Hamburger Milliardenprojekt Olaf Scholz, der Immobilientycoon und die Angst um das Hochhaus

Stand: 29.10.2022 | Lesedauer: 7 Minuten

Von Hans-Martin Tillack
Chefreporter Investigation

Nach dem Korruptionsverdacht gegen den Milliardär René Benko tauchen jetzt Fragen zu der Rolle von Olaf Scholz bei dem milliardenteuren Elbtower-Projekt von Benko in Hamburg auf. Dort wächst die Furcht, dass die Stadt auf einer Bauruine sitzen bleibt. Am 8. Februar 2018 hatte Olaf Scholz seinen letzten großen Auftritt als Erster Bürgermeister von Hamburg. Kurz bevor der SPD-Politiker als Bundesfinanzminister nach Berlin wechselte, hinterließ er den Hamburgern noch ein Abschiedsgeschenk - eines, bei dem die Dankbarkeit in der Hansestadt nicht von allen geteilt wird.

Olaf Scholz stellt am 8. Februar 2018 das Hamburger Elbtower-Projekt von Investor René Benko vor
Quelle: picture alliance/dpa/Daniel Reinhardt

Was Scholz an diesem Donnerstag in Hamburg vorstellte, war der Zuschlag für den Bau des Elbtowers: einem Hochhaus, das mit seinen 245 Metern bei Fertigstellung der dritthöchste Wolkenkratzer der Republik sein wird. Schon der Bau von Hochhäusern an sich ist in der Hansestadt nicht jedermanns Geschmack. Aber was bei manchen noch größeren Widerwillen auslöste, war die Wahl des Bauherrn: die Signa-Gruppe des umstrittenen österreichischen Investors René Benko.

Für Scholz war die Entscheidung ein "großer Gewinn für unsere Stadt". Er versprach ein "elegantes und schönes Haus", entworfen von Stararchitekt David Chipperfield. Und er unterstrich, wie finanzstark Benkos Gruppe sei und wie sehr man sie vertraglich zur Erfüllung ihrer Bauherrenpflichten gebunden habe: "Wir haben uns dort 15-mal abgesichert." Schon zuvor hatte der heutige Kanzler das Großprojekt mit seinem Namen verknüpft: "Die Menschen sollen sagen: Das hat Olaf Scholz gut gemacht" - so wurde er bereits 2017 zitiert.

Ob die Menschen das sagen werden, daran sind die Zweifel jüngst wieder gewachsen - und das nicht nur, weil die Immobilienwirtschaft angesichts steigender Baukosten und höherer Zinsen heute in eine düsterere Zukunft blickt als 2018. Sondern vor allem, weil österreichische Staatsanwälte vergangene Woche Büros der Benko-Gruppe in Innsbruck und Wien durchsuchen ließen. Der 45-jährige Selfmademan Benko, dem in Deutschland auch die Galeria-Kaufhäuser gehören, steht offenbar zum nunmehr dritten Mal unter Korruptionsverdacht.

Er soll einem hohen Beamten des Finanzministeriums in Wien einen gut dotierten Posten in Aussicht gestellt haben - und bei dem früheren Vertrauten des zeitweiligen Kanzlers Sebastian Kurz (ÖVP) zugleich um Hilfe bei einer Steuersache gebeten haben.

"Position eines Generalbevollmächtigten angeboten"

Es bestehe "der Verdacht", Benko habe dem Beamten "einen Vorteil", versprochen, indem er ihm "wiederholt die Position eines Generalbevollmächtigten der Signa Holding GmbH" angeboten habe, heißt es in einem Durchsuchungsbefehl der Zentralen Staatsanwaltschaft zur Verfolgung von Wirtschaftsstrafsachen und Korruption (WKStA) vom 11. Oktober 2022.

Aktuell ist Benko bereits in Wien wegen des Verdachts der Bestechung eines ehemaligen Grünen-Politikers angeklagt. Schon im Jahr 2012 wurde er wegen eines Korruptionsdelikts zu einer Haftstrafe auf Bewährung verurteilt. Die Richterin sprach von einem "Musterfall für Korruption". Letztere Causa muss Scholz im Jahr 2018 gekannt haben.

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Benko wies alle Bestechungsvorwürfe immer als unbegründet zurück; auch bei den jüngsten Verdachtsmomenten gilt die Unschuldsvermutung. Doch nach der Polizeirazzia in der vergangenen Woche kamen Anleihen der Signa-Gruppe am Finanzmarkt zumindest zeitweise unter starken Druck. Und in Hamburg fragen sich jetzt einige in Scholz' eigener Partei, was mit dem Elbtower passiert, für den gerade die Baugrube ausgehoben wird. "Was ist, wenn Signa mit Benko wirklich zusammenbricht?", sorgt sich die Hamburger Linken-Abgeordnete Heike Sudmann. "Jemand, der im Knast sitzt, ist vielleicht nicht so geschäftsfähig", wunderte sich am Donnerstag im Haushaltsausschuss der Hamburger Bürgerschaft sogar der Abgeordnete Markus Schreiber von der regierenden SPD. "Ich sehe große Risiken für die Stadt", sagt auch Mathias Petersen (SPD), der Vorsitzende des Ausschusses.

Der österreichische Immobilienunternehmer René Benko
Quelle: picture alliance/dpa/Marcel Kusch

Ermittlungsakten aus Österreich, die WELT vorliegen, erlauben nun neue Fragen zu Benkos Geschäftsmodell. Dass Zweifel an dessen Finanzkraft nicht immer völlig hergeholt schienen, legt etwa ein interner Amtsvermerk eines Ermittlers der österreichischen Staatsanwaltschaft vom 11. Oktober nahe. Dort wird die Aussage des Geschäftsführers eines ehemaligen Konsortialpartners der Signa-Holding zitiert. Er erwähnt ein angeblich von Benko verursachtes 50-Millionen-Euro-Loch in der Finanzierung eines damaligen Immobiliendeals im Jahr 2007. Hätte man damals am Kapitalmarkt kommuniziert, dass René Benko mit seinen Gesellschaften statt der erforderlichen 60 Millionen lediglich 10 Millionen aufbringen konnte, "wäre René Benko und Signa nicht dort, wo sie heute sind", wird der Geschäftsführer zitiert.

Ein 50-Millionen-Euro-Loch?

Der Amtsvermerk erwähnt überdies Klagen aus den österreichischen Finanzbehörden aus dem Jahr 2017, wonach Benkos Signa Holding in den Jahren zuvor keine Ertragssteuern gezahlt habe, trotz erheblicher Wertsteigerungen im Konzern. Auch Benkos Privatstiftung zahle kaum Steuern - und wenig auch die dahinter stehende natürliche Person. Gemeint war offenbar Benko selbst.

Was sagt der Unternehmer zu diesen Vorwürfen? Er schickte einen bekannten deutschen Presseanwalt vor, der Fragen nicht beantworten wollte und stattdessen mögliche "rechtliche Schritte" androhte.

Wie genau es beim Elbtower in Hamburg seinerzeit zum Zuschlag an die Signa-Gruppe kam, ist bis heute nicht in allen Details klar. Der Aufsichtsrat der landeseigenen Hafencity Hamburg GmbH, dem Scholz damals vorsaß, hatte am 5. Februar 2018 einstimmig den Kaufvertrag mit der Benko-Gruppe gebilligt - unter Beteiligung von Scholz selbst, wie der Senat gegenüber WELT jetzt bestätigte.

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Geradezu groteske Versteckspiele leisten sich die Mitarbeiter von Olaf Scholz aber bei der Frage nach der Rolle eines österreichischen Sozialdemokraten - des ehemaligen Bundeskanzlers der Alpenrepublik, Alfred Gusenbauer. Der sitzt bei Benko im Konzernbeirat und beschrieb die Vorteile seiner politischen Kontakte in einem Interview im Magazin "Trend" im Juli 2021 so: "Dann kann es schon sein, dass dich der Bürgermeister einer deutschen Großstadt anruft", sagte Gusenbauer. Der deutsche Bürgermeister frage dann: "Ihr seid der Bestbieter bei diesem oder jenem Projekt, du garantierst mir aber schon, dass das nicht eine Ruine wird, die ewig mit meinem Namen verbunden sein wird!"

Die Baustelle des Elbtowers an den Elbbrücken in Hamburg im Mai 2022
Quelle: picture alliance

Hat Gusenbauer Scholz in Sachen Benko und Elbtower zugeraten und ihm die Angst vor der Ruine genommen? Eine Sprecherin des Hamburger Senats bittet darum, "sich hierzu ggf. an das Bundeskanzleramt" zu wenden. Dort lässt man über eine Regierungssprecherin ausrichten, man könne sich "grundsätzlich nur zu Vorgängen innerhalb des Zuständigkeitsbereichs des Bundeskanzleramts äußern". Auch eine Anfrage von WELT an Scholz' Abgeordnetenbüro half nicht weiter. Denn das leitete die Anfrage an das Bundespresseamt weiter - wo eine Regierungssprecherin erneut betonte, sich "nur zu Vorgängen innerhalb des Zuständigkeitsbereichs des Bundeskanzleramts äußern" zu können.

Wer immerhin antwortet, ist Ex-Kanzler Gusenbauer. Er versichert heute, dass seine Aussage über den Anruf des deutschen Bürgermeisters in dem Interview im Juli 2021 nur "genereller und hypothetischer Natur" gewesen sei. Sie habe "nichts" mit dem heutigen deutschen Bundeskanzler zu tun.

Der Hamburger Senat verweist auf Fragen zu der Rolle von Olaf Scholz an das Kanzleramt in Berlin
Quelle: Screenshot WELT

Das Kanzleramt ist für Fragen zu der Hamburger Zeit von Olaf Scholz nicht zuständig - trotzdem leitet sogar das Abgeordnetenbüro von Scholz Fragen an diese Adresse
Quelle: Screenshot WELT

In dem Vermerk der österreichischen Ermittler vom 11. Oktober wird auch eine deutsche Bank erwähnt. Demnach war es die Helaba, die für eine Signa-Transaktion im Jahr 2007 einen Kredit über 320 Millionen Euro beschaffte. Die hessisch-thüringische Landesbank mit Sitz in Frankfurt und Erfurt gilt heute in Hamburg auch als der mögliche "taugliche Finanzierer" für den Bau des Elbtowers, den die Signa-Gruppe laut Kaufvertrag mit der Stadt Hamburg mitbringen musste. Die Helaba will sich dazu nicht äußern.

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950 Millionen Euro soll der Bau des Wolkenkratzers kosten, für den zurzeit die Baugrube ausgehoben wird. 122 Millionen Euro betrug der Kaufpreis für das Grundstück, das der Senat an Benko verkauft; Ende des Jahres soll es endgültig den Besitzer wechseln.

Zwei andere Anbieter hatten mehr Geld geboten

Es gehört zu den Merkwürdigkeiten des Zuschlags, den Olaf Scholz im Februar 2018 verkündet hatte, dass die zwei anderen verbliebenen Anbieter mehr geboten hatten - nämlich 131,9 sowie 135 Millionen Euro. Der Senat erklärte das ursprünglich damit, dass die beiden anderen Bestbieter eine stärkere Ausnutzung des Areals geplant hätten und darum pro Quadratmeter Bruttogeschossfläche weniger gezahlt hätten.

Doch, oh Wunder: Zwei Jahre später hielt die Hamburger Stadtregierung in einer Protokollerklärung fest, dass Benkos Signa-Gruppe statt wie im Grundstückskaufvertrag vorgesehen 135.000 Quadratmeter Bruttogeschossfläche laut eines Nachtragvertrags insgesamt 159.700 Quadratmeter bauen dürfe. Allein 21.000 Quadratmeter an zusätzlichen Büroflächen darf Benko jetzt errichten lassen.

Benko hatte die Frage nach dem vorteilhaften Kaufpreis auf seine Weise bereits im Oktober 2018 im "Handelsblatt" beantwortet. Den Zuschlag habe er nicht erhalten, "weil wir den besten Preis aufgerufen haben, sondern weil wir der Hansestadt am Ende als verlässlichster Partner galten".


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