möglich zu gestalten", sagte eine Sprecherin Altmaiers. Die Einnahmen aus der in diesem Jahr eingeführten CO2-Bepreisung für die Sektoren Wärme und Verkehr würden demnach vollständig für die Entlastung bei der EEG-Umlage verwendet.

Vor knapp einem Jahr hatte Rudolf Staudigl, Chef des langjährigen Siltronic-Mehrheitsaktionärs Wacker Chemie, eine klare Botschaft gesendet: Im Polysilizium-Geschäft habe der Wettbewerb mit den Konkurrenten in Asien "eine existenzgefährdende Intensität erreicht", sagte Staudigl dem Handelsblatt.

Hier: Vergleich Industriestrompreise in Europa

Mit in Europa produziertem Silizium für den Einsatz in Solarzellen lasse sich kein Geld mehr verdienen, obwohl Wacker weltweiter Qualitäts- und Technologieführer sei. "Ohne die notwendige Planungs- und Investitionssicherheit durch einen weltweit wettbewerbsfähigen Industriestrompreis werden systemrelevante Rohstoffe wie etwa das Polysilizium für die Zukunftstechnologien Photovoltaik und Digitalisierung nicht mehr in Europa konkurrenzfähig produziert werden können", lautete die Warnung Staudigls. Das werde zu massiven Job- und Wohlstandsverlusten führen und dem Klima schaden, da die globalen Wettbewerbsregionen mit deutlich größerem CO2-Fußabdruck produzierten.

Mit dem Verkauf des Wacker-Anteils an Siltronic an Globalwafers hat Staudigl mittlerweile die Konsequenz gezogen. Der Fall belegt, dass nicht allein klassische Industriebetriebe - etwa Gießereien und Chemiefabriken - unter den hohen Strompreisen leiden. Auch die Hightechbranche Halbleiter-Fertigung ist betroffen.

Und Siltronic ist kein Einzelfall. Die Stromkosten inklusive Abgaben seien international nicht wettbewerbsfähig, warnt auch Deutschlands größter Chiphersteller Infineon. "Die Wettbewerbsfähigkeit und Planungssicherheit der Strompreise sowie eine sichere und schwankungsfreie Stromversorgung bleiben wichtige Themen, gerade auch angesichts der Diskussion um den Erhalt und Ausbau von Halbleiter-Produktionskapazitäten in Deutschland und Europa", sagt eine Infineon-Sprecherin.

EEG-Umlage als Standortfaktor

"Die Energiekosten in Deutschland sind vor allem durch die umfangreichen Abgaben, Umlagen und Steuern ein deutlicher Wettbewerbsnachteil für den Standort - so auch für uns", so ein Sprecher des Globalfoundries-Werks in Dresden. Der US-Konzern ist einer der größten Auftragsfertiger weltweit und stellt Chips für Konzerne wie Infineon her.

Neben den Diskussionen zur Schaffung neuer Produktionskapazitäten müssten auch wettbewerbsfähigere Bedingungen in der Grundversorgung von Schlüsseltechnologien geschaffen werden. "Die Reduzierung der Stromnebenkosten wäre ein erster Schritt", sagte der Sprecher.

In vielen Branchen entscheidet sich die Frage, ob ein Unternehmen im internationalen Wettbewerb bestehen kann, zu einem wesentlichen Teil daran, ob es die EEG-Umlage zahlen muss oder nicht. Die Besondere Ausgleichsregelung (BesAR), durch die Unternehmen von einem großen Teil der EEG-Umlage befreit werden, greift erst dann, wenn das Unternehmen des produzierenden Gewerbes beim Anteil der Stromkosten bestimmte Schwellenwerte überschreitet. Voraussetzung ist außerdem, dass das Unternehmen im internationalen Wettbewerb steht.

Es gibt Branchen, in denen ein Teil der Unternehmen von der BesAR profitiert, ein anderer Teil nicht. Und der Antrag muss Jahr für Jahr neu gestellt werden. Wer bestimmte Schwellenwerte nicht mehr überschreitet, fällt durchs Rost. Dadurch werden Investitionen in höhere Energieeffizienz bestraft.

Entsprechend fantasiereich sind die Bemühungen, die Schwellenwerte auf jeden Fall zu erreichen. Seit Jahren halten sich Berichte, dass in manchen Betrieben gegen Jahresende Maschinen ungenutzt durchlaufen, nur um den für die Befreiung nötigen Stromverbrauch noch zu erreichen. Solche Anekdoten zeigen, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien über eine Umlagefinanzierung an ihr Ende gekommen ist.

In der Politik hat sich diese Erkenntnis zwar schon vor Jahren durchgesetzt. Geändert hat sich aber noch nicht viel. Im Juni 2020 hatte die Große Koalition mit ihrem Konjunkturpaket zur Bekämpfung der wirtschaftlichen Folgen der Coronapandemie erstmals beschlossen, die EEG-Umlage 2021 und 2022 durch einen Zuschuss aus dem Bundeshaushalt zu stabilisieren.

Zeit für konkrete Beschlüsse wird knapp

Das ist ein Novum. Seit dem Inkrafttreten des EEG im Jahr 2000 bis Ende 2020 wurde die Umlage ausschließlich von den Stromverbrauchern finanziert. Sie summiert sich mittlerweile auf rund 30 Milliarden Euro jährlich.

Seit Jahren fordern große Teile der Wirtschaft einen Systemwechsel, Tenor: Da die Energiewende eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe sei, müsse sie auch von der gesamten Gesellschaft - also aus Steuermitteln - finanziert werden. Der Verband der Chemischen Industrie (VCI) hatte schon vor Jahren vorgeschlagen, EEG-Bestandsanlagen über die Umlage zu finanzieren, Neuanlagen jedoch aus Haushaltsmitteln. So wäre die Umlage Jahr für Jahr abgeschmolzen.

Die Politik ist mittlerweile darauf eingestiegen. So hatte Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) zu Jahresbeginn gesagt, sein Ziel sei, "dass wir die EEG-Umlage in den nächsten fünf Jahren schrittweise absenken und schließlich ganz abschaffen".

In Regierungskreisen heißt es, Politiker von Union und SPD arbeiteten im Moment "sehr konstruktiv" an Konzepten, um die EEG-Umlage schrittweise abzuschaffen. Es bleibe in dieser Legislaturperiode ein Zeitfenster von ungefähr zwei Monaten, um konkrete Beschlüsse zu fassen. "Es ist richtig, die EEG-Umlage kurzfristig durch Mittel aus dem Haushalt zu entlasten und mittelfristig auf null zu senken. Die EEG-Umlage ist das größte Innovationshindernis im Energiesektor", sagt Joachim Pfeiffer (CDU), wirtschaftspolitischer Sprecher der Unionsfraktion, dem Handelsblatt. Weitere Schritte seien geboten. Ein umfassender EEG-Systemwechsel nach marktwirtschaftlichen Kriterien dürfe nicht ausbleiben.

Energiestudie sieht Strompreise ebenfalls als Standortproblem

Pfeiffer plädierte außerdem für einen europäischen Industriestrompreis: "Er behebt eine globale strukturelle Wettbewerbsverzerrung, stärkt den europäischen Standort und gibt der Industrie notwendige Investitions- und Planungssicherheit." So könne eine Abwanderung der Industrie verhindert werden.

Die Grünen sehen das anders. "Stromintensive Betriebe sind heute schon von Netzentgelten und EEG-Umlage weitgehend befreit, deshalb brauchen wir auch keine Debatte um einen Industriestrompreis", sagte Dieter Janecek, industriepolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, dem Handelsblatt. Wer die Industrie dauerhaft im Land halten wolle, müsse für einen energischen Ausbau bei den Erneuerbaren sorgen.

Halbleiterproduktion bei Globalfoundries am Standort Dresden
Gerade die energieintensive Produktion von Chips und Wafern wird bei den Strompreisen in Deutschland zur Belastung für Unternehmen.
(Foto: Bloomberg)

Minister Altmaier aber tue genau das Gegenteil, kritisierte Janecek. Der Grünen-Politiker macht sich für eine grundlegende Reform der Energiebesteuerung stark: "Öl, Gas und Kohle müssen teurer werden, im Gegenzug Strom billiger. Der Preis für eine Kilowattstunde Wind und insbesondere Photovoltaik sinkt von Jahr zu Jahr weiter. Hier müssen wir konsequent ansetzen."

Das Thema steht auch im Mittelpunkt einer Studie, die der Thinktank Agora Energiewende und das Beratungsunternehmen Roland Berger am Montag vorstellten. Um Wohlstand und Arbeitsplätze am Industriestandort Deutschland auf dem Weg in die Klimaneutralität nicht zu gefährden, "braucht die deutsche Industrie auch langfristig international wettbewerbsfähige Strompreise", heißt es darin. Dies müsste "Kernelement einer deutschen und europäischen Industriestrategie werden".

Die Mehreinnahmen aus künftigen Erhöhungen der zum Jahreswechsel eingeführten CO2-Preise in den Sektoren Wärme und Verkehr sollten "zur vollständigen Reduzierung der EEG-Umlage verwendet werden", so das Fazit der Studie.


Quelle: Handelsblatt vom 23.02.2021