Eigentlich soll das EU-Türkei-Abkommen die Zahl der Flüchtlinge, die in die EU kommen, deutlich absenken. Doch nun wird immer klarer: Auch künftig werden sehr wahrscheinlich hunderttausende Flüchtlinge nach Deutschland kommen - ein großer Teil dann allerdings legal.
Grund dafür ist ein bislang in der Öffentlichkeit fast völlig unbekannter Passus des EU-Türkei-Abkommens. Wie die "Süddeutsche Zeitung" berichtet, heißt es in Punkt 4 der Vereinbarung: "Wenn die irregulären Überfahrten von der Türkei in die EU gestoppt oder zumindest substanziell und nachhaltig reduziert wurden, wird ein ,Freiwilliges Humanitäres Aufnahmesystem' aktiviert. Dazu tragen die EU-Mitgliedstaaten freiwillig bei."
Laut SZ werde an dem Aufnahmesystem seit Monaten gearbeitet. Noch stünden zwar nicht alle Details fest. Sicher ist der Zeitung zufolge jedoch, "dass die Europäer hunderttausende werden ausfliegen müssen".
Wie das Blatt weiter berichtet, hätte Ankara der Übereinkunft ohne diesen Passus nie zugestimmt. Kein Wunder: Sonst würden sämtliche neu ankommenden Flüchtlinge in den Flüchtlingscamps am Bosporus bleiben.
Diese Zahl ist auf 72.000 pro Jahr gedeckelt. Sehr wahrscheinlich werden jedoch auch weiterhin deutlich mehr Hilfesuchende versuchen, illegal nach Europa zu gelangen. Diese Menschen kommen zu den legal in die EU eingereisten Flüchtlingen ohnehin noch hinzu.
Und dann kommt noch Punkt 4 zum Tragen. Der sieht der SZ zufolge vor, dass "selbst wenn die irreguläre Zuwanderung" gestoppt oder substanziell reduziert wird, hunderttausende weitere Flüchtlinge direkt aus der Türkei aufgenommen werden sollen.
Und da außer der Bundesrepublik kein anderer Staat mehr bereit ist, Flüchtlinge in nennenswerter Zahl aufzunehmen, werden die hunderttausende sehr wahrscheinlich in Deutschland eine Heimat finden. Nimmt sie kein EU-Staat auf, wird die Türkei den Deal aufkündigen.
Tatsächlich ist zu befürchten, dass die katastrophale Menschenrechts-Situation am Bosporus bei künftigen Besuchen europäischer Staatschefs kaum noch eine Rolle spielen oder sogar ganz ausgeklammert werden könnte.
Als etwa ein Reporter der Zeitung den Regierungschef eines wichtigen EU-Staates nach dem Gipfel zu dem Passus befragte, verneinte dieser, dass der Punkt überhaupt vereinbart worden sei. Ein Diplomat habe ihm dann den Abschnitt daraufhin gezeigt, so die SZ.
Und auch in Deutschland sind viele Unions- und SPD-Politiker bei diesem Thema nicht allzu gesprächig: Die Bundesregierung habe die Öffentlichkeit über den Abschnitt ebenfalls "eher zurückhaltend informiert", heißt es in dem SZ-Bericht. Das Bundespresseamt äußerte sich auf Anfrage der Huffington Post zunächst nicht zu dem Vorgang.
zum Artikel in der Huffingtonpost vom 23.03.2016