Erdogans zwielichtige Helfer

"Habe in Deutschland schöne Tage verbracht": Heute kämpft Al-Hareth R. für die Türkei
Anas Alkharboutli/dpa Soldaten und die Militärfahrzeuge stehen in der türkischen Stadt Akcakale an der Grenze zur syrischen Stadt Tall Abyad

Sonntag, 27.10.2019

Bei ihrer Offensive gegen die Kurden in Syrien setzt die Türkei auf die Hilfe syrischer Rebellen. Sie sollen teilweise an Exekutionen beteiligt gewesen sein. Im Fokus der Ermittler ist auch ein Mann, der als Flüchtling in einem Kloster in Deutschland gelebt hat.

Kurz nachdem er in den Krieg gezogen ist, löscht der junge Mann aus Syrien seine Erinnerungen an bessere Tage in Deutschland. Die Fotos vom Weihnachtsmarkt in Halle, das winterliche Kloster Helfta in Sachsen-Anhalt, in dem der junge Mann als Flüchtling kurze Zeit lebte: die Bilder auf Instagram sind inzwischen genauso gelöscht wie das Foto des auf dem Boden ausgebreiteten Tarnanzugs, auf dem zwei Kameras liegen - neben einem AKS-74U-Sturmgewehr und einer Makarow-Pistole.

"Nimm mein Handy und film', wie ich auf ihn schieße"

Am 5. Oktober hatte Al-Hareth R. das Bild ins Internet gestellt, vier Tage später begann die Türkei ihre Offensive gegen die Kurdenmilizen in Nordsyrien. An vorderster Front sind verschiedene Rebellengruppen, die von der Türkei unterstützt werden - und die zum Teil einen zweifelhaften Ruf genießen. Eine Woche später, am 15. Oktober, verurteilte das UN-Menschenrechtsbüro Morde an kurdischen Gefangenen und spricht von möglichen Kriegsverbrechen durch eine der Gruppen: Ahrar al-Scharkija, die Gruppe, der sich auch Al-Hareth R. anschloss, nachdem er Deutschland verlassen hatte.

Im Internet kursieren Videos: Ein Checkpoint an der M4, einer Schnellstraße zwischen Tall Tamer und Ain Issa im Norden Syriens. Mehrere Gefangene kauern in der Hocke. Ein Gefangener liegt am Boden, den Rücken zur Kamera gedreht, die Hände gefesselt. "Nimm mein Handy und film', wie ich auf ihn schieße", sagt eine Person. Dann folgen mehrere Schüsse in den Rücken des am Boden Liegenden. Die Szene soll Al-Hareth R. gefilmt haben.

"Ich bin kein Mörder, wie manche behaupten", schreibt er der Deutschen Presse-Agentur auf eine Anfrage. Seine Rebellengruppe sei auch nicht islamistisch. Er distanziert sich von den Vorwürfen genauso wie Ahrar al-Scharkija. Außerdem fotografiere er nur für die Rebellen.

"Ich hatte den Eindruck, dass mein Land mich braucht."

Drei Jahre vor den Aufnahmen, im Jahr 2016, zeigen die Fotos auf seinem inzwischen gelöschten Instagram-Profil einen jungen Mann mit langen, schwarzen Haaren, weichem Gesicht und einem leichten Flaum über den Lippen und am Kinn. Auf einigen Fotos hat er die Haare weit um seinen Kopf ausgebreitet wie ein Model.

Anas Alkharboutli/dpa Soldaten gehen an der Grenze zwischen der türkischen Stadt Akcakale und der syrischen Stadt Tall Abyad

Er ist unter anderem im Kloster Helfta in Sachsen-Anhalt untergebracht. Die Zisterzienserinnen dort hatten im Herbst 2015 etwa 50 Flüchtlinge aufgenommen, darunter 20 Kinder. Eine der Schwestern erkennt Al-Hareth R. auf einem Foto wieder. Im angebotenen Deutschunterricht sei er nie gewesen.

"Ich habe in Deutschland schöne Tage verbracht", schreibt Al-Hareth R. "Aber ich hatte den Eindruck, dass mein Land mich braucht."

Al-Hareth R. posierte auf Instagram mit erhobenem Zeigefinger

Auf Instagram folgen Fotos des Klosterhofs mit leichtem Schnee auf dem Boden. Al-Hareth R. mit drei Freunden, wie sie auf dem Marktplatz in Halle stehen und in die Kamera grinsen, die Zeigefinger der rechten Hand gereckt. Es ist eine religiöse Geste, die den einen Gott bezeugen soll. Da sie von Terrormiliz Islamischer Staat (IS) häufig in ihren Videos gezeigt wurde, hat sie inzwischen einen zweifelhaften Ruf. Dann sind wieder Videos zu sehen, wie die Jugendlichen auf dem Marktplatz in Halle skandieren: "Dair as-Saur - wir sind mit dir bis zum Tod".

Der Ruf bezieht sich auf den syrischen Ort Dair as-Saur im Osten des Landes. Bei der derzeit laufenden Militäroffensive im Nordosten kommen viele der mit der Türkei verbündeten Rebellen aus Ostsyrien. Die Namen ihrer Gruppen zeugen von ihrer Herkunft: Ahrar al-Scharkija - Die Freien aus dem Osten. In einer Analyse bezeichnet die in der Türkei ansässige Denkfabrik Omran die Gruppe als moderat islamisch. Sie ist Teil der sogenannten Syrische Nationalarmee (SNA), die die Speerspitze der türkischen Militäroffensive stellt.

Der junge Flüchtling hat Deutschland inzwischen verlassen

Die SNA sei ein Versuch, verschiedenste Gruppen der bewaffneten Opposition und islamistische Milizen unter einer Kommandostruktur zu vereinen, schreibt auch der Nahost-Analyst Aron Lund. Die Gruppen seien problematische Verbündete für die Türkei gewesen, mit "schlechter Disziplin und Kämpfen untereinander". Das pro-kurdische Rojava Information Center veröffentlichte vor wenigen Wochen die Namen von mehr als 40 ehemaligen IS-Anhängern, die jetzt aufseiten der pro-türkischen Milizen kämpfen sollen - darunter auch bei Ahrar al-Scharkija.

Schon bei der ersten türkischen Offensive gegen die Kurden in Syrien, westlich des Euphrat, sind die Rebellen von Ahrar al-Scharkija Anfang 2018 mit dabei. Der junge Flüchtling Al-Hareth R. hat Deutschland inzwischen verlassen. Die Fotos auf seinem Instagram-Profil kommen jetzt aus Afrin und Al-Bab in Nordsyrien. Sie zeigen zerstörte Straßenzüge, explodierte Autos, Selfies eines jungen Mannes mit ernstem Gesicht. Die langen Haare hat er abgeschnitten.

Die Profile im Internet sind gelöscht - der Kampf in Syrien geht weiter

Zu den Videos mit den erschossenen Gefangenen schrieb das Menschenrechtsbüro der Vereinten Nationen in der vergangenen Woche, dass es "aussieht wie Exekutionen". Der Leiter des Politbüros von Ahrar al-Scharkija, Siad al-Dschirad, sagte dazu der Deutschen Presse-Agentur: "Es war weder ein Hinterhalt noch eine Exekution." Die Gruppe sei beschossen worden und habe nur die Fliehenden erschossen. Es gebe aber interne Untersuchungen.

Auch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan sah sich vor einigen Tagen auf Nachfrage von internationalen Journalisten in Istanbul gezwungen, zu den Vorfällen Stellung zu nehmen. "Es gibt jetzt in Syrien welche unter der Nationalen Armee, die solche Fehler machen. Meine Religion erlaubt so etwas nicht." Er fügte hinzu, dass das "Heer" gerade dabei sei, "sich dieser Sache anzunehmen". Man werde mittels Geheimdienstinformationen ausmachen, wer die Verantwortlichen seien.

Aber auch das Landeskriminalamt in Sachsen-Anhalt interessiert sich für die Zusammenhänge. Auf Anfrage zu Al-Hareth R. teilt das LKA mit, dass gegenwärtig gegen vier Personen Ermittlungen geführt würden. Details nennt die Polizei nicht. Auch der junge Syrer antwortet nicht mehr. Die Profile im Internet sind gelöscht. Der Kampf in Syrien geht weiter.


aus focus-online vom 27.10.2019