FOCUS-Online-Korrespondent Ulrich Reitz
22.05.2021 | 14:41
Eine Bonus-Zahlung für gute Ergebnisse - das kennt man bislang aus dem Spitzen-Fußball. Oder aus dem Deutschen Aktienindex - für DAX-Manager sind sie sogar Bestandteil ihres Arbeitsvertrages. Inzwischen durften wir lernen: Es gibt auch Boni für gute Wahlergebnisse, frei nach dem Motto: Leistung muss sich wieder lohnen. Politisch hätte man eine derartige Praxis bei den Liberalen oder den Unionsleuten vermuten können.
Aber - weit gefehlt. Es sind die Grünen, die ihrer Parteivorsitzenden Wahlerfolgs-Boni zahlen. Und nicht nur das.
Annalena Baerbock, inzwischen die erste grüne Kanzlerkandidatin, strich auch einen Corona-Bonus ein. Auch das ist eine neue Information.
Bislang konnte man davon ausgehen, dass jene, die in Berufen arbeiten, für welche die Corona-Belastung außergewöhnlich hoch ist, einen solchen Pandemie-Bonus bekommen, in der Regel 1500 Euro. Beschäftigte in Pflegeberufen etwa.
Frau Baerbock hat einen Beruf. Er heißt: Bundestagsabgeordnete. Dieser Beruf wird, weil er überdurchschnittlich belastend ist, etwa weil zusätzlich zur Arbeit an der Gesetzgebung noch die im Wahlkreis tritt, überdurchschnittlich gut bezahlt. Dafür bekommt die Berufspolitikerin Baerbock eine Diät, aktuell knapp über 10.000 Euro im Monat.
Anders als mit dem Bundestagsmandat verhält es sich mit dem Mandat der Partei. Parteivorsitzender zu sein, das ist kein Beruf, sondern ein Ehrenamt. Und für ein Ehrenamt gibt es kein Gehalt, sondern allenfalls eine Aufwandsentschädigung. Aber einen Bonus für ein Ehrenamt? Neu ist auch das.
Strafbar sind die Sonderzahlungen nicht. Sie sind allerdings schwer zu begründen, erst recht, weil sie von einer Partei gezahlt werden, zu deren Wesenskern es gehört, moralisch stets auf der richtigen Seite zu stehen.
Mehr als eine moralische Fragwürdigkeit ist es allerdings, diese Sonderzahlungen, die über drei Jahre hinweg gewährt wurden, nicht der Bundestagsverwaltung zu melden, und sie erst dann, offenbar als Folge einer internen Revision, in diesem März verspätete anzuzeigen.
Immerhin: eine Art Selbstanzeige. Aber doch: verspätet. Es handelt sich um einen klaren Verstoß gegen die Transparenzregeln des Parlaments.
Mehr noch: Diese Transparenz haben die Grünen stets beschworen, wenn etwas zu beklagen war, etwa verdeckte Maskendeals von Unionspolitikern. Mit anderen Worten: die Grünen haben sich in ein Glashaus begeben und dort drinnen mit Steinen geworfen. Man könnte es einen Selbstanschlag auf die eigene Glaubwürdigkeit nennen.
Ein "Unding" nennt es die "Süddeutsche Zeitung". Es ist nicht das einzige Unding. Die Grünen machen sich dafür stark, Nebeneinkünfte detailliert aufzuschlüsseln, und nicht in Bandbreiten, in Slots gewissermaßen.
Solcher Slots aber hat Baerbock sich bedient, als sie ihre Nebeneinkünfte in die vom Bundestag dafür vorgesehene Stufe von 17.500 bis 37.000 Euro einsortierte. Damit tappte sie in eine weitere Glaubwürdigkeitsfalle. Und schließlich haben nicht zuerst die Grünen oder Annalena Baerbock selbst über den Vorgang Transparenz geschaffen, sondern die "Bild"-Zeitung. Die Partei konnte den Vorgang danach nur noch bestätigen.
Nach derselben Methode verfuhren die Grünen bei der Höhe der Sonderzahlungen. Die gaben sie gleichfalls erst auf Nachfrage bekannt - und zwar dem "Spiegel". Danach kassierte Baerbock 2018 Weihnachtsgeld: 6788,60 Euro. 2019 waren es dann 9295,97 Euro, für Weihnachten und den Erfolg der Grünen bei der Europawahl. 2020 schließlich 7635,71 Euro wegen Weihnachten plus 1500 Euro, als "coronabedingte Sonderzahlung".
Die Sonderzahlungen "versehentlich" nicht oder vielmehr teils Jahre zu spät angegeben zu haben, nennt das Hamburger Magazin einen "gefährlichen Fehler".
Zu Recht. Die Grünen, und ausgerechnet die grüne Kanzlerkandidatin, stehen plötzlich da als Partei der Doppelmoral. Die besteht darin, in hohem moralischen Ton von allen einzufordern, was man dann selbst nicht einhält.
Verwunderung auch bei CDU-Mann Tilman Kuban. Der Vorsitzende der Jungen Union zu FOCUS Online: "Als Bundesvorsitzender der Jungen Union bekomme ich nicht mal eine Aufwandsentschädigung, geschweige denn wäre ich überhaupt auf die Idee gekommen, mir einen Bonus auszuzahlen. Der ist für die Mitarbeiter da, aber nicht für politische Ehrenämter."
Es ist nicht Baerbocks erster Fehler. Die Sozialdemokratie als Erfinderin der sozialen Marktwirtschaft darzustellen, offenbart eine Bildungslücke. Der Fehler wiegt umso schwerer, da Baerbock sich das Image gibt, es mit den Fakten besonders genau zu nehmen und eine akribische Arbeiterin zu sein.
Das Verfahren gegen den Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer ist ebenfalls eine problematische Angelegenheit. Und zwar nicht nur, weil es den Ruf bestätigt, den die Grünen in eher bürgerlichen Kreisen haben, von denen sie jedoch gerade in diesem Jahr gewählt werden wollen, nämlich: tolerant nur gegenüber der eigenen Meinung zu sein.
Sondern vielmehr, weil Baerbock das Verfahren zum Parteiaustritt des in einer Volkswahl bestimmten lokalen Amtsinhabers persönlich an sich zog. Nun wird sie es persönlich auch nicht mehr los. Es wird sie lange begleiten, sicherlich bis zur Bundestagswahl.
Sie hätte das Verfahren gegen Palmer, wenn sie es denn partout anstrengen wollte, an einen Untergebenen delegieren können. Dies nicht getan zu haben, gehört in die Kategorie Führungsfehler.
Quelle: focus.de vom 22.05.2021