FOCUS-Online-Korrespondent Ulrich Reitz
06.05.2021 | 16:32
Annalena Baerbock und Robert Habeck wollen in die politische Mitte. Was auch heißt: weg vom Rand, weg aus der Nische. Wahlen werden in der Mitte gewonnen, nirgendwo anders. Das wusste schon Gerhard Schröder, der als Bundeskanzler die erste Rot-Grüne Koalition führte.
Doch der Kurs der Führung, der Baerbock als erste Grüne ins Kanzleramt führen soll, ist nicht unumstritten. Vor allem ist er es nicht an der Basis. Opfern die Grünen in ihrer Fixierung auf die Macht zu viele der urgrünen Inhalte? Es wird Auseinandersetzungen geben, das scheint sicher. Nun gibt es den ersten Vorgeschmack davon.
Mehr als 300 Mitglieder der Grünen wollen das Wort "Deutschland" aus dem Titel des Parteiprogramms streichen. Dieser Titel lautet: "Deutschland. Alles ist drin." Übrigbleiben soll nach dem Willen dieser Gruppe also nur: "Alles ist drin." Andere, aus dem Kreisverband Hamm in Westfalen, wollen ebenfalls "Deutschland" streichen - und durch "Grün" ersetzen.
"Die grüne Basis hat ein gestörtes Verhältnis zu Deutschland", kommentierte Sebastian Müller, Parlamentarischer Geschäftsführer der CSU im Deutschen Bundestag. "Sein Vaterland aus dem Wahlprogramm löschen wollen. Das kann es nur bei den Grünen geben."
Unterzeichnet haben ihn auch Grüne, die bei der nächsten Bundestagswahl kandidieren. Die Unterstützer stammen vorwiegend aus Berlin, aber nicht nur, manche kommen aus Köln, Osnabrück, der Ortenau im Badischen. Die offizielle Begründung lautet: "Im Mittelpunkt unserer Politik steht der Mensch in seiner Würde und Freiheit. Und nicht Deutschland."
Ein universalistisches und kein patriotisches Menschenbild zu haben, das ist die DNA der Grünen. Insofern stehen die beiden Anträge in der Tradition grünen Denkens. Der Vorgang erinnert daran, dass es Habeck und Baerbock waren, die genau an dieser empfindlichen Stelle einen Wandel wollten.
Eine Sommerreise an bedeutsame Orte der deutschen Geschichte wie die Frankfurter Paulskirche oder das Hambacher Schloss betitelten die beiden 2018 mit einer Zeile aus der Nationalhymne: "Des Glückes Unterpfand." Habeck begründete das altmodische Wort Unterpfand seinerzeit in seinem Blog - durchaus patriotisch:
Vorläufiges Fazit: Die Grünen-Geschichte baut auf dem Anti-Autoritären auf, das einer Bewegung eigen ist. Davon ist viel Gedankengut übrig, und auch noch sehr viele Menschen. Das Problem: Damit kann man Deutschland nicht regieren. Das Bundeskanzleramt ist eben keine anti-autoritäre Veranstaltung.
Quelle: https://www.focus.de/kultur/gesellschaft/angespitzt-kolumne-von-ulrich-reitz-dfdf_id_13270265.html