Henryk M. Broder Warum ich mich wegen Beleidigung angezeigt habe

Stand: 06.01.2022 | Lesedauer: 6 Minuten

Von Henryk M. Broder

Ein 17-jähriger Lehrling hält bei einer Münchner Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen nichts ahnend ein Plakat mit einem harmlosen Spruch hoch und löst polizeiliche Ermittlungen aus. Henryk M. Broder beschleunigt nun den Vorgang. WELT-Autor Henryk M. Broder
Quelle: Martin U. K. Lengemann/WELT

"Am Mittwoch, den 8. Dezember, fand im Stadtgebiet München eine Demonstration im Zusammenhang mit den derzeitigen Corona-Maßnahmen statt." Diese Demo, so stand es am folgenden Tag in der Boulevard-Zeitung "tz", sei "zuvor ordnungsgemäß beim Kreisverwaltungsreferat München" angemeldet worden, sie habe "gegen 18 Uhr" begonnen. "Als sich die Versammlung mit in der Spitze 1450 Teilnehmern auf der Ludwigstraße befand", sei "diese durch die Polizei angehalten" worden. Eine Anzahl der Teilnehmer habe sich "weder an die Maskentragepflicht noch an die Mindestabstände" gehalten. Gegen 20 Uhr habe der Versammlungsleiter die Demonstration für beendet erklärt. Passiert war eigentlich nichts, bis auf "mehrere Verstöße nach dem Versammlungsgesetz, Beleidigungen und Verstößen gegen die Maskenpflicht".

Unter den 1450 Teilnehmern der Demonstration war auch Fabian P., der in Wirklichkeit anders heißt, aber mit seinem richtigen Namen nicht in der Zeitung stehen möchte. Der 17-Jährige hat bis zum Sommer letzten Jahres eine weiterführende Schule besucht, das heißt, er saß entweder ab und zu mit Maske im "Präsenzunterricht" oder daheim vor dem Computer. "Gelernt habe ich jedenfalls nichts. In der Schule haben wir nur über Corona geredet, zu Hause habe ich mich gelangweilt."

Dezember 2021: Demonstration in München gegen die Corona-Maßnahmen
Quelle: pa/ZUMAPRESS.com/Sachelle Babbar

Gleich nach den Sommerferien sagte er der Schule Adieu und machte sich auf die Suche nach einer Lehrstelle in einem Handwerksbetrieb. "Es war einfacher, als ich gedacht hatte." Seit Oktober lernt er Löten und Schweißen und muss dafür um fünf Uhr früh aufstehen, ist aber glücklich. "Ich habe was Richtiges zu tun und bin den ganzen Tag mit normalen Leuten zusammen."

Saskia Eskens Feldversuch

Fabian P. ist nicht geimpft. Sein Vater, Walter P., 58, auch nicht. "Ich bin kein Corona-Leugner und kein Impfgegner", sagt der gelernte Großhandelskaufmann, "ich habe mich gegen alles Mögliche impfen lassen, Tetanus, Diphtherie, Masern, Pocken, aber diesmal traue ich der Sache nicht." Der Impfstoff sei in wenigen Monaten entwickelt worden, sonst würde so etwas fünf bis zehn Jahre dauern, er habe einfach keine Lust, ein Versuchskarnickel zu sein.

Wie es der Zufall will: Am selben Tag, an dem ich Fabian und Walter P. in München treffe, hat Saskia Esken, die Co-Vorsitzende der SPD, im "Morgenmagazin" von ARD und ZDF gesagt, der Impfstoff sei "in einem großen Feldversuch an Milliarden von Menschen in der ganzen Welt getestet" worden, wobei es abgesehen von "kleinen Impfnebenwirkungen wie Abgeschlagenheit oder zwei, drei Tage Schwierigkeiten" keine Komplikationen gegeben habe, man komme mit dem Impfen "gut voran".

Vater und Sohn
Quelle: Henryk M. Broder

Das sei Propaganda und erwiesenermaßen falsch, sagt Walter P., dafür möchte er seine Gesundheit und sein Leben nicht riskieren. Und deswegen hat er zusammen mit seinem Sohn Fabian an der Demonstration am 8. Dezember teilgenommen. Vorher habe er mit einem dicken Filzstift auf einen etwa 80 auf 60 Zentimeter großen Pappdeckel einen Satz geschrieben, den er im Netz gefunden hatte: "Wenn ihr euch fragt, wie es damals passieren konnte: weil sie damals so waren, wie ihr heute seid."

Was danach passierte, beschreibt Fabian P. so: "Gegen 19 kamen wir am Odeonsplatz an. Die Demo hatte schon begonnen. Die Leute bewegten sich vom Odeonsplatz über die Ludwigstraße in Richtung Schellingstraße. Dort hatte die Polizei die Straße gesperrt, sodass es zu einem Stau kam. Trotzdem forderten die Beamten die Demonstranten auf, Abstand zu halten. Die Leute drehten sich um und gingen zurück. Kurz vor dem Odeonsplatz kamen zwei Polizisten auf mich zu, hielten mich fest und fragten, was das Schild zu bedeuten hat. Ich sagte: ‚Sie wissen genau, was damit gemeint ist.' Darauf einer der beiden: ‚Du sagst uns jetzt sofort, was mit dem Schild gemeint ist.' Ich wiederholte, das sei doch vollkommen klar. Worauf der Polizist sagte: ,Du bist vorläufig festgenommen, wegen Beleidigung.' Ein Kollege habe sich beleidigt gefühlt. Das war alles."

Zur Toilette? "Später zu Hause"

Fabian P. wurde zu einem der in der Nähe parkenden Polizeibusse eskortiert. Dort stellten die Polizisten seine Personalien fest, durchsuchten seine Taschen und konfiszierten das Beweisstück, den 80 auf 60 Zentimeter großen Pappdeckel mit dem Satz "Wenn ihr euch fragt, wie es damals passieren konnte: weil sie damals so waren, wie ihr heute seid." Dann fertigten sie von Hand eine Art Protokoll aus und legten es Fabian P. zur Unterschrift vor. Das Ganze zog sich über eine Stunde hin. Fabian P. durfte seinen Vater anrufen, der schon zu Hause auf ihn wartete, seine Bitte, ihn eine Toilette benutzen zu lassen, wurde abgeschlagen. "Das kannst du später zu Hause machen."

An dieser Stelle könnte die Geschichte enden, wenn mich Fabians Vater, Walter P., nicht angemailt und um Rat gefragt hätte. Denn der Satz, dessentwegen sein Sohn Fabian vorläufig festgenommen wurde, stammt von mir. Ich habe ihn mal irgendwo gesagt oder geschrieben, vor Kurzem fiel er irgendjemand auf und seitdem kreist er im Internet.

Dass ein 17 Jahre junger Schüler aus einer - übrigens angemeldeten und genehmigten - Demonstration herausgeholt und gefilzt wird, dass ihm ein Pappdeckel mit einem harmlosen Satz darauf weggenommen wird, dass er sich für etwas verantworten soll, was ich gesagt oder geschrieben habe, das fand ich so absurd und so irre, dass ich mich gleich auf den Weg nach München machte, zu Fabian und Walter P.

Gute drei Wochen nach dem Zwischenfall saß ich in der Wohnküche der Familie P. und ließ mich updaten. Nein, bis jetzt habe sich niemand von der Polizei gemeldet, der eingezogene Pappdeckel sei nicht zurückgegeben worden, man habe nicht einmal ein Aktenzeichen mitgeteilt bekommen. "Nichts Genaues weiß man nicht", würde Karl Valentin sagen.

Aus dem von Hand ausgefüllten "Sicherstellungsprotokoll" geht hervor, dass die "Maßnahme" von Mitarbeitern der BPA Dachau durchgeführt wurde. BPA steht für Bereitschaftspolizeiabteilung. Als "Anlass/Grund" der Maßnahme steht da "Beleidigung", Beginn der Maßnahme sei 20.00 Uhr gewesen, Ende 20.05 Uhr, was schlicht nicht stimmen kann. Sichergestellt bzw. beschlagnahmt habe man "1 Kartonschild", das "in der Hand getragen" wurde. Name und Unterschrift des Beamten, der die Maßnahme protokolliert hat, sind unleserlich.

Telefonate mit der Polizei

Ich finde die Telefonnummer der BPA Dachau im Netz, rufe dort an, stelle mich vor und erkläre, worum es geht.

Eine freundliche Mitarbeiterin der BPA Dachau sagt, sie werde sich umhören, wer mir helfen könnte, und verspricht, mich zurückzurufen. Zehn Minuten später ruft sie an. Ich soll mich an den Pressesprecher der bayerischen Bereitschaftspolizei, Polizeihauptkommissar Markus Kern wenden.

Ich rufe HK Kern in Bamberg an. Er sagt, die "Maßnahme" sei von der bayerischen Bereitschaftspolizei durchgeführt worden, für Presseanfragen sei aber die Münchner Polizei zuständig. Er werde meine Anfrage an die zuständige Stelle weiterleiten. Als "Ansprechpartner" nennt er den Ersten Kriminalhauptkommissar Werner Kraus. Ich schreibe EKHK Kraus an.

Der antwortet, um meine Anfrage würde sich Herr Marienwald kümmern und sich "zeitnah" mit mir "in Verbindung setzen". Polizeioberkommissar Michael Marienwald meldet sich umgehend. Er schreibt: "Zu Ihrer Anfrage muss ich Ihnen mitteilen, dass wir keine Angaben zu dem Vorfall Ihnen gegenüber machen können. Ihre Anfrage tangiert die Persönlichkeitsrechte der Beteiligten, als Polizei sind wir verpflichtet, diese zu schützen."

Zum Schutz der Persönlichkeitsrechte der Beteiligten gehört wohl auch, dass vier Wochen nach dem "Vorfall" weder Fabian P. noch sein Vater über den Stand der Ermittlungen informiert wurden.

Deswegen habe ich beschlossen, den Lauf der Dinge zu beschleunigen. Ich habe mich selbst angezeigt, wegen Beleidigung, Volksverhetzung und was da alles noch sein könnte. Wie schon gesagt, ich werde es nicht hinnehmen, dass ein 17-Jähriger für etwas büßen soll, für das ich verantwortlich bin.

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Quelle: welt.de